Flaggen der EU und von Großbritannien
Reuters/Olivier Hoslet
Eskalation in Nordirland-Streit

EU startet Verfahren gegen Großbritannien

Im Streit über das Nordirland-Protokoll zwischen Großbritannien und der EU hat Brüssel am Mittwoch seine Gangart verschärft. Die EU-Kommission setzt nicht nur ein ruhend gestelltes Vertragsverletzungsverfahren fort – sondern leitet darüber hinaus auch zwei neue Verfahren ein. Neben scharfer Kritik streckte man aber auch die Hand in Richtung London aus.

„Nennen wir das Kind beim Namen. Das ist illegal“, sagte Maros Sefcovic, EU-Vizekommissionspräsident, bei einer Pressekonferenz über Londons geplante einseitige Änderung des Nordirland-Protokolls. Es gebe „weder eine rechtliche noch eine politische Rechtfertigung, unilateral ein internationales Abkommen zu ändern“, so Sefcovic weiter. Er verwies auch darauf, dass das Protokoll erst vor drei Jahren gemeinsam von London und Brüssel ausgehandelt worden sei.

Trotz wiederholter Aufforderungen habe die britische Regierung es versäumt, das Protokoll umzusetzen, teilte die EU-Kommission mit. Das sei nicht akzeptabel, so Sefcovic, der für die Verhandlungen zwischen London und Brüssel zuständig ist. Deshalb leite man nun diese neuen Verfahren ein – nicht, weil London diese Woche überhaupt ein einseitiges Abweichen von dem Protokoll angekündigt hatte.

EU-Vizekommissionspräsident Maros Sefcovic
AP/Geert Vanden Wijngaert
Sefcovic kündigte am Mittwoch Gegenmaßnahmen an

Verfahren könnten Strafzahlungen nach sich ziehen

Konkret wird Großbritannien in den beiden Verfahren vorgeworfen, nicht für ausreichend Personal und Infrastruktur für die Durchführung von Kontrollen in Nordirland zu sorgen und der EU nicht genügend Handelsdaten zur Verfügung zu stellen. Das andere Verfahren, das vor einem Jahr ausgesetzt wurde, um das Gesprächsklima zu verbessern, betrifft den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen.

London habe nun zwei Monate Zeit zu reagieren, hieß es weiter. Dann kann die Kommission Großbritannien vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen. In einer Aussendung der Kommission hieß es, dass der EuGH eine Reihe von Befugnissen habe und deshalb etwa auch Strafzahlungen denkbar wären.

Brüssel signalisiert Gesprächsbereitschaft

Neben der nächsten Eskalationsstufe im Brexit-Streit zeigte sich die Kommission aber auch für einen Dialog mit London bereit – auch wenn man eine Änderung des ausgehandelten Nordirland-Protokolls weiterhin ablehnt. „Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass wir unsere Ziele erreichen können, wenn ein echter politischer Wille zur Umsetzung des Protokolls besteht“, so Sefcovic.

EU startet Strafverfahren gegen GB

London will Abmachungen mit der EU zum Warenverkehr zwischen Großbritannien und Nordirland ändern. Brüssel leitet ein Strafverfahren ein.

Die EU sieht offenbar genug Möglichkeiten, mit dem bestehenden Protokoll einige Bedenken Großbritanniens ausräumen zu können. London solle „das volle Potenzial der von uns vorgeschlagenen Lösungen“ ausloten. „Nur gemeinsame Lösungen werden die Rechtssicherheit schaffen, die die Menschen und Unternehmen in Nordirland verdienen“, so Sefcovic.

Gleichzeitig veröffentlichte man mehrere Dokumente, die zeigen sollen, „dass Lösungen für den Warenverkehr zwischen Großbritannien und Nordirland im Rahmen des Protokolls gefunden werden können, und zwar schnell, wie es bei Arzneimitteln der Fall war“, heißt es auf der Website der EU-Kommission. Man sei „weiterhin bereit, diese Lösungen mit der britischen Regierung zu prüfen“.

London „enttäuscht“

Ein Sprecher des britischen Premierministers Boris Johnson sagte, man sei „enttäuscht“. Der von Brüssel gewählte Ansatz erhöhe die Last für die Bürger in Nordirland und sei kontraproduktiv. Irlands Außenminister Simon Coveney begrüßte das Vorgehen der EU-Kommission. Es sei das Ergebnis einer bewussten Strategie der britischen Regierung, die auf Provokation statt auf Partnerschaft setze, schrieb er auf Twitter.

Nordirland-Streit: Verfahren gegen London

Im Streit über Brexit-Regeln für die britische Provinz Nordirland hat EU-Vizekommissionspräsident Maros Sefcovic rechtliche Schritte gegen London angekündigt. Damit reagierte die EU-Kommission heute auf ein zu Wochenbeginn vorgestelltes Gesetz, mit dem die britische Regierung eine gemeinsame Vereinbarung – das Nordirland-Protokoll – untergraben könnte.

Heikle Situation an irischer Grenze

Das im Rahmen des Ausstiegs Großbritanniens aus der EU ausgehandelte Nordirland-Protokoll sieht bisher besondere Zollregeln vor, um die sensible Grenze zwischen der britischen Provinz und dem EU-Staat Irland offen zu halten. Durch die Übereinkunft ist aber de facto eine Zollgrenze in der Irischen See entstanden, die Nordirland vom Rest des Vereinigten Königreichs trennt. Das führte unter anderem zu Lieferproblemen und auch insgesamt zu großem Unmut in Großbritannien.

Am Montag brachte London einen Gesetzesvorschlag zur Änderung des Protokolls ein – und erntete damit nicht nur Kritik aus der EU, sondern auch im eigenen Land, nicht zuletzt auch in den eigenen Reihen des angeschlagenen Premiers Boris Johnson. Während die EU von einem Völkerrechtsbruch spricht, sieht London nur „triviale Änderungen“, die eine Vereinfachung der Situation an der Grenze zwischen Irland und Nordirland herbeiführen sollen.