Aufbereitete PCR-Tests auf das Coronavirus von Patienten in einem Labor
APA/dpa/Julian Stratenschulte
Coronavirus

Faktorenmix sorgt für Anstieg der Fälle

Bereits Ende Mai hat sich das leichte Ansteigen der Coronavirus-Neuinfektionen in Österreich abgezeichnet. Das bestätigt sich nun in der aktuellen Covid-Prognose. Das Prognosekonsortium erwartet für die kommende Woche eine weitere Zunahme der Fallzahlen. Die Expertinnen und Experten sehen einen Mix aus Faktoren, die den Anstieg begünstigen. Eine Quarantäne bei Verdachtsfällen ist möglicherweise dennoch bald obsolet.

Die effektive Reproduktionszahl ist mit 1,05 wieder über 1,0, der Anteil der Virusvarianten BA.4/5 steigt weiter und liegt derzeit bei 16 Prozent. Der Wachstumsvorteil der infektiöseren Subvarianten gegenüber den vorhergehenden Varianten wird augenblicklich auf rund 50 Prozent geschätzt.

Die variantenspezifische Reproduktionszahl beträgt 1,44 (innerhalb der Kalenderwochen 20 bis 22). Das heißt, dass 100 Infizierte 144 weitere Menschen anstecken. Im selben Zeitraum erhöhte sich die effektive Reproduktionszahl von BA.2 von etwa 0,86 auf 0,96, erläutern die Experten.

7-Tage-Inzidenz bei rund 300 erwartet

Das Update der Modellrechner von TU Wien, MedUni Wien und Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) rechnet für Mittwoch kommender Woche mit einer 7-Tage-Inzidenz im Bereich von 246 bis 405 Fällen je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner, als Mittelwert werden 307 Fälle angenommen. Die geringste Inzidenz wird in der Steiermark (120 bis 200) und die höchste in Wien (400 bis 660) erwartet. Aktuell liegt die Inzidenz bei 220. Am 15. Juni rechnen die Experten mit einem Mittelwert von knapp 4.000 täglichen Neuinfektionen.

Laut den Expertinnen und Experten wurde der neuerliche Anstieg aufgrund der zurückgehenden Immunität der österreichischen Bevölkerung – die BA.2-Immunitätsrate wird aktuell auf 61 Prozent geschätzt – zwar länger erwartet, die Geschwindigkeit der aktuellen Trendumkehr könne aber nicht allein dadurch erklärt werden.

Kontaktverhalten geändert

Im Detail stieg die effektive Reproduktionszahl in den vergangenen zehn Tagen gemäß AGES von 0,83 (25. Mai) auf 1,05 (4. Juni). Das heißt, 100 Infizierte stecken im Schnitt 105 Menschen mit dem Coronavirus an. Der Anstieg kann laut den Experten auf den Einfluss mehrere Faktoren zurückzuführen sein.

So nimmt eben der Anteil der Virusvarianten BA.4/5 weiter zu. Es kam jedoch auch in Bundesländern mit vergleichsweise niedriger BA.4/5-Prävalenz zu Anstiegen. Durch mehr Veranstaltungen und vermehrte Reisetätigkeit um die Feiertage der vergangenen Wochen hat sich das Kontaktverhalten geändert, sprich, es finden wieder mehr Kontakte statt.

Auch die Lockerungsschritte – das Ende der Maskenpflicht und der Schultests – wirkt sich in diese Richtung aus. Die Wissenschaftler betonten aber, dass keiner der genannten Erklärungsfaktoren für sich genommen als Ursache für diese Dynamik ausgemacht werden kann.

Weniger Tests und Trend gegen Saisonalität

Bei der Bewertung der Entwicklung ist auch ins Treffen zu führen, dass die Steigerung trotz signifikant zurückgegangener Testzahlen bemerkbar ist. Das könnte heißen, dass asymptomatisch verlaufende Infektionen häufig nicht entdeckt werden. Zudem verläuft der derzeitige Anstieg gegen den Trend der Saisonalität: In den bisherigen Pandemiejahren nahmen – zumindest in Österreich – die Ansteckungen im späten Frühjahr sukzessive und in stärkerem Maße als heuer ab.

Ähnliche Trends wie in Österreich gibt es derzeit in den meisten Ländern Mittel- und Westeuropas, so weist etwa Deutschland derzeit eine 7-Tage-Inzidenz von 238 auf. Ausreißer ist Portugal, das derzeit mit einer neuen Welle und einer Inzidenz von rund 1.600 zu kämpfen hat.

Leichter Anstieg auf Normalstationen erwartet

Die Steigerung in Österreich wirkt sich auch auf die Spitäler aus, nach den bisherigen Rückgängen rechnen die Experten wieder mit einer Zunahme an Covid-Patientinnen und -Patienten, auf Intensivstationen wird weiters mit einer Abnahme von Schwerkranken gerechnet. Die zwei Wochen vorausblickende Belagsprognose geht auf den Normalstationen von einer Zunahme von 479 Patienten am Dienstag auf 539 (Mittelwert) am 22. Juni aus.

Auf den Intensivstationen dürfte sich die Zahl der von Infizierten belegten Betten in diesem Zeitraum von 42 auf im Mittelwert 39 verringern. In der Belagsprognose wird nicht zwischen Personen, deren Hospitalisierung kausal auf Covid-19 zurückzuführen ist, und Personen, die ursprünglich aufgrund einer anderen Diagnose hospitalisiert wurden, unterschieden.

Verkehrsbeschränkung statt Quarantäne wird Option

Indes könnte die Coronavirus-Quarantäne bald der Vergangenheit angehören. Im Epidemiegesetz wird ein Passus eingefügt, der es dem Gesundheitsminister ermöglicht, alternativ allgemeine Verkehrsbeschränkungen einzuführen. Die Omikron-Variante habe gezeigt, dass bei vorwiegend milden Krankheitsverläufen auch Verkehrsbeschränkungen ein taugliches Mittel sein können, um die Verbreitung einzudämmen, heißt es in den Erläuterungen zu der Novelle.

Diese wurde am Mittwoch mit den Stimmen von ÖVP und Grünen im Gesundheitsausschuss auf den Weg gebracht. Auch bei künftigen Virusvarianten, die mit Omikron vergleichbare Eigenschaften aufweisen, könnten Absonderungen entbehrlich sein und bloße Verkehrsbeschränkungen ausreichen. Die vorgesehene Verordnungsermächtigung erlaube in diesem Fall eine schnelle Anpassung an die Eigenschaften der vorherrschenden Virusvariante.

Konkret heißt es im Gesetz, der Gesundheitsminister könne durch Verordnung festlegen, „dass kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden“. Das gilt freilich nur, wenn nach der Art der Krankheit keine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht. Allerdings: Keinen Einfluss hat die neue Regelung auf die Absonderung von bestätigten Fällen, die aufgrund der Absonderungsverordnung in Quarantäne geschickt werden, hieß es aus dem Gesundheitsministerium gegenüber der APA.

Beispiele für Verkehrsbeschränkungen

Konkret heißt es im Gesetz, der Gesundheitsminister könne durch Verordnung festlegen, „dass kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden“. Das gilt freilich nur, wenn nach der Art der Krankheit keine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht.

Auch was solche Verkehrsbeschränkungen sein könnten, wird angeführt. Als Auflagen kämen insbesondere in Betracht: das Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr, die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung und Abstandsregeln. Auch das Verbot des Betretens von Arbeitsorten und des Benutzens von Verkehrsmitteln sowie der Teilnahme an Zusammenkünften sind angeführt.

Kritik der Opposition

Die Opposition übte Kritik: SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher ärgerte sich vor allem über die Vorgangsweise der Koalition. Auch am Mittwoch lege das Gesundheitsministerium wieder umfangreiche Änderungen im Epidemiegesetz vor, die nicht in Begutachtung gewesen seien. Die Änderungen enthielten weitreichende Verordnungsermächtigungen und auch datenschutzrechtlich relevante Bestimmungen: „Das ist dieser Regierung egal, es wird einfach durchgepeitscht.“

Übles ahnte FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak. Er habe den Verdacht, dass über den Abänderungsantrag die Regierung eine indirekte Impfpflicht mittels der Verkehrsbeschränkungen umsetzen wolle.