Männer vor zerstörten Gebäuden in Gayan, Afghanistan
Reuters/Ali Khara
Beben in Afghanistan

Taliban beenden Suche nach Überlebenden

Nur rund 48 Stunden nach einem der folgenschwersten Beben seit Jahrzehnten hat die radikalislamistische Führung von Afghanistan die Suche nach Überlebenden eingestellt. „Die Suchaktion ist abgeschlossen“, sagte laut Reuters dazu der Sprecher des Katastrophenschutzministeriums, Mohammad Nassim Haqqani, ohne Angabe von Gründen. Die betroffene Region nahe der Grenze zu Afghanistan wird unterdessen weiter von Nachbeben erschüttert. Erst am Freitag wurden erneut Todesopfer gemeldet. Prekär erscheint die Lage für die Überlebenden. Ob Medikamente, Essen oder Unterkunft – es mangelt, wie auch von den Taliban mittlerweile eingestanden, offenbar an allem.

Bei dem Beben in einem abgelegenen Gebiet nahe der Grenze zu Pakistan kamen laut Angaben vom Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) zumindest 1.036 Menschen ums Leben. Das Taliban-Sprachrohr Bakhtar Agency erhöhte die Zahl der Todesopfer am Freitag dann auf 1.150. Keine Erklärung gibt es für die nun bereits beendete Suche nach Überlebenden. Bei vielen Beben wurden auch nach einem wesentlich längeren Zeitraum immer wieder Überlebende aus den Trümmern geborgen.

Laut Taliban-Sprecher Haqqani wurden 2.000 Menschen verletzt – 10.000 Häuser wurden teilweise oder vollständig zerstört. Was die Katastrophenhilfe betrifft mangelt es offenbar an allem. Sowohl die Versorgung mit Medikamenten als auch mit anderen wichtigen Hilfsgütern sei unzureichend, wie Haqqani laut Reuters eingestand. „Das Gesundheitsministerium hat nicht genügend Medikamente, wir brauchen medizinische Hilfe und andere notwendige Dinge, denn es ist eine große Katastrophe.“

Hilfsgüter für Erdbebengebiet

Nach dem schweren Erdbeben mit über tausend Toten läuft die Hilfe in Afghanistan nur langsam an. Zahlreiche Orte in der schwer zugänglichen Bergregion an der Grenze zu Pakistan sind weiter von der Außenwelt abgeschnitten. Das genaue Ausmaß des Bebens bleibt weiter offen.

Tote bei Nachbeben

Das Erdbeben ereignete sich am Mittwoch etwa 160 Kilometer südöstlich von Kabul, in einer schwer zugänglichen Grenzregion. Die US-Erdbebenwarte (USGS) vermeldete für das Beben die Stärke 5,9. Demnach befand sich das Zentrum des Bebens rund 50 Kilometer südwestlich der Stadt Chost nahe der Grenze zu Pakistan in rund zehn Kilometer Tiefe. Pakistanische Behörden hatten das Beben mit einer Stärke von 6,1 registriert. Seitdem kam es immer wieder zu Nachbeben.

Auch am Freitag kam die Katastrophenregion nicht zur Ruhe. Weitere fünf Menschen starben bei einem Nachbeben, wie ein Taliban-Vertreter sagte. Berichte über Schäden oder Verletzte lagen nicht vor. Das Nachbeben hatte nach Angaben der US-Erdbebenwarte eine Stärke von 4,3. Es ereignete sich nahe am Epizentrum des ersten Bebens.

Schlechte Verkehrsverbindungen und das Fehlen geeigneter Straßen, aber auch starke Regenfälle erschweren die Hilfsbemühungen. Viele Überlebende haben nichts zu essen und keine Unterkunft, berichtet die BBC. Befürchtet werde zudem der Ausbruch von Cholera.

Taliban-Hubschrauber mit Hilfsgütern im Erdbebengebiet
Reuters/Ali Khara
Mehrere Hubschrauber wurden in die Unglücksregion geschickt, um den Menschen zu helfen

Erste Hilfslieferungen angekommen

Afghanistan ist seit der Machtübernahme durch die Taliban weitgehend isoliert und aufgrund von Sanktionen von einem Großteil der internationalen Hilfe abgeschnitten. Hilfsorganisationen wie der örtliche Rote Halbmond und das Welternährungsprogramm haben in die Provinz Paktika, dem Epizentrum des Bebens, und der Nachbarprovinz Chost bereits Nahrungsmittel und andere Hilfsgüter, darunter auch Zelte und Schlafmatten, geliefert. Viefach scheinen die Bewohnerinnen und Bewohner aber weiterhin auf sich alleine gestellt zu sein, berichtet die Nachrichtenagentur AP: „Dorfbewohner haben ihre Toten begraben und sich auf der Suche nach Überlebenden von Hand durch die Trümmer gewühlt.“

„Es gibt keine Decken, keine Zelte, keine Unterkünfte. Unsere gesamte Wasserversorgung ist zerstört. Wir haben nichts zu essen“, sagte der 21-jährige Saitullah Ghursiwal einem AFP-Korrespondenten in der vom Beben getroffenen Ortschaft Ghursa. Nach Angaben des Informationschefs der Provinz Paktika, Mohammed Amin Husaifa, behindern Regen, Überschwemmungen und Erdrutsche den Rettungs- und Bergungseinsatz. Zudem sind viele Mobilfunkmasten und Stromleitungen zerstört.

Erdbebengebiet in Afghanistan

Die Taliban schickten die Armee in das Erdbebengebiet, haben ansonsten aber wenig Ressourcen für den Katastropheneinsatz. Eindringlich baten sie um Hilfe aus dem Ausland, um eine „humanitäre Katastrophe“ zu verhindern. Diese Hilfe werde „transparent“ verteilt, sagte Taliban-Sprecher Bilal Karimi gegenüber AFP.

„Ausmaß noch nicht genau bekannt“

Das UNO-Nothilfebüro (OCHA) steht an der Spitze mehrerer Hilfsorganisationen, die in der betroffenen Region helfen wollen. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres sagte, die UNO-Organisationen seien „vollständig mobilisiert“. Demnach wurden bereits Zelte, Decken und Plastikplanen, Lebensmittel für etwa 14.000 Menschen und 10.000 Tonnen Material für Tausende Operationen an den Hindukusch gesandt. Einem AFP-Korrespondenten zufolge trafen Freitagfrüh auch erste Lastwagen vom UNO-Welternährungsprogramm (WFP) und von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in Wutschkai, einem der zerstörten Dörfer, ein. „Wir haben ein Team in die Provinz Paktika entsandt, das die Lage nach dem Erdbeben evaluiert. Ein weiteres wird in Kürze folgen“, teilte die Hilfsorganisation dazu mit.

„Das Erdbeben in Afghanistan erschüttert ein Land, in dem rund 20 Millionen Menschen nicht mehr wissen, wie sie sich ernähren sollen“, sagte der Welthungerhilfe-Landesdirektor in Kabul, Thomas ten Boer. „Die lokalen Behörden haben bereits signalisiert, dass Hilfe von außen willkommen sei. Das zeigt, dass aus eigener Kraft die Katastrophe, deren Ausmaß noch nicht genau bekannt ist, kaum zu bewältigen ist.“

„Die Lage ist katastrophal“

Die afghanische Rothalbmondgesellschaft (ARCS) habe mit Unterstützung der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) umgehend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Freiwillige aus den örtlichen Niederlassungen mobilisiert, heißt es vom Österreichischen Roten Kreuz. „Die Lage ist katastrophal“, so der Samariterbund, der ebenfalls mit lokalen Partnerorganisationen an der Afghanistan-Hilfe beteiligt ist.

Von der EU-Kommission kam als erste Sofortmaßnahme die Zusage für eine Million Euro. Mit dem Geld sollen die dringendsten Bedürfnisse der Betroffenen gedeckt werden, wie etwa medizinische Hilfe, Unterkünfte und Hygienemaßnahmen. „In Afghanistan hat sich die ohnehin schon verheerende humanitäre Krise durch ein tödliches Erdbeben noch weiter verschärft“, erklärte der EU-Kommissar für Krisenmanagement, Janez Lenarcic. Hilfszusagen kamen auch von etlichen Regierungen – zuletzt etwa aus Japan, Südkorea, Taiwan und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Verletzte im Spital in Sharana, Afghanistan
Reuters/Ali Khara
Die Verletzten können bisher nur notdürftig versorgt werden

Hilfskoordination in indischer Botschaft

Indien schickte zudem ein technisches Team in seine Botschaft in der Hauptstadt Kabul. Es solle die Auslieferung humanitärer Hilfen überwachen und mit verschiedenen Akteuren koordinieren, so das indische Außenministerium. Damit hat Indien erstmals seit der Machtübernahme der Taliban im vergangenen August wieder eine diplomatische Präsenz in Afghanistan.

Die Taliban-Führung begrüßte die Entscheidung: „Die Rückkehr von indischen Diplomaten nach Afghanistan und die Wiedereröffnung der Botschaft zeigen, dass im Land Sicherheit herrscht und alle politischen und diplomatischen Rechte respektiert werden.“ Das Ministerium rief auch andere Länder auf, ihre Botschaften wiederzueröffnen. Das Außenministerium in Neu Delhi betonte in seiner Mitteilung die historischen Beziehungen zum afghanischen Volk und erwähnte zugleich keinerlei Anerkennung der Taliban-Regierung.

Spendenaufruf

Heimische Hilfsorganisationen bitten mit einem Spendenaufruf um Unterstützung der Hilfsmaßnahmen im Bebengebiet:

Österreichisches Rotes Kreuz
IBAN: AT57 2011 1400 1440 0144
BIC: GIBAATWWXXX
Kennwort: Katastrophenhilfe

Samariterbund Österreich
IBAN: AT04 1200 0513 8891 4144
BIC: BKAUATWW
Kennwort: Afghanistan