Emmanuel Macron im Wahllokal
Reuters
Parlamentswahl

Macron-Lager verfehlt absolute Mehrheit

Bei der entscheidenden zweiten Runde der Parlamentswahl in Frankreich hat das Lager von Präsident Emmanuel Macron einer ersten Prognose zufolge die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament verloren. Damit dürfte es Macron schwerer fallen, seine Reformvorhaben umzusetzen.

Dem Institut INOP zufolge dürfte Macrons Bündnis „Ensemble“ auf 210 bis 250 Sitze in der neuen Nationalversammlung kommen, hieß es am Sonntagabend. Zur absoluten Mehrheit sind 289 erforderlich. Das Linksbündnis NUPES um Jean-Luc Melenchon kann laut IFOP auf 150 bis 180 Sitze hoffen.

Das Ergebnis ist ein schwerer Schlag für Macron, dessen Lager derzeit noch die absolute Mehrheit im Unterhaus des Parlaments hält. Denn normalerweise wird die kurz nach der Präsidentschaftswahl abgehaltene Parlamentswahl als Bestätigung gesehen, sodass oft die gleiche politische Kraft mit absoluter Mehrheit siegt.

Rede von Jean-Luc Melenchon
Reuters/Gonzalo Fuentes
Melenchon sprach in seiner Rede von einem „totalen Debakel der Präsidentenpartei“

Enormer Erfolg für Melenchon und Le Pen

Einen enormen Erfolg verbuchten hingegen das neue Linksbündnis und Melenchon, die damit als mächtigste Oppositionsgruppe mehr Einfluss erhalten. Melenchon griff Macron und dessen Lager in seiner Rede scharf an: „Das ist ein totales Debakel der Präsidentenpartei“, sagte er am Sonntagabend in Paris. Der Linkspolitiker sprach auch von einer „Wahlniederlage des Macronismus“. Er erneuerte den Anspruch des von ihm geführten Linksbündnisses, das Land regieren zu wollen. „Alle Möglichkeiten sind in eurer Hand“, rief er vor jubelnden Anhängern und Anhängerinnen.

Frankreichs Parlament

Das Parlament setzt sich aus zwei Kammern zusammen: Nationalversammlung (Unterhaus) und Senat (Oberhaus). Die Nationalversammlung beschließt die Gesetze und kann per Misstrauensvotum die Regierung stürzen.

Der große Sieger der Parlamentswahl ist aber wohl die rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN), die nach Hochrechnungen mit 60 bis 100 Abgeordneten in die Nationalversammlung einzieht – mindestens zehnmal so viel wie bisher. Parteichef Jordan Bardella sprach von einem „Tsunami“ für seine Partei. „Das französische Volk hat Emmanuel Macron zu einem Minderheitspräsidenten gemacht“, sagte er dem Sender TF1.

Der RN dürfte erstmals eine eigene Fraktion bilden, also mehr Geld und mehr Redezeit bekommen. Das war der Vorgängerpartei Front National zuletzt unter geändertem Wahlrecht 1986 gelungen. Fraktionschefin dürfte die langjährige Parteichefin Marine Le Pen werden, die Macron in der Endrunde der Präsidentschaftswahl unterlegen war. Le Pen begrüßte das unerwartet gute Abschneiden ihrer Partei. Der Rassemblement National werde „die größte Fraktion in der Geschichte (ihrer) politischen Familie“ in der Nationalversammlung bilden, sagte sie am Sonntag in Henin-Beaumont.

Cornelia Primosch (ORF) zur Wahl in Frankreich

ORF-Korrespondentin Cornelia Primosch berichtet über die zweite Runde der Parlamentswahl in Frankreich. Bei der entscheidenden zweiten Runde der Parlamentswahl in Frankreich hat das Lager von Präsident Emmanuel Macron einer ersten Prognose zufolge die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament verloren.

Unterstützung aus anderen Lagern nötig

Bei der Parlamentswahl ging es für Macron darum, ob er seine Vorhaben auch in seiner zweiten Amtszeit wird umsetzen können. Dafür benötigte er eine Mehrheit im Parlament. Mit einer nun nur noch relativen Mehrheit sind der Präsident und die Regierung gezwungen, Unterstützung aus den anderen Lagern zu suchen. Je nach Vorhaben werden sie sich auf Mitte-links- oder Mitte-rechts-Kräfte zu stützen versuchen.

Auch wenn viele Franzosen und Französinnen unzufrieden mit Macrons erster Amtszeit waren, profitierte der 44-Jährige davon, dass die Parlamentswahl in Frankreich als Bestätigung der Präsidentschaftswahl empfunden wird. So nehmen traditionell vor allem Unterstützer des Gewinners an der Abstimmung teil, andere bleiben häufig zu Hause. Dennoch konnte das Linksbündnis genügend Unterstützer mobilisieren, um es dem Präsidenten nun schwerzumachen.

Grafik zur Parlamentswahl in Frankreich
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Le Monde

Viele Projekte in Pipeline

In Frankreich warten wichtige Projekte auf die Umsetzung: Angemahnt werden Verbesserungen im Bildungs- und Gesundheitswesen, die Menschen warten auf Kaufkrafthilfen in der Krise, und viele wollen energischere Schritte in der Klimakrise. Außerdem will Macron eine umstrittene Pensionsreform durchziehen, die Franzosen sollen länger arbeiten.

Die Wahl war auch ein Fernduell zwischen zwei sehr unterschiedlichen politischen Charakteren. Auf der einen Seite der 44-jährige eloquente Präsident und Ex-Investmentbanker Macron. Auf dem internationalen Parkett agiert er als Staatslenker, auf nationaler Ebene kämpft er jedoch mit einem Image als arroganter Elitepolitiker. Ihm gegenüber stand das linke Urgestein Melenchon, ein Linksideologe und Stratege, der sich als Fürsprecher des Volks und der sozialen Gerechtigkeit sieht.