Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt
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Kurswende

EZB will im Juli Leitzins erhöhen

Die Europäische Zentralbank (EZB) will angesichts der hohen Teuerung ihre lockere Geldpolitik beenden. Vorerst bleibt der Leitzins unverändert, im Juli wird er aber – erstmals seit elf Jahren – um 0,25 Punkte angehoben. Zudem beendet die EZB die Anleihekäufe. Der Druck auf die EZB war zuvor gewachsen, ein Gegensteuern wurde unausweichlich.

Im Euro-Raum lagen die Verbraucherpreise im Mai um über acht Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Auch in Österreich bewegt sich die Inflation auf demselben Niveau, mit acht Prozent ist sie so hoch wie seit fast 50 Jahren nicht mehr.

Die EZB unter ihrer Chefin Christine Lagarde zögerte lange mit Gegenmaßnahmen, das brachte ihr viel Kritik ein. Andere Notenbanken wie die Federal Reserve in den USA und die Bank of England haben ihre Leitzinsen bereits mehrfach erhöht. Am Donnerstag reagierte die Zentralbank schließlich: Im Juli steigt der Leitzins im Euro-Raum um jeweils 25 Basispunkte, bis dahin verweilt er auf null Prozent.

EZB erhöht Leitzins

Die Europäische Zentralbank (EZB) reagiert nun auch auf die Teuerung und beendet nach elf Jahren ihre Nullzinspolitik. Ab Juli wird der Leitzins um 0,25 Prozent angehoben, und im September könnte es den nächsten Zinsschritt geben.

Zugleich beschloss der EZB-Rat bei seiner auswärtigen Sitzung in Amsterdam, die milliardenschweren Nettoanleihekäufe mit 1. Juli einzustellen. Das Ende dieser Käufe hatte die EZB zuvor als Voraussetzung für eine Zinserhöhung definiert. Sie erwartet für das laufende Jahr eine durchschnittliche Teuerungsrate von 6,8 Prozent, so die EZB am Donnerstag. Noch im März waren 5,1 Prozent veranschlagt. Auch beim Wirtschaftswachstum korrigierte die EZB ihre ursprünglichen Prognosen. Statt 3,7 Prozent erwartet sie für heuer nur noch 2,8 Prozent.

Für und Wider der lockeren Politik

Lagarde kündigte weitere Schritte für den Herbst an, Fachleute rechneten vor der EZB-Sitzung mit einer Serie von Zinsschritten im laufenden Jahr. Mittelfristig strebt die EZB zwei Prozent Inflation als Idealwert für die Wirtschaft an. Dieses Niveau birgt aus ihrer Sicht für die Euro-Zone die meisten Vorteile.

EZB-Präsidentin Lagarde sagte am Donnerstag, die beschlossenen Maßnahmen seien einstimmig gebilligt worden. „Die hohe Inflation ist eine gewaltige Herausforderung für uns alle.“ Sie habe sich zuletzt verstärkt und ausgebreitet, sei „unerwünscht hoch“. Man müsse geduldig sein. „Erwarten wir, dass die Zinserhöhung im Juli unmittelbare Auswirkungen auf die Inflation haben wird? Die Antwort lautet: Nein“, so Lagarde.

Grafik zur Entwicklung der Leitzinssätze seit 2000
Grafik: APA/ORF.at

Fachleute fürchten, dass es immer schwerer wird, die Inflation wieder in normale Bereiche zu drücken, wenn erst eine Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt wurde. Getrieben wird die Inflation seit Monaten vor allem von steigenden Energiepreisen, die durch den russischen Angriff auf die Ukraine nochmals kräftig anzogen. Die EZB hatte die Märkte auch nach Kriegsbeginn weiter mit neuem Geld geflutet. Die Währungshüter hatten lange an der Einschätzung festgehalten, die steigende Inflation sei von Sonderfaktoren getrieben und daher vorübergehend. Die Geldschwemme sollte es zudem manchen europäischen Staaten möglich machen, ihre hohen Schulden zu refinanzieren und die Pandemiefolgen abzufedern.

Folgen für Kreditnehmer und Sparer

Dadurch litten andernorts die Verbraucherinnen und Verbraucher, die für ihr Geld weniger bekommen als noch vor Kurzem. Nun versucht die EZB eine Gratwanderung zwischen hoher Teuerungsrate und gestiegenen Risiken für die konjunkturelle Erholung. Das dürften nun die Kreditnehmer zu spüren bekommen.

Zinserhöhungen erhöhen die Kosten für Kredite und bremsen so die Nachfrage. Höhere Zinsen treffen vor allem diejenigen, die ein neues Darlehen brauchen oder eine Anschlussfinanzierung für einen Immobilienkredit. Bei laufenden Hypothekenkrediten ändert sich nichts an der Zinshöhe. Für den Staat wiederum wird es teurer, Geld aufzunehmen.

ORF-Wirtschaftsredakteur Bornemann analysiert die Erhöhung des Leitzinses

Dieter Bornemann von der ZIB-Wirtschaft spricht die Zinserhöhung der EZB an und berichtet, wie sehr man die Auswirkungen merken wird.

Auch für Sparer wird es durch den Schritt der EZB Änderungen geben. Ein Ende der Negativzinsen auf dem Girokonto zeichnet sich ab, wenn die Notenbank den negativen Einlagensatz anhebt. Derzeit müssen Banken 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Viele Institute geben diese Belastung an Privatkunden ab bestimmten Summen auf dem Konto als „Verwahrentgelt“ weiter.

Einige Banken haben bereits ein Ende ihrer Verwahrentgelte in Aussicht gestellt, sobald dieser Strafzins auf Bankeinlagen wegfällt. Bis Sparer wieder nennenswerte Zinsen auf ihr Erspartes bekommen, dürfte es allerdings noch dauern.

Kurse sinken

Die Börsen reagierten mit sinkenden Kursen auf die EZB-Entscheidungen. Die Wiener Börse weitete ihre Verluste am Donnerstagnachmittag wieder etwas aus. Der ATX stand mit einem Minus von 0,79 Prozent bei 3.337,19 Punkten. Auch der deutsche DAX sank weiter und fiel auf ein Monatstief. Der Euro Stoxx 50 und der FTSE 100 in London gingen ebenso hinunter.

Kritik aus Deutschland

Aus der deutschen Wirtschaft kam Kritik am Tempo der EZB. „Zu wenig und zu spät“, sagte der Präsident des deutschen Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura, der Nachrichtenagentur Reuters zu der angekündigten Zinswende. „Dieser Zeitplan ist immer noch zu zögerlich“, sagte auch der Hauptgeschäftsführer des deutschen Bankenverbandes, Christian Ossig.

Eine sofortige Erhöhung der Leitzinsen forderte auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. „Ein starkes Signal für einen entschiedenen Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik ist essenziell für die EZB, um die Inflationserwartungen fest zu verankern und damit ihre Glaubwürdigkeit zu schützen“, erklärte Fratzscher. Zwar hätte eine Zinserhöhung zu Unruhe an den Finanzmärkten führen können. „Dies wäre jedoch ein deutlich geringeres Übel als ein zu starker Anstieg der Inflationserwartungen.“