Magnus Brunner, Werner Kogler, Karl Nehammer und Johannes Rauch
APA
Boni und Reformen

Regierung präsentiert Entlastungspaket

Die Regierung hat Dienstagfrüh ihr großangelegtes Paket gegen die Teuerung präsentiert. Die größten Brocken: Nach jahrzehntelangem Hin und Her soll die kalte Progression abgeschafft werden, zudem wurde eine Senkung der Lohnnebenkosten angekündigt. Diverse Sozialleistungen sollen künftig automatisch an die Inflation angepasst werden. Weiters gibt es eine Fülle an Einmalzahlungen: die Anhebung des Klimabonus auf 500 Euro, 180 Euro Zusatzzahlung bei der Familienbeihilfe pro Kind im August, eine Erhöhung des Familienbonus und eine Extrazahlung für geringe Einkommen über 300 Euro.

Insgesamt sechs Milliarden Euro sollen kurzfristig für das Paket aufgewendet werden – fünf Milliarden Euro für die Haushalte, eine Milliarde Euro für die Wirtschaft. Es werde in Sofortmaßnahmen und Strukturreformen geteilt, wobei Erstere im Laufe der kommenden Monate etappenweise ausgezahlt werden sollen. Die Strukturreformen sollen ab 2023 umgesetzt werden.

Die kurzfristigen Maßnahmen: Der Klimabonus wird für die gesamte Bevölkerung um einen „Antiteuerungsbonus“ ergänzt und von geplanten 250 auf 500 Euro angehoben. Für Kinder gibt es die Hälfte, Arbeitslose und Mindestpensionisten bekommen 300 Euro zusätzlich. Dieses Geld soll im Herbst ausgezahlt werden, laut Plan im Oktober.

Milliardenschweres Paket gegen Teuerung

Die Regierung hat ein 28 Milliarden Euro schweres Paket gegen die Teuerung vorgestellt. Es besteht aus Einmalzahlungen und Strukturmaßnahmen wie der Abschaffung der kalten Progression.

Mehr Familienbeihilfe, höherer Familienbonus

Familien sollen bereits im August eine Zusatzzahlung von 180 Euro pro Kind bekommen. Eine Reform des Familienbonus wird vorgezogen, pro Kind und Jahr soll es künftig 2.000 Euro geben. Ebenfalls über das Steuersystem soll es einen „Teuerungsabsetzbetrag“ über 500 Euro geben, der bei Erwerbstätigen und Pensionisten mit geringen Einkommen stärker wirken soll.

Pensionistinnen und Pensionisten sollen so laut Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) zwischen 500 und 1.000 Euro zurückbekommen, Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ebenfalls. Familien mit Kindern profitieren mit bis zu 900 Euro pro Kind. Menschen, die keine Steuern zahlen, werde unmittelbar mit bis zu 800 Euro geholfen, auch hier würden Kinder berücksichtigt. Die CO2-Abgabe soll auf Oktober verschoben werden, geplant wäre sie für Juli gewesen. Weiters wurde eine Verlängerung des Delogierungsschutzes angekündigt.

Kalte Progression soll abgeschafft werden

Die größeren Brocken des ambitionierten Pakets sind die tiefgreifenden Steuerreformen. So soll die kalte Progression für alle Stufen bis auf die höchste als „heimliche schleichende Steuererhöhung“ abgeschafft werden – ein Vorhaben, das sich schon viele Regierungen auf die Fahnen geschrieben haben. Dazu soll über den Sommer ein Gesetz gefertigt werden. Die Steuerstufen sollen erstmals am 1. Jänner 2023 und dann jährlich an die Inflation angepasst werden. WIFO und IHS sollen einen jährlichen Progressionsbericht erstellen. Nach diesem sollen Mehreinnahmen des Staates zu zwei Dritteln automatisch, zu einem Drittel „manuell“ verteilt werden.

Diverse Sozialleistungen – beispielsweise Studienbeihilfe, Krankengeld und Familienbeihilfe – sollen künftig an die Entwicklung der Inflation angepasst werden, ebenso gewisse steuerliche Absetzbeträge wie der Pensionistenabsetzbetrag. All das soll laut Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) 21 Milliarden Euro kosten, das entspreche dem Volumen mehrerer Steuerreformen. Vor allem bei den Sozialleistungen gehe es um „mehr Sicherheit“.

Wirtschaft: Strompreiskompensation, steuerfreie Prämie

Auch für die Wirtschaft wird ein Paket über eine Milliarde Euro geschnürt. Hier soll es vor allem eine Strompreiskompensation sowie Zuschüsse für energieintensive Unternehmen geben. Beide Maßnahmen sollen noch heuer wirksam werden. Sie seien auch bereits ausgehandelt, die Details sollen aber erst am Mittwoch nach dem Ministerrat präsentiert werden, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums zur APA.

Weiters soll ermöglicht werden, dass Arbeitgeber ihren Beschäftigten steuerfrei eine Art „Teuerungsprämie“ auszahlen können. Das sei auch ein wichtiges Signal für die Lohnverhandlungen im Herbst. Auch eine Reduktion der Lohnnebenkosten über 600 Millionen Euro im Jahr soll kommen – der Unfallversicherungsbeitrag soll um ein Zehntel, der Familienlastenausgleichsfonds um 3,7 Prozent reduziert werden.

„Nicht mit der Gießkanne“

„Das Thema Teuerung und Inflation ist eines, das uns jetzt schon viele Monate beschäftigt“, so Nehammer. Man müsse, wo möglich, die Folgen der Teuerung abmildern. Die Teuerung sei ein Phänomen, das nicht so schnell verschwinden wird. Man habe entschieden, den Menschen das Geld zurückzugeben, das ihnen die Inflation genommen hat.

Einkaufswagen mit Lebensmittelprodukten im Supermarkt
ORF.at/Zita Klimek
Der tägliche Einkauf ist erheblich teurer geworden

„Wir verteilen diese Entlastung nicht mit der Gießkanne“, so Nehammer. Man wolle punktuell entlasten, damit die Inflation nicht noch durch mehr Geld auf dem Markt angeheizt werde. Deswegen soll es strukturelle Änderungen geben. Kogler sprach mit Verweis auf die Strompreise von einer „fossilen Inflation“, daher müsse man die Energiewende vorantreiben. Das Paket müsse so rasch und treffsicher wie möglich sein und dürfe keine falschen Anreize setzen. Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) zeigte sich überzeugt, dass „alle diese Maßnahmen Armut bekämpfen und Armut verhindern werden“. Er sieht insbesondere einen Beitrag gegen Kinderarmut.

Brunner: Hälfte durch Mehreinnahmen finanziert

Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) bezeichnete die Abschaffung der kalten Progression als Frage der Fairness, denn der Staat profitiere von der starken Inflation. Die Steuerzahler würden sich damit bis 2026 abhängig von der Inflationsentwicklung 15 bis 20 Milliarden Euro ersparen. „Es ist ein gewaltiger Wurf.“

Laut Brunner soll sich rund die Hälfte des Pakets über Mehreinnahmen finanzieren, die durch Inflation und Mehrwertsteuer generiert wurden. Ein Drittel soll sich durch angekurbelten Konsum und steigende Wirtschaftsleistung selbst finanzieren. Man rechne mit 24 bis 25 Milliarden Euro an Gegenfinanzierung, der Rest ergebe einen gewissen Reformdruck.

Opposition unzufrieden

Von diversen Wirtschafts- und Industrievertretern, anderen Ministerien, grünen und schwarzen Länderorganisationen und Funktionären, der Arbeiterkammer und mehreren Wohlfahrtsorganisationen gab es weitgehend lobende Worte für das Paket, wenngleich diese sich in Detailpunkten mitunter mit Kritik mischten.

Weniger glücklich zeigte sich hingegen die Opposition. SPÖ-Finanzsprecher Kai Jan Krainer sagte, dass durch das Paket kein einziger Preis sinke und kein einziger Profiteur dadurch eine höhere Steuer zahle. Er kritisierte unter anderem, dass es keine Übergewinnsteuer für profitierende Konzerne gebe und sich Pensionisten und Arbeitnehmer das Paket weitgehend selbst zahlen würden.

FPÖ: „Unglaublich kompliziert“

FPÖ-Klubchef Herbert Kickl erkannte ein „unglaublich kompliziertes Paket“, statt dessen besser ein „Tritt-zurück-Paket“ der gesamten Regierung präsentiert worden wäre. Denn dieses hätte den Weg frei gemacht für eine echte Bekämpfung der Ursachen der Teuerung. Er nannte die „unverantwortliche Corona-Maßnahmen-Politik mit Dauerlockdowns“ ebenso wie das „Knieschuss-Öl- und -Gasembargo“ gegen Russland. Ein solches existiert derzeit nicht.

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger rechnete die Abschaffung der kalten Progression unter anderem der guten Oppositionsarbeit von NEOS zu. Dass der Schritt gemacht werde, anerkannte sie entsprechend „sehr“: „Das ist nicht nichts.“ Jetzt müsse man hoffen, dass die Regierung halte und der Traum nicht wieder zerplatze. Abgesehen davon hätte es Meinl-Reisinger bevorzugt, wäre die kalte Progression rückwirkend abgeschafft worden, statt mit Bonuszahlungen wieder die Gießkanne zu betätigen.

Weiterer Bonus in Wien

Auch Wien verkündete am Dienstag weitere Schritte gegen die Teuerung: Bürgermeister Michael Ludwig und Finanzstadtrat Peter Hanke (beide SPÖ) kündigten einen „Energiebonus“ von 200 Euro für rund 650.000 Wiener Haushalte an – mehr dazu in wien.ORF.at.