Bahnangelstellter neben einem Zug
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Großbritannien

Größter Bahnstreik seit Jahrzehnten

Nach dem Scheitern von Tarifverhandlungen wird es in Großbritannien voraussichtlich den größten Bahnstreik seit 30 Jahren geben. Pendler und Pendlerinnen und andere Bahnreisende müssen in den kommenden Tagen weitgehend auf andere Transportmittel ausweichen. Die Gewerkschaft der Bahnbeschäftigten (RMT) hat per Dienstag mehrtägige großflächige Bahnstreiks ausgerufen. Am Dienstag streiken zudem die Beschäftigten der Londoner U-Bahn. Ebenso wird bei Flügen ein Chaos erwartet.

Bei der Bahn wollen die rund 40.000 Mitglieder der Gewerkschaft ihre Arbeit nach Dienstag auch am Donnerstag und Samstag niederlegen, um für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu kämpfen. An den Tagen dazwischen wird mit Verzögerungen oder Ausfällen gerechnet. Der Streik gilt als größter seit mehreren Jahrzehnten, nur rund ein Fünftel der Verbindungen soll wie üblich fahren.

Man sei absolut daran interessiert, eine Lösung in dem Konflikt zu finden, sagte Tim Shoveller vom Zugsbetreiber Network Rail im Interview mit der BBC. John Leach, Chef der Gewerkschaft, kündigte in der BBC an, so lange wie nötig an Streiks festzuhalten. Beobachter fürchten, dass das Monate dauern könnte. Die Regierung von Boris Johnson drohte an, Leiharbeiter einzusetzen und damit die Streiks zu brechen – ein Schritt, der die Gewerkschafter noch mehr auf die Palme brachte.

Der Generalsekretär der britischen Transportgewerkschaft, Mick Lynch
Reuters/Henry Nicholls
Der Chef der Gewerkschaft der Bahnbeschäftigten, John Leach

Umfassendste Streiks seit 1989

Die Streiks werden der Gewerkschaft zufolge die umfassendsten seit 1989 sein. In der Branche seien viele Stellen abgebaut worden, und die Löhne könnten mit der galoppierenden Inflation nicht Schritt halten. Angesichts dieser Entwicklung könne „die RMT nicht passiv bleiben“, sagte Lynch.

GB: Größter Bahnstreik seit 30 Jahren

Die Gewerkschaft der Bahnbeschäftigten in Großbritannien startet den größten Bahnstreik seit 30 Jahren. Sie fordert mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen. Millionen Bahnnutzer- und nutzerinnen sind betroffen.

Die Inflation in Großbritannien stieg wie in vielen anderen europäischen Ländern in den letzten Monaten kräftig. So erhöhten sich die Verbraucherpreise im April gegenüber dem Vorjahresmonat um 9,0 Prozent, wie das britische Statistikamt ONS Mitte Mai bekanntgab. Das war die höchste Rate seit Beginn der neuesten Aufzeichnungen im Jahr 1997. Durch Rückrechnung kommt das ONS zu dem Schluss, dass die Inflationsrate wohl zuletzt um das Jahr 1982 höher war.

Reisende in London auf dem Weg zum Zug
Reuters/Toby Melville
Reisende in London auf dem Weg zum Zug – noch vor dem Bahnstreik

Zum „Sommer der Unzufriedenheit“ aufgerufen

Erwartet wird, dass im weiteren Jahresverlauf die Inflation die Marke von zehn Prozent übertreffen dürfte. Dem britischen Industrieverband CBI zufolge sinken die verfügbaren Realeinkommen der Haushalte im Jahresverlauf um 2,3 Prozent – so stark wie seit Mitte der 50er Jahre nicht.

Der Bahnstreik ist nach Ansicht der Gewerkschaften nur der Auftakt für einen möglichen „Sommer der Unzufriedenheit“, in dem auch Lehrer, Mediziner und sogar Anwälte in den Arbeitskampf treten werden. Der Ausbruch von Arbeitskampfmaßnahmen hat Vergleiche mit den 1970er Jahren aufgeworfen. Damals gab es in Großbritannien eine Serie von Streiks, die in den „Winter der Unzufriedenheit“ 1978/79 mündete. „Jeder Arbeitnehmer in Großbritannien verdient eine Lohnerhöhung, die die Krise der Lebenshaltungskosten widerspiegelt“, so RMT.

Politstreit mit Opposition

Leach forderte eine stärkere Unterstützung durch die oppositionelle Labour-Partei. Die anstehenden Streiks haben sich in den vergangenen Wochen zum politischen Streitthema zwischen den Parteien entwickelt, bei dem einander Labour und die regierenden Torys die Schuld zuschieben.

Das britische Verkehrsministerium nannte die Entscheidung der RMT „sehr enttäuschend und verfrüht“. Der Sektor leide noch an den Folgen der CoV-Pandemie. Ein Ministeriumssprecher appellierte an die Gewerkschaft, „ihre Entscheidung zu überdenken“. Es müsse eine Lösung gefunden werden können, die Arbeitnehmern, Fahrgästen und Steuerzahlern gleichermaßen zugutekommt.

Hinweistafel auf dem Bahnhof London
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Ein Hinweis auf den Bahnstreik im Bahnhof Waterloo Station in London

Auch bei Flügen Chaos erwartet

Nach Angaben der Rail Delivery Group, des Verbandes der Bahnunternehmen, werden „Millionen Menschen“ von den Streiks betroffen sein. Der Verband sicherte zu, „so viele Dienste wie möglich“ aufrechtzuerhalten. Zugleich nannte er „erhebliche Störungen unvermeidlich“.

Das erwartete Verkehrschaos im Vereinigten Königreich dürfte noch dadurch vergrößert werden, dass Fluggesellschaften wegen Personalmangels Flüge absagen mussten. Die Streiktage fallen zudem mit dem Musikfestival in Glastonbury und Schulprüfungen im ganzen Land zusammen.

Clubcard branding is seen inside a branch of a Tesco Extra supermarket in London
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Mit einer Kundenkarte wird es in diesem britischen Supermarkt billiger

Weiterer Preisanstieg prognostiziert

Großbritannien wird derzeit wie Österreic und viele andere europäische Länder von einer Teuerungswelle gebeutelt. Bei britischen Lebensmitteln droht als Folge des Brexits eine Preisexplosion. Nahrungsmittel dürften sich in diesem Sommer um bis zu 15 Prozent verteuern, so die Forscher des Institute of Grocery Distribution (IGD) am Donnerstag.

Die Preise dürften noch bis ins Jahr 2023 auf hohem Niveau bleiben. „Nach unseren Untersuchungen ist es unwahrscheinlich, dass der Druck auf die Lebenshaltungskosten in nächster Zeit nachlässt“, sagte IGD-Chefökonom James Walton. Das setzt den Löhnen zu. Weitere Streiks für Lohnerhöhungen könnten die Folge sein, erwarten Experten.