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Getty Images/brightstars
Nach fünf Jahren

„#MeToo“ erreicht auch Österreich

Angestoßen von Regisseurin Katharina Mückstein berichten seit Tagen unzählige Betroffene von sexualisierten Übergriffen in der Film- und Theaterbranche. „#MeToo“ ist in der österreichischen Filmbranche angekommen. Namen werden jedoch nur hinter vorgehaltener Hand genannt.

Die Fälle, die über Mücksteins Instagram-Account bekannt werden, rangieren von unangenehm bis zu schwer traumatisierend – und in vielen Fällen sind sie ein Zeichen äußerster Respektlosigkeit und Unprofessionalität: Da ist etwa der renommierte Regisseur und Professor, der in der Schauspielausbildung sagt, dass Schauspieler „bei Sexszenen eine echte Erektion haben müssen, und das auszuhalten oder auch zu genießen zum Berufsbild einer Schauspielerin“ gehöre.

Da ist auch der Schauspieler, der eine Kollegin überredet, zum Textlernen in sein Hotelzimmer zu kommen, und ihr dann Nackenmassage und Oralverkehr vorschlägt. Wieder andere Fälle seien zu heftig, um sie wörtlich auf ihrem Instagram-Kanal zu teilen, so Mückstein gegenüber ORF.at: „Mir wurden mehrere Vergewaltigungen berichtet. Ich habe etwa von einem sehr jungen Schauspieler gehört, der von einem Vorgesetzten vergewaltigt wurde“.

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Screenshot instagram.com/katharina_karli_pincopallina/
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In einer Insta-Story sammelte Mückstein anonym übergriffige Erfahrungen, die ihr Kolleginnen und Kollegen im Filmbusiness zusandten
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In den Postings werden Übergriffe an Filmsets, am Theater und an der Wiener Filmakademie geschildert
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Sie zeigen ein System an Übergriffen und Machtmissbrauch
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Täter werden keine genannt, das juristische Risiko ist groß

Späte Ankunft von „#MeToo“

Es sei kein rein binäres Mann-Frau-Thema, so die Regisseurin, „mir ist auch krasse Gewalt an Männern berichtet worden, heftige Homophobie, Rassismus, Transfeindlichkeit“. Der Missbrauch geschehe überall, wo ein zu großes Machtgefälle herrscht, sagt Mückstein. Die Reaktionen geben ihr recht: Seit fast einer Woche ist die österreichische Filmbranche in Aufruhr. Immer weitere Kreise zieht eine Serie an Instagram-Beiträgen, die die Regisseurin zunächst über einen aus juristischen Gründen nicht näher benannten Fall verfasste, dann über eigene Übergriffserfahrungen.

Als Antwort schrieben ihr Dutzende von sexualisierter Gewalt Betroffene von ihren Erlebnissen. Viele davon sind noch in der Ausbildung oder ganz neu im Beruf, was wohl auch in der jungen Nutzerstruktur von Instagram begründet liegt. Einige dieser Berichte teilt Mückstein seit Tagen anonymisiert auf ihrem Account. Sie zeichnen das Bild einer Branche, in der Machtmissbrauch immer noch mit Autorität verwechselt wird, und sexuelle Übergriffe zum ganz normalen Erfahrungsrepertoire gehören.

Katharina Mückstein
Elsa Okazaki
Katharina Mückstein ( „L’Animale“) will die Kultur des Schweigens in der Filmbranche durchbrechen

Das Echo ist gewaltig, die Medienberichte zahlreich, die Reaktionen heftig – und vielfach auch verständnislos. Das Problem sind zum einen die Täter, zugleich aber auch eine patriarchale Struktur, die Übergriffe relativiert und die Schuld allzu oft bei den Betroffenen sucht. Das liegt nicht zuletzt in den Machthierarchien begründet, die in der Film- und Theaterbranche drastisch sind, angefangen bei der Ausbildung, die elitär und auf Konkurrenzdenken ausgerichtet ist. Wer einen Platz an einer Filmhochschule ergattert hat, ist oft bereit, viel auszuhalten.

Respekt und Augenhöhe

„Im klassischen Bild des Schaupielberufs ist es nicht gefragt, die eigenen Grenzen zu wahren“, so Mückstein. Dass es zum erfolgreichen Regieführen gehört, Macht zu demonstrieren, sei ein folgenreicher Irrtum. „Während meiner Ausbildung habe ich befürchtet, ich könnte keine gute Regisseurin sein, weil ich mich nicht überwinden kann, auf jemanden Druck auszuüben oder ihn zu manipulieren“, so Mückstein. „Erst Jahre später habe ich am Set einer Regisseurin gesehen, dass es zwischen Regie und Schauspielern auch so etwas wie Augenhöhe geben kann.“

Dringend nötige Debatte

Falsch verstandener Respekt vor Prominenz, ökonomische Abhängigkeiten und steile Hierarchien erschweren es, sich gegen Missbrauch zu wehren. Ein weiterer Aspekt ist auch die mangelnde Vereinbarkeit von Filmschaffen und Betreuungspflichten. Unregelmäßige Arbeitszeiten und schwer planbare Beschäftigungsmodelle sind extremer als in anderen Branchen, wie eine kürzlich präsentierte Studie der Film Fatal Interessengemeinschaft österreichischer Produzentinnen und Producerinnen belegt.

Das ist einer der Gründe, weshalb trotz annähernd ausgeglichener Absolventinnenzahlen in der Filmausbildung Frauen in den Schlüsselpositionen Produktion und Regie weiterhin unterrepräsentiert sind. Wie diese mangelnde Gerechtigkeit ausgeglichen werden kann, darüber ist sich die Branche allerdings uneins. Vergangenen Herbst verließen etwa ein Drittel aller Regisseurinnen und Regisseure den Verband Filmregie Österreich, darunter Namen wie Barbara Albert, Ruth Beckermann, Sabine Derflinger, Marie Kreutzer, Elisabeth Scharang, Eva Spreitzhofer und Mirjam Unger.

Als Anlass nannten sie unter anderem mangelnde Gesprächskultur, fehlende Transparenz und die divergierenden Auffassungen etwa zur Quote bei Filmförderungen. Als „Kooperative #dieregisseur*nnen“ begrüßen diese Filmschaffenden die nun von Mückstein angestoßene Debatte ausdrücklich: „Wir wollen, dass Betroffene darin unterstützt werden, auf Regelbrüche aufmerksam zu machen und von der verantwortlichen Produktion dabei offensiv und auch mit arbeitsrechtlichen Schritten gegen Täter begleitet werden.“

Filmakademie-Präsidentin Verena Altenberger
APA/Hans Punz
„Haltung muss sich ändern“: Verena Altenberger, demnächst wieder in Salzburg als Buhlschaft zu erleben, gegenüber ORF.at

Große Nähe macht verletzlich

Einen grundsätzlichen Wandel fordert auch Schauspielerin Verena Altenberger im ORF.at-Interview: „Ob ein Fehlverhalten zur Anzeige gebracht wird oder nicht, ist für mich eine Frage der Haltung in der Branche. Die muss sich ändern.“ Die Schauspielerin kennt die Problematik vor allem bei jungen Kolleginnen und Kollegen: „Solange man weniger berühmt ist, ist man finanziell sehr viel abhängiger, man ist verletzlicher, jünger und unerfahrener und hat kein stabiles Netzwerk, und wenn man so schutzlos ist, passieren Übergriffe viel leichter.“

„Sobald man aber ein besseres Standing hat und das Gefühl ‚Jetzt könnt ich was sagen, jetzt würd ich mich trauen‘, passiert es deutlich seltener. Vor zehn Jahren war ich auch viel verletzlicher als heute“, so Altenberger. Obwohl Übergriffe passieren, wird bisher nichts Konkretes öffentlich. Dafür gibt es handfeste Gründe: „Je familiärer das Umfeld und die Arbeitssituation ist, desto schwieriger ist es, darüber in der Öffentlichkeit zu reden.“

Großes Risiko für Betroffene

„Auch je kleiner die Branche ist, desto schwieriger ist es, weil jeder wen kennt, der mit der Person eine tolle Arbeitserfahrung gemacht hat, und jeder kennt wen, der den im nächsten Film besetzt“, so die Schauspielerin. „Und dann gibt es einfach auch Abhängigkeiten: finanzielle Existenzen, künstlerische Existenzen, familiäre Beziehungen, Freundschaften.“ Unausgesprochen bleibt in der Debatte daher vieles, vor allem Namen – und das wird sich nicht so schnell ändern.

Zu groß ist das finanzielle Risiko, das ein Verfahren mit sich bringt, zu schwierig die Beweisführung. Zu groß auch die Gefahr, wegen Rufschädigung belangt zu werden. Und umgekehrt ist das Risiko offenbar nicht groß genug, die Grenzen anderer zu verletzen. Wenn über Übergriffe gesprochen wird und die Beteiligten namentlich bekannt sind, ist der potenzielle berufliche Schaden derzeit vor allem für das Opfer enorm.

Enormer Gesprächsbedarf

Auch deswegen wenden sich so viele an Mückstein. Die Erleichterung Betroffener, gefahrlos über ihre Erfahrungen zu sprechen, ist enorm. Manche erkennen sogar Täter wieder, erzählt die Regisseurin: „Aus einer Filmproduktionsfirma wurde mir berichtet, dass der Chef von neuen Mitarbeiterinnen online Bikinifotos gesucht und herumgezeigt hat. Und als ich den Bericht geteilt habe, haben mir andere daraufhin geschrieben: ‚Oh, das kenn ich, in der Firma hab ich auch gearbeitet!’“

Professionelle Unterstützung bei Übergriffen innerhalb der Filmbranche bietet die Beratungsstelle #we_do!, die auch mit Vorträgen und Workshops Betroffene stärkt. Die Stelle hat an der Filmakademie Wien aufgrund von Kooperationen inzwischen so weite Bekanntheit, dass sie von jüngeren Studierenden mit Selbstverständlichkeit bei der Planung von Filmprojekten mitgedacht wird, so Katja Dor-Helmer, die an der Filmakademie Produktion unterrichtet.

Dass sich das Problem irgendwann aufgrund eines Generationenwechsels von selbst löst, glaubt Mückstein trotzdem nicht: „Der Diskurs und das Bewusstsein haben sich geändert, aber das Gewaltproblem und die Täterschaft wächst leider auch mit den Jungen nach.“ „#MeToo“ hat fast fünf Jahre gebraucht, um in der österreichischen Filmbranche anzukommen. So unangenehm das für manche auch ist: Der Anfang ist getan.