Teilnehmer der Wiener Regenbogenparade
APA/Hans Punz
LGBTQ-Rechte

Österreich als Spitzenreiter und Schlusslicht

Jährlich wird im Juni – dem „Pride Month“ – für die Rechte von LGBTQ-Personen demonstriert. Denn auch innerhalb Europas ist die rechtliche Stellung von Homo- und Bisexuellen sowie Trans- und Interpersonen zum Teil noch sehr schlecht – trotz bindender Beschlüsse des Europarates. Im vermeintlichen Nordost-Südwest-Gefälle liegt Österreich nicht nur geografisch im Mittelfeld.

Während einige Länder „weiterhin positive Fortschritte machen“, sei es „besorgniserregend“, dass andere Länder „neue Formen der Diskriminierung von LGBTQ-Personen einführen“, resümiert ILGA Europe, eine Interessensvertretung, die sich auf europäischer Ebene für Homo- und Bisexuelle sowie Trans- und Interpersonen einsetzt. Seit 2009 errechnet ILGA Europe jährlich den Regenbogenindex, um den Stand der Gleichberechtigung von LGBTQ-Personen in Europa abzubilden.

In den sieben Kategorien Gleichstellung und Nichtdiskriminierung, Familie, Hassverbrechen und Hassrede, rechtliche Anerkennung des Geschlechts, körperliche Unversehrtheit, Zivilgesellschaft und Asyl wird die Umsetzung von Gesetzen bewertet und gewichtet und anschließend zu einer Gesamtpunktezahl addiert. Das Ergebnis: eine Europakarte mit vermeintlichem Nordost-Südwest-Gefälle.

Regenbogenindex 2022: Abstufung der Länder nach ihrer jeweiligen rechtlichen und politischen Praxis für LGBTQ-Personen auf einer Skala von null bis 100 Prozent. Informationen zu den einzelnen Ländern per Klick verfügbar

Nordost-Südwest-Gefälle mit Vorbehalten

Allerdings gebe es durchaus politisch motivierte Bemühungen, diese vermeintlichen Kluften zu verstärken, erklärt Katrin Hugendubel, Interessensvertreterin bei ILGA Europe auf ORF.at-Anfrage: „Viele politische Figuren in Europa, die sich als Verteidiger sogenannter traditioneller und nationaler Werte präsentieren, schüren die vermeintliche Ost-West-Spaltung für ihren eigenen politischen Gewinn – einschließlich der Verwendung von LGBTQ-Personen als Sündenböcke.“

Entgegen dem Schein, dass östlich gelegene Länder zurückliegen, gebe es in diesen Regionen sehr wohl positive Entwicklungen. Etwa in Griechenland, Lettland, Litauen, Serbien, Slowenien und der Slowakei habe es eine Verbesserung der LGBTQ-Rechte gegeben. Gleichzeitig „ist im Westen auch nicht alles rosig“, so Hugendubel weiter. In Großbritannien sei es zu signifikanten Verschlechterungen gekommen und auch in den Niederlanden stehe eine Überarbeitung des Diskriminierungsschutzes aus.

CoV-Krise als Vorwand

Auch im Zusammenhang mit der CoV-Krise wurden in einigen Ländern Verordnungen beschlossen und umgesetzt, welche die Rechte von LGBTQ-Personen einschränken, heißt es im jährlichen Bericht von ILGA Europe: „Der Ausnahmezustand hat es Regierungen ermöglicht, Gesetze, die nichts mit der Pandemie zu tun haben, aber LGBTQ-Rechte direkt angreifen, im Schnellverfahren zu verabschieden.“

Für großen Protest hat etwa das im Juni in Ungarn verabschiedete Anti-Pädophilen-Gesetz gesorgt. Es untersagt, Menschen unter 18 Jahren Informationen über Homosexualität, Transsexualität und Geschlechtsumwandlungen zukommen zu lassen. Das betrifft unter anderem auch den Verkauf von Kinderbüchern mit Inhalten, die von der heterosexuellen Norm abweichen.

Gegen das Inkrafttreten des Gesetzes gab es vorab zahlreiche Proteste von Menschenrechtsorganisationen und der LGBTQ-Gemeinschaft – jedoch ohne Erfolg. Die EU leitete als Reaktion auf das Gesetz ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein. Es befindet sich seit Dezember in der zweiten Stufe. Eine Anfrage bei der EU-Kommission dazu blieb unbeantwortet.

Andere Grundrechte auch gefährdet

Zudem bestehe ein klarer Zusammenhang der LGBTQ-Rechte mit anderen Grundrechten wie Medienfreiheit und Unabhängigkeit der Justiz, schreibt ILGA Europe zur Auswertung des jüngsten Index. In Ländern, in denen „die Freiheit der Medien oder der Justiz angegriffen wird“, seien Voreingenommenheit etwa in Gerichtsverfahren, Verleumdungskampagnen und Zensur von LGBTQ-Inhalten sowie politische Einmischung häufiger anzutreffen.

Angriffe auf die Justiz und somit auf LGBTQ-Rechte seien vor allem in Polen der Fall, „wo das Justizministerium seine Befugnis gebraucht, um etwa wiederholt Berufung gegen Urteile einzulegen, die zugunsten von LGBTQ-Angeklagten gefällt wurden“.

In fast der Hälfte der Länder gebe es nach wie vor „erhebliche Lücken im Hinblick auf den grundlegenden Schutz vor Diskriminierung und Gewalt“, so Hugendubel: „Derzeit gibt es in 20 von 49 Ländern immer noch keinen Schutz vor Hassverbrechen aufgrund der sexuellen Orientierung, während 28 Länder keinen Schutz vor Gewalt aufgrund der Geschlechtsidentität haben.“

Österreich zwischen Aufholbedarf und Vorsprung

Wenn auch die Situation in Österreich nicht mit jener in Ungarn zu vergleichen ist, sind Diskriminierung und Benachteiligung für viele Menschen der LBGTQ-Gemeinschaft trotzdem Alltag. Im Ranking des Index spiegelt sich das in einer Platzierung um die 50 Prozent jährlich wider – zuletzt bei rund 48 Prozent.

Österreich habe in den letzten Jahren zwar gewaltige Fortschritte gemacht, aber „insbesondere bei der Gleichbehandlung und beim Diskriminierungsschutz ist Österreich Schlusslicht in Europa“, erklärt Helmut Graupner, Rechtsanwalt und Präsident des Rechtskomitees Lambda im Gespräch mit ORF.at. Zuletzt wurde das lange kritisierte Blutspendeverbot für Homosexuelle aufgehoben.

„Mittelalterliche“ Lücke beim Diskriminierungsschutz

Am Arbeitsplatz ist die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung zwar verboten, aber außerhalb des Arbeitsplatzes gibt es nur einen Diskriminierungsschutz aufgrund des Geschlechts. „Es ist in Österreich also erlaubt, Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung etwa aus dem Taxi beziehungsweise dem Restaurant zu werfen oder Dienstleistungen zu verweigern“, erklärt Graupner. Damit sei Österreich beim Diskriminierungsschutz ganz weit hinten. Dem widersprach allerdings Peter Lackner Geschäftsführer der Sparte Transport und Verkehr Wirtschaftskammer Steiermark. In Österreich bestehe Beförderungspflicht, der Lenker muss jeden Fahrgast befördern mit wenigen Ausnahmen, die die Sicherheit betreffen, so Lackner.

Kommt es zu einer Anzeige, stellen sich weitere Hindernisse, so Graupner – etwa beim Tatbestand der Verhetzung. „Seit zehn Jahren wird im Tatbestand der Verhetzung endlich auch die sexuelle Orientierung als Grund genannt“, so Graupner. Beschimpfungen sind jedoch durch zwei Einschränkungen bedingt.

Zum einen durch die Absicht, dass damit die Menschenwürde verletzt wird. Und zum anderen muss die Beschimpfung geeignet sein, die betreffende Bevölkerungsgruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen. „Im Internet ist die Absicht, die Menschenwürde herabzuwürdigen, schwer nachzuweisen“, erläutert Graupner. Anzeigen würden daher kaum fruchten.

Rechtliche und soziale Anerkennung des Geschlechts

Auf Ebene der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts besteht in Österreich ebenso Aufholbedarf. Zwar sieht ILGA Europe laut jährlichem Bericht im Bereich der körperlichen Unversehrtheit von Interpersonen positive Entwicklungen. Trotzdem erlangt Österreich in diesem Bereich satte null Prozent. Der Schnitt aller europäischen Länder liegt mit vier Prozent allerdings nicht viel darüber.

Im Juni des vergangenen Jahres adaptierte das österreichische Parlament etwa eine Resolution, die intergeschlechtliche Kinder vor ungefragten und medizinisch nicht notwendigen Eingriffen schützen soll. Zudem wurde 2021 die erste Geburtsurkunde mit der Geschlechtsbezeichnung „inter“ ausgestellt.

Auch bei der Definition des Diskriminierungsgrundes Geschlecht sieht Graupner Luft nach oben: „Es wäre auch wünschenswert, den Diskriminierungsgrund noch zu präzisieren und zwar um Geschlechtsidentität und Geschlechtsmerkmal.“ Derzeit unterscheidet das Gesetz nicht zwischen dem biologischen Geschlecht, also den körperlichen Geschlechtsmerkmalen einer Person, und dem sozialen Geschlecht, der Geschlechtsidentität mit der sich eine Person identifiziert.

Ähnlich unvollständig ist auch die Datenlage zu Hassverbrechen und Hass im Netz. Eine Aufschlüsselung der Strafanzeigen mit Vorurteilsmotiv nach dem jeweiligen Diskriminierungsgrund gibt es kaum bis gar nicht. Zum einen werden Vorurteilsmotive oft gar nicht erfasst, zum anderen kann nur erfasst werden, was auch angezeigt wird.

LGBT-Historiker Brunner zu den dunklen Zeiten

Moderator Martin Thür begibt sich mit dem LGBT-Historiker Andreas Brunner auf einen historischen Stadtspaziergang durch das schwule Wien der Monarchie, über die dunkelste Zeit, den Nationalsozialismus, bis hin zum Wien der Jetztzeit.

Hass im Netz: Theorie versus Praxis

In vielen EU-Mitgliedsstaaten beobachtete ILGA Europe eine Häufung von Hass und Gewaltandrohung bis hin zu Morddrohungen – vor allem im Internet – gegenüber Personen der LGBTQ-Gemeinschaft. Das werde durch die „zunehmende LGBTQ-feindliche Rhetorik von Politikerinnen und Politikern sowie anderen führenden Persönlichkeiten angeheizt“, so Hugendubel.

In Österreich ist Anfang des Jahres das Gesetzespaket gegen „Hass im Netz“ in Kraft getreten. Es soll den Prozess beschleunigen, Hasskommentare zu entfernen, mehr strukturelle und finanzielle Unterstützung für Opfer bieten und Onlineplattformen bestrafen, die sich nicht an die gesetzlichen Vorgaben halten. Doch der Weg von der gesetzlichen Theorie zur täglichen Praxis ist lang.

Zwischen November 2020 und April 2021 hat das Innenministerium die systematische Erfassung von Vorurteilsmotiven bei Strafanzeigen begonnen. Laut Pilotbericht des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) wurden im untersuchten Zeitraum 97 Hassverbrechen registriert, die aufgrund der sexuellen Orientierung begangen wurden, sowie 129 aufgrund des Geschlechts.

Transphobe Hassverbrechen etwa wurden sowohl unter „Geschlecht“, aber auch fälschlicherweise unter „sexuelle Orientierung“ registriert, kritisiert ILGA Europe. Die Erfassung der Daten sei aber „zum überwiegenden Teil vom Anzeigeverhalten der Bevölkerung“ sowie der „Ermittlungs- und Dokumentationspraxis der Polizei“ abhängig, heißt es im Bericht.

Die Abschaffung des Paragraphen 209

2022 jährt sich die Aufhebung des Diskriminierungsparagraphen 209, der ein unterschiedliches Schutzalter für sexuelle Handlungen von schwulen Männern gegenüber anderen Menschen geregelt hat, durch den Verfassungsgerichtshof zum 20. Mal.

Fehlende Umsetzung der Rahmenbedingungen

Besonders auf EU-Ebene zeige sich, dass es keine weiteren Rahmenbedingungen benötige, sondern bestehende Gesetze, wie etwa die 2020 beschlossene Strategie zur Gleichstellung von LGBTQ-Personen, umgesetzt werden müssten, so Hugendubel: „Wir fordern die Europäische Kommission und den Rat außerdem auf, die Rechtsstaatlichkeit dort zu wahren, wo sie verletzt wurde.“

Nicht nur innerhalb der EU, sondern auch in ganz Europa ist durch die Europäische Menschenrechtskonvention eigentlich ein guter Diskriminierungsschutz vorhanden. Österreich habe auch eine gute Geschichte, was die Umsetzung von Europaratsbeschlüssen betreffe, so Graupner. Dass aber eine „Top Priority“ wie der Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung auch außerhalb des Arbeitsplatzes noch immer nicht umgesetzt wurde, sei erstaunlich.