Verletzte werden zu einem Hubschrauber gebracht
Reuters/Bakhtar News Agency
Mehr als 1.000 Tote

„Großes Grauen“ nach Beben in Afghanistan

Nach dem Erdbeben in Afghanisten mit laut Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Bakhtar mehr als 1.000 Toten und 16.000 Verletzten hat ein Augenzeuge seine Eindrücke geschildert: „Das Grauen ist groß“, so der Journalist Rahim Khan Khushal. Allein in einer Stunde habe er über 100 Leichen gezählt. Laut den in Afghanistan regierenden radikalislamischen Taliban wurde ein ganzes Dorf zerstört. Die Opferzahl kann noch steigen, das Gebiet ist teils schwer zugänglich.

Die Lage ist offenbar chaotisch. „Die Eltern können ihre Kinder nicht finden und die Kinder ihre Eltern nicht. Jeder fragt sich, wer tot ist und wer lebt. Die Häuser sind aus Lehm, und deshalb wurden sie alle durch die starke Erschütterung zerstört“, so Khushal weiter. Die Bauweise in der armen und wirtschaftlich schwachen Region ist aus Kostengründen nicht erdbebensicher, viele Familien leben eng zusammen. Zudem dürfte das Beben die Bewohner in der Nacht überrascht haben.

Ein Sprecher der regierenden Taliban sprach von Dutzenden zerstörten Häusern in den Provinzen Paktika und Khost. Viele Tiere verendeten. Erschwert wurden die Rettungsarbeiten durch den Zugang zur abgelegenen Bergregion. Die Taliban, die seit August 2021 wieder in Afghanistan herrschen, riefen eine Notsitzung des Kabinetts zusammen. Mehrere Hubschrauber wurden in die Unglücksregion geschickt, um den Menschen zu helfen.

Zerstörtes Gebäude in Paktika, Afghanistan
AP/Bakhtar News Agency
Zerstörtes Gebäude im Erdbebengebiet

Aufruf an Hilfsorganisationen

„Wir rufen die Hilfsorganisationen auf, den Opfern des Erdbebens sofortige Hilfe zu leisten, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern“, so der Kabuler Regierungssprecher Bilal Karimi am Mittwoch auf Twitter. Nach Angaben des Europäischen Zentrums für Erdbebenforschung im Mittelmeerraum (EMSC) waren die Erschütterungen in mehr als 500 Kilometer Entfernung in Afghanistan, Pakistan und Indien zu spüren.

Ganzes Dorf zerstört

Bei einem heftigen Erdbeben am späten Dienstagabend (Ortszeit) in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion sind Hunderte Menschen ums Leben gekommen. Die Zerstörung ist groß, zahlreiche Häuser stürzten ein. Laut Angaben der Taliban wurde ein ganzes Dorf zerstört.

Auch stark in Pakistan zu spüren

Pakistanische Behörden gaben das Beben am späten Dienstagabend (Ortszeit) mit einer Stärke von 6,1 an. Die US-Erdbebenwarte (USGS) vermeldete die Stärke 5,9 sowie ein etwas schwächeres Nachbeben. Laut USGS befand sich das Zentrum des Bebens rund 50 Kilometer südwestlich der Stadt Khost nahe der Grenze zu Pakistan in rund zehn Kilometer Tiefe.

Rettungskräfte in Paktika, Afghanistan
APA/AFP/Bakhtar News Agency
Ein Hubschrauber bringt Hilfe für die Erdbebenopfer

Bilder, die in sozialen Netzwerken geteilt wurden, zeigten Menschen auf Bahren, Trümmer und zerstörte Häuser in Paktika. Den pakistanischen Angaben zufolge waren die Erschütterungen in weiten Teilen des Landes, in der Hauptstadt Islamabad und selbst in Lahore im Osten des Landes zu spüren.

Viele Häuser durch Erdbeben zerstört

Zahlreiche Häuser wurden bei dem schweren Erdbeben in Afghanistan zerstört worden.

Mancherorts brach Panik aus, über Schäden oder Verletzte in Pakistan war nach ersten Angaben jedoch nichts bekannt. Örtliche Einsatzkräfte versuchten laut der Katastrophenschutzbehörde, sich einen Zugang in die betroffene abgelegene Bergregion zu verschaffen.
Pakistans Premierminister Schehbaz Scharif drückte im Internet seine Betroffenheit aus und stellte Hilfe für die Menschen im Nachbarland in Aussicht.

Erdbeben in Afghanistan am 21.6.2022 (Stand 22.57 Uhr Ortszeit)

Humanitäre Lage bereits katastrophal

Erdbeben sind in Afghanistan und vor allem in der Bergkette Hindukusch keine Seltenheit. Wegen der mangelhaften Bausubstanz vieler afghanischer Häuser sind die Schäden oft verheerend. Hinzu kommt nun, dass die humanitäre Lage in Afghanistan infolge des Abzugs der westlichen Truppen und der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban im vergangenen Jahr katastrophal ist.

Als Reaktion auf die Machtübernahme der Taliban haben viele Regierungen Sanktionen gegen den afghanischen Bankensektor verhängt und Entwicklungshilfe in Milliardenhöhe gestrichen. Es fehlt etwa an Lebensmitteln und Medikamenten.

UNO braucht 15 Mio. Dollar und redet mit Nachbarn

Die Vereinten Nationen benötigen 15 Mio. Dollar (gut 14 Mio. Euro) für sofortige Hilfen. Diese Zahl gelte nur für die durchgeführten Hilfsmaßnahmen am Mittwoch und werde steigen, sagte der stellvertretende UNO-Sonderbeauftragte für humanitäre Angelegenheiten in Afghanistan, Ramiz Alakbarov. Die Vereinten Nationen hätten bereits zehn Tonnen an medizinischen Hilfsgütern in die betroffenen Regionen gebracht sowie Chirurgen und Ärzte.

Man sei zudem in Gesprächen mit Ländern der Region wie der Türkei, um diese möglicherweise um humanitäre Unterstützung zu bitten. Dabei gehe es auch um größeres Gerät und Logistik: „Wir haben, wie gesagt, nicht die Kapazitäten, Menschen unter den Trümmern hervorzuholen.“

Schwere Erdbeben in der Region

Immer wieder kommt es zu schweren Erdbeben in der Region am Hindukusch und den Nachbarländern, wo die Arabische, die Indische und die Eurasische Platte aufeinandertreffen. 1998 erschütterte ein Beben den Norden Afghanistans, mehrere tausend Menschen starben. In Pakistan starben 2005 bei einem gewaltigen Erdbeben mehr als 75.000 Menschen, über 3,5 Millionen Menschen wurden obdachlos. Im Nachbarland Iran starben bei einem Beben 2003 mehr als 40.000 Menschen, die historische Stadt Bam wurde größtenteils zerstört.