Fernheizkraftwerk Mellach
ORF.at/Christian Öser
Kohlekraft im Notfall

Regierungspläne sorgen für Unbehagen

Vor zwei Jahren sind im steirischen Fernheizkraftwerk Mellach das letzte Mal Strom und Wärme mit Kohle produziert worden. Um die Abhängigkeit von russischem Gas zu senken, will die Regierung nun das Kohlekraftwerk für den Notfall reaktivieren. Die Pläne sorgen bei Umweltschutzorganisationen und der SPÖ für Unbehagen. Die SPÖ spricht von einem „Verzweiflungsakt“ von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne). Für Greenpeace ist eine Reaktivierung von Kohle „inakzeptabel“.

Die Umweltschutzorganisation Global 2000 pochte in ihrer Stellungnahme darauf, dass es sich beim Einsatz des Kraftwerks „nur um zeitlich eng begrenzte, akute Notfälle handeln darf“. Das sagte der Klima- und Energiesprecher von Global 2000, Johannes Wahlmüller: „Kohle ist die klimaschädlichste Energie und führt zu gesundheitsschädlichen Quecksilberemissionen und Feinstaub.“

Die Umweltschutzorganisation drängt auf mehr Tempo bei der Energiewende. Energiepolitik müsse mehr sein, als Notfallmaßnahmen zu erlassen. Greenpeace forderte am Montag auch die Länder auf, etwas zu unternehmen: „Gerade die Bundesländer müssen ihre Verweigerungshaltung ablegen und müssen so schnell wie möglich konkrete Pläne vorlegen, wie sie massiv erneuerbare Energien ausbauen“, so Jasmin Duregger von Greenpeace.

Infrastrukturministerin Gewessler (Grüne) zur Gasversorgung

Infrastrukturministerin Leonore Gewessler (Grüne) sprach zur Lage der Gasversorgung in Österreich. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hatte für Sonntag das kleine Krisenkabinett einberufen, nachdem der russische Energiekonzern Gasprom etwa um die Hälfte weniger Gas nach Österreich geliefert hatte als üblich.

Klimaökonom spricht von „Symbolhandlung“

Für den Klimaökonomen des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Stefan Schleicher, ist der angekündigte Schritt eher eine „Symbolhandlung“, wie er im Ö1-Mittagsjournal sagte. Er sieht mit der Reaktivierung von Mellach keinen Ersatz für Gaskraftwerke, die Spitzenlast bereitzustellen haben. Schleicher: „Das kann ein Kohlekraftwerk nicht liefern, weil man dieses mit konstanter Last betreiben muss. Das kann man nicht so schnell auf und ab regeln, wie es für Spitzenlast notwendig ist.“

Der Experte und Umweltschutzorganisationen forderten eine rasche gesetzliche Regelung zum Energiesparen. Es werde an einem neuen Energieeffizienzgesetz gearbeitet, hieß es aus dem Klimaschutzministerium. Greenpeace etwa sagte, dass auch die Industrie Vorgaben bekommen solle, sorgsamer mit Energie umzugehen.

SPÖ vermisst Schritte bei erneuerbaren Energien

Kritik kam auch von der Opposition. „Gewessler hat letztlich nichts auf den Boden gebracht und setzt jetzt offenkundig einen Akt der Verzweiflung“, sagte SPÖ-Energiesprecher Alois Schroll am Montag. Er vermisste zudem wichtige Umsetzungsschritte beim Ausbau der erneuerbaren Energien.

Kritik übte auch NEOS. Die Regierung hätte schon vor Monaten handeln müssen, Gewessler sei völlig „plan- und orientierungslos“, konstatierte Generalsekretär Douglas Hoyos. FPÖ-Chef Herbert Kickl bezeichnete die Maßnahme der Reaktivierung von Mellach als „intelligenzbefreit“.

Der stellvertretende niederösterreichische Landeshauptmann Stephan Pernkopf (ÖVP) begrüßte den Vorstoß zum Kohlekraftwerk, er forderte vor dem Hintergrund der Kohlekraftpläne aber mehr Initiativen für den Ausbau von Biogas: „Gut, dass auch der grüne Koalitionspartner dabei Ideologie über Bord wirft und Vernunft und Sicherheit den Vorrang gibt.“

Wer Kohlekraftwerke in Betrieb nehmen könne, müsse jedoch auch heimisches erneuerbares Biogas befürworten. Auch mit Kohle werde die „ausländische Abhängigkeit“ nicht reduziert werden.

Mellach-Reaktivierung zeigt „Ausmaß der Verzweiflung“

Österreich habe den Umstieg auf erneuerbare Energien verschlafen und die Strukturen zur Energie- und Stromgewinnung in den letzten 20 bis 30 Jahren nicht angepasst, kritisierte die an der Wirtschaftsuni Wien tätige Umweltökonomin Sigrid Stagl im Ö1-Interview. Österreich befinde sich in der Bredouille. Die Wiedereröffnung von Mellach zeige auch das „Ausmaß der Verzweiflung“.

Kurzfristig gehe es darum, Energie einzusparen. Hinter den Menschen liege eine Zeit, in der Energie sehr günstig war und deshalb wenig gespart wurde. Mit den hohen Preisen sei man in einer anderen Situation, und es gelte, den Energieverbrauch zu reduzieren, sowohl aus Klima- als auch aus ökonomischer Perspektive.

Van der Bellen: Kohlekraftwerke als „Krisenintervention“

Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte unterdessen Verständnis für den vorübergehenden Kraftwerksbetrieb mit klimaschädlicher Kohle. „Aber es muss uns klar sein, das kann nur eine Krisenintervention sein aufgrund der jetzigen Lage“, sagte Van der Bellen am Montag der APA am Rande eines Präsidentengipfels im lettischen Riga. Dort warb er dafür, angesichts des Ukraine-Krieges den Kampf gegen den Klimawandel und die Energiewende nicht zu vergessen.

Speicher zu rund 41 Prozent gefüllt

Seit mehreren Tagen fließt nach Angaben der OMV etwa um die Hälfte weniger Gas nach Österreich als üblich. Fehlende Mengen würden durch Zukäufe auf dem Spotmarkt ersetzt. Laut Klimaschutzministerium sind derzeit rund 41 Prozent des Jahresverbrauchs in Gasspeichern eingelagert. Ziel ist es, bis zum 1. November die Speicher zu 80 Prozent gefüllt zu haben.

Österreich befindet sich beim Gasnotfallplan in der Frühwarnstufe. Ab der Notfallstufe treten staatliche Eingriffe bei der Energielenkung in Kraft, dann könnte auch das Kraftwerk Mellach aktiviert werden. Das hatte das „kleine Krisenkabinett“ aus Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), Gewessler und ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher mit Experten und Expertinnen beschlossen, teilte das Bundeskanzleramt Sonntagabend mit.

Mehrere Monate Vorlaufzeit

Die mögliche Reaktivierung des Kraftwerks brauche eine Vorlaufzeit von mehreren Monaten für die „technische Ertüchtigung und die Wiederbeschaffung der Kohle“, sagte Gewessler Sonntagabend in der ZIB2. Laut Verbund ist noch offen, wie hoch die Kosten für die Umrüstung des Kraftwerks Mellach sein werden. Laut Klimaschutzministerium wird der Bund die Kosten tragen. Unklar sei auch, was konkret ein Notfall sei, hieß es vom Verbund gegenüber Ö1. Seit Beginn des Krieges seien jedenfalls „alle Hebel in Bewegung“ gesetzt worden, um die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren, um nicht erpressbar zu sein, sagte Gewessler. „Das wird für Österreich Jahre dauern.“

Krisenkabinett zur Gasversorgung

Der russische Energiekonzern Gasprom hat auch am Sonntag etwa um die Hälfte weniger Gas nach Österreich geliefert als üblich. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) berief deshalb für den Abend das kleine Krisenkabinett der Regierung ein.

Ein erstes Ziel sei es, von den derzeit 80 Prozent an russischen Gasimporten auf 70 Prozent zu kommen. Erreicht werden soll das mit der strategischen Gasreserve. Weitere Maßnahmen seien das geplante Diversifizierungsgesetz und der Aufbau langfristiger Lieferbeziehungen.

Kritik aus der Wirtschaftskammer, dass es noch keine Notfallpläne für den Fall eines Gaslieferstopps gebe, wies Gewessler zurück. Es gebe sehr wohl Kriterien für Energielenkungsmaßnahmen. Man könne aber die Listen der betroffenen Unternehmen nicht veröffentlichen. „Das sind börsennotierte Unternehmen. Ich kann jetzt hier im TV und in der Öffentlichkeit keine Namen dieser Unternehmen nennen, das würde unmittelbar zu Auswirkungen auf den Börsenkurs führen.“

Auch Deutschland und Italien handeln

Ungarn sieht im Gegensatz zu einigen anderen EU-Staaten keine Einschränkungen seiner Gasversorgung aus Russland. Indes kündigten Deutschland und Italien am Sonntag neue Maßnahmen an, um eine Versorgungskrise zu verhindern.

Während Deutschland vor allem auf Maßnahmen zur Senkung des Gasverbrauchs setzen will – neben dem verstärkten Einsatz von Kohlekraftwerken –, will Italien auf Flüssiggas aus Katar zurückgreifen. Der teilstaatliche Energieversorger ENI gab am Sonntag eine Partnerschaft mit QatarEnergy bei einem großen Flüssiggasprojekt bekannt.

Noch im Sommer will Deutschland zudem ein Gasauktionsmodell auf den Weg bringen, "das industrielle Gasverbraucher anreizt, Gas einzusparen“. Diese könnten gegen eine Vergütung dem Markt Gas zur Verfügung stellen, wenn sie es nicht selbst benötigen. „Alles, was wir weniger verbrauchen, hilft. Hier ist die Industrie ein Schlüsselfaktor“, sagte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Auf der Alarmstufe des Gasnotfallplans hält Gewessler dieses Instrument auch in Österreich für möglich.