Zerstörte Eisenbahnbrücke am ukrainischen Fluss Siwerskyj Donez
APA/AFP/Yasuyoshi Chiba
Krieg im Donbas

Fluss quert Russlands Pläne

Die Frontverläufe zwischen russischen und ukrainischen Truppen in der Schlacht im Donbas haben sich in den vergangenen Wochen nur minimal verschoben. Ein Grund dafür ist eine natürliche Barriere: der Fluss Siwerskyj Donez. Vor rund einem Monat endete ein russischer Querungsversuch in einem Desaster. Seitdem agieren die russischen Truppen extrem vorsichtig – und sprengen überraschenderweise sogar ihrerseits Brücken über den Fluss.

Auch nach Einschätzung britischer Geheimdienste dürften Flussquerungen in der kommenden Phase des Krieges eine entscheidende Rolle spielen. Ein zentraler Teil des russischen Frontverlaufs im Donbas liege westlich des Flusses Siwerskyj Donez, hieß es am Montag in einem Update des britischen Verteidigungsministeriums. Dieser würde rund 90 Kilometer umfassen.

Um weitere Fortschritte im Donbas zu erzielen, müsse Russland daher entweder komplizierte Flankenangriffe durchführen oder Flussquerungen unternehmen. Bisher sei es den Russen oft nicht gelungen, unter Beschuss großangelegte Überquerungen von Flüssen erfolgreich zu meistern. Die Ukrainer hätten es hingegen mehrfach geschafft, vor ihrem Rückzug Brücken zu zerstören.

Verwunderung über russische Strategie

Umgekehrt zerstörten russische Truppen zuerst zwei und mittlerweile auch die dritte Brücke in der Region der umkämpften Stadt Sjewjerodonezk, wie der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Gajdaj, am Montagabend per Telegram bestätigte. Zivilpersonen in Sicherheit zu bringen sei nun nicht mehr möglich, doch es bleibe noch ein gewisser „Zugang“ zur Stadt.

Diese Strategie verwundert auch die Militäranalysten des US-Thinktanks Institute for the Study of War. In deren täglicher Lageeinschätzung war vor Kurzem zu lesen: „Die russischen Streitkräfte sollten im Prinzip versuchen, die Brücken zu erobern, anstatt sie zu zerstören, da die russischen Truppen Schwierigkeiten haben, den Fluss Siwerskyj Donez zu überqueren.“ Das Ziel der Zerstörung sei wohl, den verbliebenen ukrainischen Verteidigern in Sjewjerodonezk den Rückweg abzuschneiden.

Russland müsste über Flanken ausweichen

Nur: Ob der Erfolg, eine mittlerweile relativ kleine Anzahl von Verteidigern zu fassen, die Kosten einer „umkämpften Flussüberquerung für die russischen Truppen wert wäre“, wird in der Einschätzung bezweifelt. Die vollständige Eroberung Sjewjerodonezks gilt eher als symbolischer Erfolg, tatsächlich strategisch wichtig ist die Einnahme eher nicht.

Laut dem Institute for the Study of War rechnet Russland wahrscheinlich damit, von den Stellungen um die Orte Toschiwka und Popasna aus nach Norden durchzubrechen und dann die gegenüber Sjewjerodonezk liegende und durch den Fluss getrennte Stadt Lyssytschansk einzukesseln. Bisher waren diese Vorstöße aber kaum erfolgreich.

Heftiger Artilleriebeschuss – aber kaum Landgewinne

In der bisherigen Schlacht im Donbas zeigt sich fast überall ein ähnliches Bild: Die russischen und separatistischen Truppen aus den selbst ernannten „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk feuern mit ihrer Artillerie aus allen Rohren, fügen den ukrainischen Truppen schwere Verluste zu und zerstören Städte und Orte, haben aber gleichzeitig enorme Probleme, das in Gebietsgewinne umzusetzen.

Das zeigt sich nicht nur in der näheren Umgebung von Sjewjerodonezk. Der Siwerskyj Donez entspringt in Russland und fließt von dort in die Ukraine, im Donbas bildet er eine Landschaft mit mäandernden Altarmen, Lacken, Überschwemmungs- und Sumpfgebieten. „In anderen Worten: ein Alptraum für einen militärischen Angriff“, hieß es auf CNN.

Der Fluss Siwerskyj Donez in der Ukraine
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Aulandschaft im nördlichen Teil des Siwerskyj Donez in der Oblast Charkiw

Desaster Anfang Mai

Bei dem Versuch der russischen Truppen Anfang Mai, den Fluss bei der Ortschaft Bilohoriwka zu überqueren, verloren die Russen bei einem ukrainischen Gegenangriff offenbar alle gepanzerten Fahrzeuge einer taktischen Bataillonsgruppe. Dabei fielen laut Berichten auch mehrere hundert russische Soldaten.

Das verunglückte Manöver brachte offenbar sehr viel Unruhe in die russische Armee, auch vielgelesene prorusssische Militärblogger sparten nicht mit Kritik. Spätestens seitdem gilt die Flussquerung als potenziell russisches Problem.

Zerstörte Militärfahrzeuge und Pontonbrücken am ukrainischen Fluss Siwerskyj Donez
AP/Ukrainian Presidential Press Office
Bilder nach einer gescheiterten Flussquerung

Auch bei den möglichen nächsten russischen Zielen, die weit wichtiger sind als Sjewjerodonezk, trennt der Fluss die Angreifer von den ukrainischen Verteidigern, allen voran bei Slowjansk, dem Zentrum der ukrainischen Verteidigungskräfte im Donbas. Der Raum Slowjansk/Kramatorsk ist der größte Ballungsraum im Donbas, der noch unter Kontrolle Kiews steht.