Faschismus

Ein Begriff macht Geschichte

Mit Benito Mussolini wurde er zur festen Größe im öffentlichen Bewusstsein, seit dem italienischen Wahlkampf hat „Faschismus“ als politischer Schlüsselbegriff wieder Konjunktur. Darüber, wer Faschist ist und wer nicht, herrscht ein langer Deutungskampf, der sich bis in neueste Publikationen wie Paul Masons (siehe Videointerview oben) jüngstes Buch zieht.

Kurz nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine zeigte ein Plakat am russischen Generalkonsulat in Hamburg Wladimir Putin mit dem Schriftzug „Fascism today“. Dass der russische Präsident selbst gerne mit den Begriffen „Nazi“ und „Faschist“ hantiert, um seine Gegner zu desavouieren, offenbart einen politischen Kampfbegriff, der vorbei an dem eigentlichen Inhalt herumschwirrt.

Der Historiker und Totalitarismusexperte Timothy Snyder analysierte Putins rhetorische Taktik in einem Essay für die „New York Times“ mit klaren Worten: „Wenn Faschisten andere Menschen ‚Faschisten‘ nennen, dann ist das Faschismus, der als Kult des Unlogischen zu seinem Extrem getrieben wird.“ Auch wenn Snyder überzeugend darlegte, dass Putins Kriegsimperialismus als Faschismus bezeichnet werden kann, treibt die Verwendung des Begriffs anderenorts seltsame Blüten, etwa wenn Schilder gegen „Faschismus“ auf Antiimpfdemonstrationen der vergangenen Jahre auftauchten.

Am Zaun gegenüber des russischen Generalkonsulatin Hamburg hängt ein Plakat mit dem Konterfei des russischen Präsidenten Putin mit den Worten „Fascism today“
APA/dpa/Marcus Brandt
Das neue Antlitz des Faschismus? Demonstrationsplakate in Hamburg nach Beginn des Ukraine-Krieges

Faschismus als „beliebiger“ Begriff?

Der österreichische Politikwissenschaftler Anton Pelinka plädiert in seinem neuen Buch „Faschismus? Zur Beliebigkeit eines politischen Begriffs“ für eine enge Definition. Der „inflationären“ Verwendung attestiert er „intellektuelle Unschärfe“, „Faschismus“ werde als „eine Etikette zur Kennzeichnung von allem und jedem und des Gegenteils von allem und jedem verwendet“.

Legt man aber derart strenge Kriterien an wie Pelinka in seiner fundierten und historisch versierten Untersuchung, schrumpft die Anzahl tatsächlicher Faschismen im Wesentlichen auf den italienischen Mussolini-Faschismus und den Nationalsozialismus. Die Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur ist für Pelinka ein „Ja, aber“-Faschismus, die Franco-Diktatur ein „halbfaschistisches“ System.

Literaturhinweise:

  • Umberto Eco: Der ewige Faschismus, Hanser
  • Roger Griffin: Faschismus. Eine Einführung in die vergleichende Faschismusforschung, ibidem-Verlag
  • Paul Mason: Faschismus. Und wie man ihn stoppt, Suhrkamp
  • Anton Pelinka: Faschismus? Zur Beliebigkeit eines politischen Begriffs, Böhlau

Die wesentliche Frage, die auf den Hintergrund der Definitionsschwierigkeiten hinstößt, stellte Umberto Eco: Warum wurde der italienische „fascismo“ einst zur Sammelbezeichnung für verschiedene totalitäre Bewegungen? Schließlich war die Ideologie Mussolinis reichlich inkonsistent, oder wie Eco formuliert: „Mussolini hatte überhaupt keine Philosophie, er hatte nur eine Rhetorik.“ Für Eco war Mussolinis Diktatur zwar totalitär, aber „verschwommen“: „eine Collage aus verschiedenen politischen und philosophischen Ideen, ein Bienenkorb voller Widersprüche.“

Merkmale und flexible Größen

Ecos Erklärung ist elegant und simpel, er stellt eine Reihe von faschistischen Merkmalen auf (Kult der Überlieferung, Ablehnung der Moderne, Irrationalismus, Frustration als treibende Motivation der Anhängerinnen und Anhänger, Todeskult und Heroismus etc.), wobei aber „ein faschistisches Regime auch dann noch als faschistisch erkennbar bleibt, wenn man ein oder mehrere Merkmale abzieht“. Die spanische Falange und die portugiesische Militärdiktatur sind nach dieser Rechnung immer noch Faschismen reinsten Wassers: „Ziehen wir den Imperialismus vom Faschismus ab, so haben wir immer noch Franco und Salazar.“

Hier zeigt sich der Unterschied zu einer Definition wie jener Pelinkas, auch dieser stellt Merkmale auf, die allerdings alle erfüllt werden müssen. Der praktische Nutzen eines breiten Verständnisses liegt auf der Hand: Faschismus läuft nie Gefahr, zu einer rein historischen Größe zu verkommen, sondern bleibt ein Konstrukt, gegen das politische Allianzen und soziale Energien gebündelt werden können – schließlich beruht die europäische Nachkriegsordnung auf der demokratischen Gegenwehr gegen den Faschismus. So steht die Verpflichtung zur Auflösung aller Organisationen „faschistischen Charakters“ (Artikel 9) neben der Auflösung aller nationalsozialistischen Organisationen explizit im österreichischen Staatsvertrag von 1955.

Trump und der Faschismus

Einen sehr weiten Faschismusbegriff vertritt der britische Journalist und Autor Paul Mason. Sein Buch „Faschismus. Und wie man ihn stoppt“ entstand unter dem Eindruck des Kapitol-Sturms am 6. Jänner 2021. Wiewohl historisch informiert, interessieren Mason moderne Formen des Rechtsextremismus und Faschismus, die sich unter den Bedingungen einer Gegenwart im Onlinemodus verbreiten.

Das Hauptaugenmerk seiner Analyse liegt nicht bei einer Definition von Faschismus, im ORF.at-Videointerview am Wiener Heldenplatz spricht er sich sogar gegen eine umfängliche Definition aus und liefert eine Minimalformulierung: „Der Faschismus ist Furcht vor der Freiheit, geweckt durch eine Ahnung von Freiheit.“

Ein gewaltsames Bekämpfen von tatsächlicher Gleichheit also, das er bei radikalen, antifeministischen, rassistischen und gegen LGBTQ-Rechte gerichteten Gruppierungen sieht. Der tatsächliche Fokus Masons liegt aber in der Vermessung der Spielräume, die dem Faschismus durch rechtspopulistische Machthaber ermöglicht werden. So stellt er klar: „Donald Trump ist kein Faschist.“ Allerdings gebe es „in den USA eine plebejische Massenbasis für den Faschismus, und Trump hat sich entschlossen, die Führung dieser Massen zu unternehmen“.

Sturm auf das Kapitol
Reuters/Shannon Stapleton
Der Kapitol-Sturm am 6. Jänner 2021 stand am Anfang von Masons Buch

Faschismus als „Panikraum“

Mason versteht das rechtsextreme politische Spektrum als ein Gedankengebäude, in dem der Faschismus den „Panikraum“ darstelle. Einen Raum, in dem die extremen Ideen der aktionistischen Gewalt, des Terrors und Genozids lagerten, um sich bei äußerer Bedrohung dorthin zurückziehen zu können: „Jeder weiß, wo sich dieser Raum befindet, und kann wie einst Carl Schmitt dorthin laufen“, oder eben wie etwa Trump angesichts seines Machtverlusts die Kräfte, die dort überdauern, mit der Anstachelung der Kapitol-Stürmerinnen und -Stürmer zu entfesseln versucht habe.

Auch wenn Masons Thesen zulasten einer politikwissenschaftlichen Trennschärfe gehen und Gefahr laufen, zu viele Elemente der Gegenwart miteinander in Beziehung zu setzen, gelingt ihm eine originelle und inspirierende politische Theorie, die vieles zu erhellen vermag, das in den dunklen Echokammern des Internets vor sich geht und beispielsweise in Messengerdienst-Gruppen und Foren vor sich geht.

So seien die mitunter bizarren propagandistischen Informationskanäle eine Art Pflege für das faschistische Gedankengebäude – die ideologischen Fetzen müssen ständig wiederholt werden: „Sie bringen den Leuten bei, wie sie das Gedankengebäude in ihrem Kopf errichten können, damit sie es, wenn es abgerissen wird, aus dem Gedächtnis wiederaufbauen können. Das ist die Funktion des Mythos.“

Kleine rote Pillen und Hobbits

Apropos Mythos: Mason beschreibt nebenbei so manche Bausteine des rechtsextremen Gedankengebäudes, etwa die Metapher des Redpilling, die aus dem Film „The Matrix“ stammt und häufig als Meme kursiert. Im Film muss die Hauptfigur eine rote Pille schlucken, um zu erkennen, dass die Welt, die ihn umgibt, falsch ist. Redpilling wurde im Jahr 2012 zu einer beliebten Metapher für die Bekehrung zum Rechtsextremismus, nachdem es in einem Onlineforum, das der frauenfeindlichen Agitation gewidmet war, verwendet worden war. Die Einnahme der roten Pille führe, so wurde dort verkündet, zu der Erkenntnis, dass die Männer von den Frauen unterdrückt werden und nicht umgekehrt. Heute meint Redpilling ganz allgemein eine Bekehrung zu rechtsextremen Vorstellungen.

Wie wichtig Mythen für den Weiterbestand faschistischer Strömungen nach 1945 stets gewesen sind, beleuchtet ein ungewöhnliches Kapitel aus den letzten Tagen des italienischen Wahlkampfes. Die Wahlsiegerin Giorgia Meloni wurde im Umfeld der neofaschistischen Parteien MSI und Alleanza Nazionale, den Vorgängerparteien ihrer postfaschistischen Fratelli d’Italia, sozialisiert.

Anführerin der radikalrechten italienischen Partei „Fratelli d’Italia“, Giorgia Meloni
APA/AFP/Andreas Solaro
Tolkien-Leserin und postfaschistische Parteichefin Meloni: Eine nicht zufällige Kombination?

Wie die „New York Times“ recherchierte, hielt sie sich als Jugendliche in den Campi Hobbit auf – einer Art ultrarechtem Sommercamp, in dem der fiktiven Welt des „Herr der Ringe“-Autors J.R.R. Tolkien gehuldigt wurde. Für ein italienisches rechtsextremes Milieu wurde Tolkins Mittelerde schon in den 1970er Jahren zum unverfänglichen Austauschthema, auch zum Anwerben jugendlicher Interessentinnen und Interessenten. Die heroischen Archetypen Tolkins eigneten sich anscheinend besonders gut zum Erörtern von nationalistisch geprägten Weltentwürfen mit einem klaren Freund-Feind-Schema.

In diesen Kreisen wurde auch der esoterische Rassentheoretiker Julius Evola, eine wichtige Bezugsgröße der italienischen Rechtsextremen, gelesen. Auch Protagonisten des Rechtsterrorismus verkehrten dort zumindest in den 1970er Jahren – das lässt die oberflächlich popkulturellen Veranstaltungen in einem anderen Licht erscheinen.

Meloni selbst nahm laut „New York Times“ 1993 an einer Neuauflage der Camps teil und sang in einer Folkband namens Compagnia dell’Anello (Gemeinschaft des Rings). „Herr der Ringe“ ist für sie nach wie vor ein Referenzwerk: „Ich glaube, dass Tolkien besser als wir selbst ausdrücken konnte, woran Konservative glauben, als wir selbst“, wurde Meloni in dem Artikel zitiert. „Ich halte den ‚Herr der Ringe‘ nicht für Fantasy.“