Lehrerinnen im Lehrerzimmer mit Schild Aufschrift Lehrerzimmer neben der Türe
ORF.at/Carina Kainz
Sorge vor Herbst

Österreich gehen die Lehrkräfte aus

Die Sommerferien stehen vor der Tür – bei der Personalsituation an Österreichs Schulen ist allerdings keine Entspannung in Sicht. Bereits seit Jahren gibt es in einigen Fächern zu wenig Lehrerinnen und Lehrer, eine Pensionierungswelle und die Pandemie haben die Lage nun weiter verschärft. Gewerkschaften fordern rasche Maßnahmen, das Bildungsministerium möchte vor allem auf Quereinsteiger setzen.

Die Zahl der Kinder und Jugendlichen im Pflichtschulalter wird bis 2030 laut dem Nationalen Bildungsbericht 2021 um mehr als fünf Prozent steigen – im gleichen Zeitraum geht jedoch ein Viertel der Lehrkräfte an Volksschulen und ein Drittel an Mittelschulen in Pension. „Eine ausreichende Rekrutierung von neuen Lehrkräften bleibt somit eine wesentliche Herausforderung, um dem Szenario eines Lehrermangels zu entgehen“, so der Bericht. Aus der Sicht von Vertreterinnen und Vertretern der Lehrer- und Elterngewerkschaft ist das Szenario allerdings längst eingetreten.

„Fakt ist, dass bereits in jedem Bundesland Lehrermangel herrscht – von Kindergartenpädagogik angefangen bis hin zu den Professoren“, so die Vorsitzende des Dachverbandes für Elternvereine, Evelyn Kotterer, im Gespräch mit ORF.at. Das liege vor allem an den Pensionsantritten der geburtenstarken 1960er-Jahrgänge. Einige ältere Lehrpersonen hätten sich auch der zunehmenden Digitalisierung durch die Pandemie nicht mehr aussetzen wollen und seien darum in Frühpension gegangen.

„Viele Lehrerinnen und Lehrer sind am Rand ihrer Kräfte wegen vermehrten Supplierungen für Kolleginnen und Kollegen, die zu einer Risikogruppe gehören, schwanger oder in Quarantäne sind“, berichtet auch Bernd Kniefacz von der Österreichische Lehrer*innen-Initiative (ÖLI-UG). Die Anfragen an die Personalvertretungen bezüglich Ausstiegsszenarien aus dem Lehrberuf würden sich häufen, da das Hin und Her zwischen Distance Learning und Vor-Ort-Unterricht sowie das Ansteckungsrisiko in vollen Klassen belaste, so Kniefacz.

Vorarlberg besonders betroffen

Obwohl das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung auf ORF.at-Anfrage keine Daten zur Verfügung stellen konnte, bestätigen Auskünfte der regionalen Bildungsdirektionen einen bundesweiten Lehrpersonalmangel. Vor allem in Vorarlberg sei die Lage „schon seit einigen Jahren“ angespannt. Im Bundesschulbereich seien vor allem naturwissenschaftliche, fachpraktische und kreative Fächer sowie Bewegung und Sport betroffen.

Besonders in Hinblick auf das kommende Schuljahr habe sich die Lage im Volks- und Sonderschulbereich nochmals verschärft, so die Vorarlberger Bildungsdirektion. Hier seien aktuell noch zwölf klassenführende Stellen offen. Im Pflichtschulbereich seien 250 Stellen ausgeschrieben, an den Mittelschulen und Polytechnischen Schulen würden noch 17 Fachlehrpersonen fehlen.

Seit März 2022 gebe es in der Bildungsdirektion auch eine eigene Stelle, die sich mit allen Maßnahmen zur Rekrutierung von Lehrpersonen, wie etwa Werbung für das Image des Lehrberufs, beschäftige. „Seit Jahren ist die Abwanderung von Arbeitskräften in Pflichtschulen in Vorarlberg in die Schweiz und nach Liechtenstein sehr stark“, berichtet Thomas Bulant von der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG-GÖD).

Schild mit Aufschrift Lehrerzimmer in einer Schule
ORF.at/Zita Klimek
Während es in manchen Fächern zu wenig Lehrende gibt, gibt es etwa in Geografie mehr Bewerber als freie Stellen

Ukraine-Krieg und Pandemie verschärfen Lage

Obwohl der Unterricht in Tirol im Laufe des Schuljahres immer sichergestellt werden konnte, gab und gebe es nach wie vor auch hier Engpässe, berichtet die Tiroler Bildungsdirektion, etwa an den Pflichtschulen. In der Steiermark sei das Unterrichtsangebot zwar weitgehend gesichert, dennoch gebe es vor allem in den peripheren Regionen und in gewissen Fächern zu wenig Bewerbungen. Als Folge des Krieges in der Ukraine seien auch zusätzliche Deutschförderklassen geschaffen worden, was ebenfalls zu einem erhöhten Personalbedarf führe.

In Wien werden vor allem in der Volksschule ausgebildete Bewerberinnen und Bewerber gesucht, in Oberösterreich ist man „in allen Bezirken auf der Suche nach engagierten und motivierten Personen“. In Kärnten seien etwa auch Demografie und geografische Gegebenheiten sowie die Struktur mit Klein- und Kleinstschulen ein Problem. In der Pandemie habe sich die Situation weiter verschärft.

In Niederösterreich habe man „an allen Hebeln gedreht und verschiedenste Maßnahmen gesetzt“, um dem Lehrermangel entgegenzuwirken. Für das kommende Schuljahr 2022/23 seien 600 Lehrpersonen aufgenommen worden, wobei auch über 65-Jährige weiter beschäftigt wurden.

MINT-Fächer als größte Baustelle

Vor allem in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – den MINT-Fächern – berichten fast alle Bundesländer von einem Mangel, wobei im Burgenland „die Ressourcen bislang gedeckt sind“. In Wien würden insbesondere für Physik, Chemie, Mathematik und Informatik Lehrkräfte fehlen, im berufsbildenden Bereich seien vor allem die Bereiche Elektronik, Elektrotechnik und Informatik betroffen.

„Viele, die diese Bereiche interessieren, wollen auch praktisch arbeiten, etwa in der Forschung oder in der Industrie, weil das auch gehaltlich sehr attraktiv ist“, so der Wiener Bildungsdirektor Heinrich Himmer gegenüber ORF.at. „Wir erleben jetzt, dass die Leute gerne vorher außerhalb der Schule arbeiten wollen, um dann später zurückzukommen.“

Um die Situation zumindest für das kommende Schuljahr zu entschärfen, müssten gezielt Quereinsteigerinnen und -einsteiger aus der Wirtschaft und insbesondere dem IT-Bereich angeworben werden, fordert Kotterer vom Dachverband für Elternvereine. „Hier muss jetzt schon für das kommende Schuljahr vorgeplant werden, hier muss eine gesetzliche Grundlage her. Damit jene, die aus der Wirtschaft kommen und kurzfristig aushelfen, auch tatsächlich abgesichert sind.“ Zudem müsse Quereinsteigern ermöglicht werden, über den Sommer etwa Pädagogikseminare zu besuchen.

Kritik an Reform der Lehrerausbildung

Neben zu wenig Personal im MINT-Bereich stellt auch ein Mangel an Vollzeitarbeitskräften ein Problem dar, weshalb die Lehrerausbildung in der Kritik steht. Der Umstand, dass Bachelor-Absolventinnen und -Absolventen eine Induktionsphase mit Begleitverstanstaltungen und in maximal fünf Jahren das Masterstudium absolvieren, resultiere in „zahlreichen Teilbeschäftigungen mit teilweise sehr geringem Beschäftigungsausmaß“ und „veritablen organisatorischen Problemen“, so die Bildungsdirektion Tirol.

In Wien stelle in dieser Hinsicht vor allem das „extreme Wachstum“ der Bevölkerung ein Problem dar. „Die Pensionierungen alleine könnte man natürlich stemmen, aber wir brauchen derzeit für eine zu besetzende Stelle eineinhalb bis zwei Menschen“, so der Wiener Bildungsdirektor. Pro Jahr stelle Wien bis zu 100 zusätzliche Klassen mehr zur Verfügung, so Bulant vom FSG-GÖD. Seit 2012 sei die Anzahl von Pflichtschülerinnen und -schülern in Wien um fast 30 Prozent gestiegen.

Regional unterschiedliche Lösungsansätze

Um eine Verschärfung der Situation im Herbst zu vermeiden, setzen die Bundesländer in Mangelfächern etwa auf Mehrdienstleistungen, Sonderverträge und pensionierte Pädagogen. In Oberösterreich habe man zudem bereits vergangenen Herbst gezielt Maturantinnen und Maturanten angesprochen, um den Lehrerberuf bei potenziellen Nachwuchskräften zu attraktivieren.

Wien möchte sich weiterhin eng mit Niederösterreich und dem Burgenland absprechen und langfristig auch auf eine Internationalisierung der Lehrkräfte setzen. In Kärnten wurden bereits Karenzierungen gegen Entfall der Bezüge für das kommende Schuljahr nicht genehmigt, im Volksschulbereich sei schon eine größere Anzahl an „springenden Lehrpersonen“ angestellt worden, die zur Vertretung von Krankenständen eingesetzt werden.

Lehramtsstudierende nicht überfordern

Zusätzlich setzen die Bundesländer verstärkt auf den Einsatz Lehramtsstudierender. Bei der Aufstockung der Stunden der Studierenden müsse man langfristig aber aufpassen, dass diese nicht frühzeitig ausbrennen, gibt AHS-Vertreter Herbert Weiß zu bedenken. „Wir haben noch nie so viele Anfragen von jungen Kolleginnen und Kollegen bekommen, die sagen, sie wollen aus dem System wieder raus, weil sie überfordert sind."

Gerade der Berufseinstieg sei für Junglehrerinnen und -lehrer mit mehr Stress verbunden, da man alle Unterrichtsmaterialien erst erstellen müsse und noch weniger Erfahrung mitbringe, berichtet etwa ein Geografie- und Sportlehramtsstudent. Zudem seien die Seminare an Universitäten nicht an die Schulstundenpläne angepasst und hätten eine Anwesenheitspflicht, was sich oft nicht mit längeren Anreisezeiten vereinbaren lasse.

Zettel auf Pinwand in einer Schule, die anzeigen, in welchem Raum sich ein Lehrer sich gerade aufhält
ORF.at/Zita Klimek
Lehramtsstudierende können laut Gewerkschaften die Lücke der fehlenden Lehrkräfte nicht füllen

Bildungsministerium setzt auf Quereinsteiger

Das Bildungsministerium verweist auf Anfrage von ORF.at darauf, dass in den Bundesländern noch die Bewerbungsverfahren für das kommende Schuljahr liefen, wodurch eine finale Bewertung erst im Herbst vorliegen würde. Als zentrale Maßnahme zur kurzfristigen Gegensteuerung sehe man jedoch die kommende Dienstrechtsnovelle, durch die der Quereinstieg rechtlich verankert wird. Mit dem „Quereinstieg Neu“ könnten Bewerberinnen und Bewerber mit fachverwandten Studien sofort und mit vollen Bezügen ohne Sondervertrag in den Lehrerberuf einsteigen.

Zudem wolle man dienstrechtlich ermöglichen, dass alle Personen, die ein Lehramt abgeschlossen haben, an Allgemeinbildenden Pflichtschulen (APS) angestellt werden können. „Wichtig wird es jedenfalls langfristig sein, dass das Image des Lehrberufs verbessert wird“, so das Bildungsministerium. Hier arbeite man derzeit intensiv an entsprechenden Maßnahmen.