Auskunftsperson Michael Esterl
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ÖVP-U-Ausschuss

Licht auf 126.000-Euro-Leitbild

Am Mittwoch hat sich der ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss mit diversen Vorgängen im Wirtschaftsressort beschäftigt. Im Fokus standen auf der einen Seite „ressortfremde“ Umfragen im Auftrag des Ministeriums und andererseits ein neues Leitbild, das häppchenweise knapp 126.000 Euro gekostet hatte. „Zu Beginn des Prozesses weiß man nicht, was am Ende rauskommt“, sagte Michael Esterl, Ex-Generalsekretär des Ministeriums.

Der Leitbildprozess des Wirtschaftsministeriums hatte im März dieses Jahres hohe Wellen geschlagen. Den Auftrag für das Projekt erhielt die Meinungsforscherin und frühere ÖVP-Ministerin Sophie Karmasin. Weil der Auftragswert die 100.000-Euro-Grenze nicht überschritten hatte, gab es keine öffentliche Ausschreibung. Trotzdem flossen am Ende knapp 126.000 Euro. Wegen der CoV-Pandemie gab es Verzögerungen und Abänderungen, sagte Esterl in der Befragung.

Weil das Ressort unter der ÖVP-FPÖ-Regierung „umfassend“ verändert wurde, sei ein neues Leitbild wichtig gewesen, sagte der frühere Generalsekretär und Kabinettschef von Ex-Ministerin Margarete Schramböck (ÖVP). „Für mich persönlich und als Generalsekretär war wichtig, dass jeder einzelne Mitarbeiter mitgenommen wird“, so Esterl. Für das operative Management fühlte er sich aber nicht zuständig, wie er gleich mehrmals und zu mehreren Themen betonte.

Leitbild mit Mitarbeitern „erarbeitet“

Den Vorwurf, der Leitbildprozess (“Wir gestalten. Jetzt und in Zukunft") sei das Papier nicht wert, worauf er gedruckt wurde, ließ Esterl nicht gelten. Das Ziel sei gewesen, alle Beschäftigten daran teilnehmen zu lassen. Am Anfang eines Prozesses gebe es kein Ergebnis, so Esterl, das Ergebnis werde mit den Beschäftigten „erarbeitet“. Auf Nachfrage von FPÖ-Mandatarin Susanne Fürst versuchte der Ex-Generalsekretär das Resultat zu konkretisieren, blieb aber trotzdem vage: Im Ressort sehe man sich als „Dienstleister der Bürger“.

Andreas Hanger (ÖVP)
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ÖVP-Fraktionschef Andreas Hanger meldete sich bei dieser Befragung kein einziges Mal zur Geschäftsordnung

Auf die Frage, warum das Unternehmen von Ex-Ministerin Karmasin, Karmasin Research & Identity, den Auftrag bekam, verwies Esterl auf die zuständige Einheit im Ministerium. Es sei eine „Teamentscheidung“ gewesen, diesen Prozess aufzusetzen. Esterl konnte sich an die Namen der Mitglieder aber nicht mehr erinnern. Wichtig sei gewesen, dass der Prozess von einer „externen Beratung“ begleitet wird. Dass Karmasin den Zuschlag bekam, sei keineswegs fix gewesen.

Allerdings erwähnte Esterl, dass er sich im Vorfeld des Projekts mit der früheren Familienministerin, die er seit 2013 persönlich kennt, getroffen habe. Sie sei in Wirtschaft und Medien „gut vernetzt“, so die Auskunftsperson. Im Gespräch habe Karmasin von sich aus gefragt, ob sie ein Angebot legen könnte. Im Vergabeverfahren sei das Offert von Karmasin Research & Identity als Billigst- und Bestbieter hervorgegangen. Da er für die Vergabe nicht zuständig sei, habe Esterl Karmasins „Lieber Michael“-Nachricht samt Anbot an die zuständige Abteilung weitergeleitet.

Interne Prüfungsergebnisse noch nicht veröffentlicht

Auf die Frage, ob es auch noch andere Bieter gab, antwortete Esterl, dass „die zuständige Einheit die Vergaberichtlinien“ eingehalten habe. Seines Wissens seien „mehrere Angebote“ eingelangt. Am Ende waren es aber lediglich zwei. Aber auch damit habe er operativ nichts zu tun, so der Ex-Generalsekretär.

Auskunftsperson Michael Esterl
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NEOS-Fraktionschefin Stephanie Krisper wollte mehr über Esterls Qualifikationen wissen

Derzeit prüft die interne Revision des Wirtschaftsministeriums die Vorgehensweise bei diesem Projekt. Während seiner Amtszeit als Generalsekretär – mit dem Rücktritt von Schramböck musste auch Esterl gehen – habe es jedenfalls noch kein Ergebnis gegeben, sagte er und betonte gleichzeitig, dass er keinen Zeitplan kenne. Derzeit arbeitet die Auskunftsperson weiterhin im Wirtschaftsministerium und ist der Sektion II zugeteilt. Details über die Prüfung kenne er nicht, so Esterl.

Nach Aufkommen der Vorwürfe hatte das Ministerium ein mögliches Fehlverhalten dementiert. In einer Aussendung wurde festgehalten, dass zwanzig Interviews zu hundert Stunden und eine Onlineumfrage für rund 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums durchgeführt und ausgewertet worden seien. Zudem habe es mit einer Arbeitsgruppe 40 Treffen gegeben. 32 Seiten umfasse eine Langversion einer Leitbildpräsentation (offenbar Power-Point-Folien). Der „Falter“ hatte von einer DIN-A4-Seite berichtet.

Wirtschaftsministerium ließ 1.-Mai-Rhetorik abfragen

Im Laufe der Befragung kamen noch vom Wirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Umfragen auf. Die SPÖ-Fraktion legte etwa eine Umfrage vor, in der nach der „1.-Mai-Kampfrhetorik“ der Gewerkschaft und Arbeiterkammer oder nach der „guten Arbeit“ der Opposition in der Coronavirus-Krise gefragt wurde. Auch Themen wie „Steuer- und Budgetpolitik“, „Sozialsystem“ und „Innere Sicherheit“ sollen unmittelbar vor der Wien-Wahl im Jahr 2020 abgefragt worden sein. Warum interessiert sich das Wirtschaftsressort für solche Umfragen, wollte Kai Jan Krainer (SPÖ) wissen.

Susanne Fürst (FPÖ)
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Für die FPÖ stellte Mandatarin Susanne Fürst die Fragen

Er könne sich beim besten Willen nicht an alle Fragestellungen erinnern, zudem sei er nicht in diese involviert gewesen, so Esterl. Wenn es aber um den österreichischen Wirtschaftsstandort gehe, seien viele Themen wichtig, lautete die Argumentation des langjährigen Mitarbeiters von ÖVP-Politikern und -Politikerinnen. Ähnlich argumentierte auch die zweite Auskunftsperson, der stellvertretende Kabinettschef im Ministerium, Paul Rockenbauer. Dass man mit Steuergeld für die ÖVP Umfragen durchgeführt habe, bestritt er.

Esterl betonte in seiner Befragung, dass es mit dem damaligen Medienbeauftragten von Ex-Kanzler Sebastian Kurz, Gerald Fleischmann, öfter Besprechungen im Bundeskanzleramt gegeben habe. Anwesend seien mehrere Büroleiter gewesen, also die Kabinettschefs der jeweiligen Minister und Ministerinnen. Auch mit Kurz-Berater Stefan Steiner habe er Kontakt gehabt. Dabei sei es oft um die strategische Ausrichtung von Politikbereichen gegangen. Ob dabei auch Umfragen Thema gewesen seien, wisse er nicht mehr.

Gelder für Spindelegger-Agentur

ÖVP-Abgeordnete Corinna Scharzenberger stellte Esterl Fragen zur Agency for Economic Cooperation and Development (AED) – Präsident ist Ex-ÖVP-Chef Michael Spindelegger, im Vorstand sitzt Werner Suppan, der regelmäßig als Anwalt für die ÖVP tätig ist. Laut Scharzenberger sei eine wichtige Aufgabe der Agentur, Gelder aus EU-Mitteln „abzuholen“, auf der Website heißt es, AED „vertritt Österreichs Interessen bei Projekten, die von der EU und anderen internationalen Institutionen finanziert werden“.

Auskunftsperson Michael Esterl
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Nach fast vier Stunden verließ Esterl den U-Ausschuss wieder

Krainer kam auf einen Förderantrag im Juni 2020 zu sprechen, den Spindelegger bei Esterl abgegeben habe. Dieser Antrag sei erst abgelehnt worden, es sei kein Budget vorhanden gewesen. Spindelegger hätte sich dann an das Finanzministerium gewendet, das dem Wirtschaftsressort eine Mittelkostenüberschreitung von einer Million Euro gewährte. Schließlich seien 972.000 Euro an die AED geflossen.

Die Grünen wollten noch mehr über eine Pressekonferenz im Bundeskanzleramt erfahren, die von einer Agentur, die mit der ÖVP in Verbindung gebracht wird, um 22.000 Euro abgewickelt wurde. Präsentiert sei damals die App „Digitales Österreich“ worden, so Nina Tomaselli. Für die Abgeordnete unterscheide sich diese Pressekonferenz nicht von anderen, habe aber eben Tausende Euro gekostet. Esterl sei nicht involviert gewesen, sagte er. Es sei aber ein Raumkonzept verrechnet worden – zudem sei das Pult und der Hintergrund anders als sonst.