Emmanuel Macron
Reuters/Pascal Rossignol
Nach Wahlschlappe

Macrons komplexe Partnersuche

Schwerer Rückschlag für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron nur wenige Wochen nach seiner Wiederwahl: In der zweiten Runde der Parlamentswahl hat sein Lager am Sonntag die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung klar verloren. Das Linksbündnis wurde zweitstärkste Kraft. Als unerwartete Siegerin des Abends sehen viele die extreme Rechte um Marine Le Pen. Die Schlappe erreicht unmittelbar das Kabinett von Macron.

Denn erstens wird es für den 44-Jährigen, der sich auch eine stärkere Integration Europas auf die Fahnen geschrieben hat, künftig schwerer, seine Vorhaben umzusetzen. Eine Regierungssprecherin sagte, man werde nun mit allen moderaten Parteien sprechen und wende sich an jene, „die das Land voranbringen wollen“. Zweitens werden zwei Ministerinnen des gerade erst formierten Kabinetts ihre Posten räumen müssen, da sie bei der Parlamentswahl die Mehrheit in ihren Wahlkreisen verfehlten. Macron hatte diese Regel vor der Wahl aufgestellt.

Laut Innenministerium kommt Macrons Bündnis Ensemble auf 245 Sitze in der neuen Nationalversammlung und bleibt damit stärkste Kraft. Zur absoluten Mehrheit wären aber 289 Sitze erforderlich gewesen. Bisher kam das Macron-Lager auf 350 Mandate. Das Linksbündnis NUPES von Jean-Luc Melenchon kommt im neuen Parlament mit Anhieb auf 131 Sitze, Le Pens Rassemblement National auf 89 – eine Vervielfachung angesichts der auf sechs Abgeordnete geschrumpften Partei. Die Konservativen erreichten 61 Mandate und könnten damit zum Königsmacher werden.

Künftig sitzen so viele Vertreter der extremen Rechten in Frankreichs Parlament wie nie zuvor – und Le Pen wird sich vollständig auf ihre Rolle als Fraktionschefin konzentrieren, wie sie am Montag sagte. Den Parteivorsitz, den sie vorübergehend abgegeben hat, werde sie nicht wieder annehmen. „Wir sind die stärkte Oppositionspartei“, sagte Le Pen und forderte etwa den Vorsitz der Finanzkommission, der traditionell der stärksten Oppositionsfraktion zukommt.

Regieren mit Koalition nicht gewohnt

Das Ergebnis könnte auch ein politisches Patt bis zu Neuwahlen nach sich ziehen. Die für Österreich übliche Konstellation, dass eine Koalition zur Bildung einer stabilen Regierung ausgehandelt werden muss, hat es in Frankreich seit Jahrzehnten nicht gegeben. Letztmals hatte 1988 ein Präsident die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verfehlt.

Macron verliert absolute Mehrheit

Bei der Parlamentswahl in Frankreich konnte Präsident Emmanuel Macrons Wahlbündnis Ensemble die absolute Mehrheit nicht verteidigen. Das neue Bündnis aus linken und grünen Parteien, NUPES, wurde auf den zweiten Platz gewählt. Marine Le Pens Partei Rassemblement National wurde erstmals drittstärkste Kraft im Parlament.

Le Pen kündigte am Abend an, sie wolle ein Bündnis von „Patrioten“ aus dem rechten und dem linken Lager schmieden. Finanzminister Bruno Le Maire nannte das Ergebnis einen „demokratischen Schock“ und sagte, wenn andere Blöcke nicht kooperieren würden, „würde das unsere Fähigkeit blockieren, Frankreich zu reformieren und zu schützen“.

Große Differenzen in wichtigen Fragen

In Umfragen war bis zuletzt offen gewesen, ob Macrons Bewegung die absolute Mehrheit verteidigen kann. Die Positionen der großen Parteien gehen in wichtigen Fragen auseinander. So will Macron unter anderem das Pensionsalter anheben, seine wirtschaftsfreundliche Agenda weiterverfolgen und die Integration der Europäischen Union vorantreiben.

Melenchon, der Anführer des Linksbündnisses NUPES, hatte indes damit geworben, das Pensionsalter von 62 auf 60 Jahre zu senken, die Preise einzufrieren und Unternehmen die Entlassung von Arbeitnehmern zu verbieten, wenn sie Dividenden zahlen. Macron könnte ein Bündnis mit den Konservativen suchen oder eine Minderheitsregierung bilden, bei der von Fall zu Fall Gesetze mit wechselnden Partnern ausgehandelt werden. Wobei die Konservativen am Wahlabend – ob taktisch motiviert oder nicht – ankündigten, in der Opposition zu bleiben.

Mehrheiten für einzelne Projekte?

Eine andere Option wäre das Regieren mit wechselnden Mehrheiten – also die parlamentarische Mehrheit bei einzelnen Gesetzesprojekten jeweils neu in Verhandlungen mit den Parteien zu sichern. Eine Kooperation bei der Pensionsreform wäre etwa mit den Konservativen denkbar. In anderen Bereichen sind Kooperationen mit dem linken Lager vorstellbar. Bei Melenchons Bündnis bleibt auch abzuwarten, wie gut der Zusammenhalt nach der Wahl ist. Denn in entscheidenden Fragen – etwa was das Verhältnis zur EU angeht – verlaufen Gräben quer durch das Bündnis.

Unklar ist auch noch, was die Schwächung Macrons und die nun komplizierte innenpolitische Lage für die Europäische Union bedeuten. Frankreich gilt gemeinsam mit Deutschland als Motor der Union, insbesondere wenn es gilt, schwierige Entscheidungen zu treffen. Als wichtigste Militärmacht der Union kommt Frankreich gerade im Umgang mit dem Ukraine-Krieg eine große Bedeutung zu.

Bevölkerung beschäftigt vor allem Inflation

Die Wähler in Frankreich haben in der Vergangenheit nach der Wahl eines Präsidenten die ein paar Wochen später folgende Parlamentswahl zumeist genutzt, um dem Präsidenten eine komfortable parlamentarische Mehrheit zu verschaffen. Vor allem das Linksbündnis aus Sozialisten, Kommunisten und Grünen hatte Macron zuletzt zugesetzt. Die auch durch den Ukraine-Krieg hohe Inflation hatte die gestiegenen Lebenshaltungskosten für viele Wähler in den Vordergrund gerückt.

Macron selbst war erst kürzlich für weitere fünf Jahre zum Präsidenten gewählt worden. In der Stichwahl hatte er sich gegen seine europafeindliche Rivalin Le Pen mit rund 59 Prozent der Stimmen durchgesetzt und damit für Aufatmen in weiten Teilen Europas gesorgt.