Rumäniens Klaus Iohannis, Italiens Mario Draghi, der ukrainische Präsident Volodymyr Zelenskyy, Frankreichs Emmanuel Macron und der deutsche Kanzler Olaf Scholz
APA/AFP/Ludovic Marin
„Sofortiger Beitrittsstatus“

Kiew-Visite mit klarem Signal Richtung EU

Zusammen mit dem rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis haben mit Emmanuel Macron, Olaf Scholz und Mario Draghi die Spitzen der drei größten EU-Mitgliedsstaaten am Donnerstag den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskjy in Kiew besucht. Die „wichtigste Botschaft“ des Besuchs kam nach Draghis Worten zum ukrainischen EU-Beitrittsbegehren. So wie Frankreich und Deutschland sei auch Italien für einen „sofortigen Beitrittsstatus“ – man wolle die „Ukraine in der EU“.

Das EU-Quartett war über Nacht mit dem Zug in die ukrainische Hauptstadt gereist. Alle vier betonten, dass ihr Besuch ein Zeichen der Solidarität für das von Russland angegriffene Land sei. Man werde die Ukraine militärisch so lange unterstützen, wie das nötig sein, versicherte Deutschlands Kanzler Scholz. Frankreichs Präsident Macron sagte weitere Artilleriegeschütze zu. Selenskyj dankte ihnen und betonte, dass alle die Ukraine als vollwertiges Mitglied der EU sehen wollten.

Die EU-Kommission wird am Freitag eine Empfehlung zum Kandidatenstatus abgeben. Dann müssen die 27 EU-Staaten kommende Woche auf dem Gipfel eine Entscheidung treffen – und nur einstimmig gibt es grünes Licht zu Beitrittsverhandlungen. Die Unterstützung der drei größten EU-Staaten gilt dabei als wichtiges Signal zugunsten der Ukraine. Mit dem Status des Beitrittskandidaten können konkrete Verhandlungen über die Aufnahme des Landes in die EU beginnen. Erwartet wird, dass ein Vollzug der Aufnahme mindestens 20 Jahre dauern wird.

Rumäniens Klaus Iohannis, Italiens Mario Draghi, der ukrainische Präsident Volodymyr Zelenskyy, Frankreichs Emmanuel Macron und der deutsche Kanzler Olaf Scholz
Reuters/Valentyn Ogirenko
Iohannis, Draghi, Selenskyj, Macron und Scholz (v. l. n. r.) bei der gemeinsamen Pressekonferenz in Kiew

Er werde sich beim EU-Gipfel nächste Woche zur Frage des Kandidatenstatus für eine einheitliche Haltung einsetzen, sagte Scholz in Kiew – mahnte zugleich aber, für einen späteren Beitritt gälten „klare Kriterien“, insbesondere Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Draghi sprach sich bereits vor seiner Reise nach Kiew deutlich für eine EU-Perspektive für die Ukraine aus. Selenskyj verstehe natürlich, dass der Weg vom Kandidaten zum Mitglied ein Weg sei, der „tiefgreifende Reformen“ erforderte, wie Draghi dazu sagte.

„Wendepunkt der europäischen Geschichte“

Nach den Worten von Iohannis sei man an einem Wendepunkt der europäischen Geschichte. „Außergewöhnliche Zeiten verlangen eine außergewöhnliche strategische und visionäre Antwort“, so Iohannis, der mit Nachdruck dafür plädiert, dass nicht nur die von Russland angegriffene Ukraine, sondern auch das benachbarte Moldawien und Georgien beim nächsten EU-Gipfel den Status von EU-Beitrittskandidaten bekommen.

„Deutschland ist für eine positive Entscheidung zugunsten der Ukraine“, sagte Scholz. „Das gilt auch für die Republik Moldau.“ Ähnlich äußerten sich Macron und Italiens Ministerpräsident Draghi.

Scholz mahnte in der gemeinsamen Pressekonferenz an, dass die EU auch gegenüber den Westbalkan-Staaten ihre Zusagen einhalten müsse. Das betrifft die ausstehende Entscheidung über Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien. Der deutsche Kanzler betonte zugleich, dass alle Kandidaten vor einem Beitritt die EU-Vorgaben für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie erfüllen müssten.

Selenskyj: „Historischer Tag“

Selenskyj sprach in seiner abendlichen Videoansprache von einem „historischen Tag“ für sein Land. „Die Ukraine hat die Unterstützung von vier mächtigen europäischen Staaten gespürt.“ Noch nie seit ihrer Unabhängigkeit sei die Ukraine so dicht an die Europäische Union herangerückt.

Der Besuch von vier europäischen Staats- und Regierungschefs in Kiew zeigt nach, dass die Ukraine im Kampf gegen Russland nicht alleine ist, wie Selenskyj bereits zuvor via Telegram mitteilte. „Die Ukrainer stehen heute an der Frontlinie im Kampf gegen die russischen Angriffe. Aber sie sind nicht alleine. Das wird durch den heutigen Besuch von Emmanuel Macron, Olaf Scholz, Mario Draghi und Klaus Iohannis in Kiew bestätigt.“

Besuch in Irpin

Macron, Scholz, Draghi und Iohannis hatten vor dem Treffen mit Selenskyj auch die von russischen Truppen angegriffene Stadt Irpin in unmittelbarer Nachbarschaft von Kiew besucht, um sich ein Bild von den Kriegsschäden zu machen. „Es ist eine heldenhafte Stadt, die mit dem Makel der Barbarei behaftet ist“, sagte Macron, der auf Twitter ein Video eines zerstörten Hauses postete. „Irpin ist wie Butscha längst ein Symbol für die unvorstellbare Grausamkeit des russischen Krieges geworden, für sinnlose Gewalt“, schrieb Scholz auf Twitter. Die vier EU-Politiker besuchten Irpin unter starken Sicherheitsvorkehrungen, aber ohne sichtbare Schutzausrüstung.

Scholz, Macron und Draghi bei Selenskyj

Bei ihrer Reise nach Kiew sind der deutsche Kanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron, Italiens Regierungschef Mario Draghi und Rumäniens Präsident Klaus Iohannis mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu Gesprächen zusammengekommen.

Kritik an schleppenden Waffenlieferungen

Die Regierung in Kiew hatte Frankreich, Deutschland und in geringerem Maße auch Italien vor dem Besuch schleppende Unterstützung vorgeworfen. Sie hätten nur langsam Waffen geliefert und ihren eigenen Wohlstand über die Freiheit und Sicherheit der Ukraine gestellt, hatten ukrainische Regierungsmitglieder kritisiert. Macron wies das mit Hinweis auf Waffenlieferungen und finanzielle Unterstützung zurück. „Frankreich und Europa sind der Ukraine und ihrer Bevölkerung von Anfang an zur Seite gestanden“, sagte er.

Scholz war seit Wochen auch aus der eigenen Regierungskoalition aufgefordert worden, ebenso wie zahlreiche andere EU-Regierungschefs vor ihm nach Kiew zu reisen. Auf die Frage, warum der Besuch gerade jetzt stattfinde, antwortete ein Beamter des Elysee, man habe es für das Beste gehalten, ihn kurz vor einem EU-Gipfel in der nächsten Woche durchzuführen.

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron und der italienische Regierungschef Mario Draghi an Bord eines Sonderzuges auf dem Weg nach Kiew
APA/AFP/Ludovic Marin
Draghi, Macron und Scholz im Zug auf dem Weg nach Kiew

Moskau: Weitere Waffenlieferungen „sinnlos“

In Moskau sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, er hoffe, dass das EU-Quartett nicht nur über Waffenlieferungen sprechen, sondern Selenskyj „zu einer realistischen Betrachtung der Lage“ drängen werde. Weitere Waffenlieferungen seien „absolut sinnlos, sie werden das Leiden der Menschen verlängern und dem Land neuen Schaden zufügen“, fügte er hinzu.

Russische Truppen waren am 24. Februar in das Nachbarland einmarschiert. Bereits wenige Tage darauf hatte Selenskyj den EU-Beitritt seines Landes beantragt. Die Nachbarländer Georgien und Moldawien zogen nach. „Unser Land ist bereit, alles Nötige zu tun, um vollwertiges EU-Mitglied zu werden“, wie Selenskyj am Donnerstag dazu sagte.