Abtreibungsgegner vor dem Supreme Court in der US-Hauptstadt Washington
APA/AFP/Mandel Ngan
USA

Oberstes Gericht kippt Abtreibungsrecht

In einzelnen US-Bundesstaaten wie Texas hat es schon länger Vorstöße gegeben, Abtreibungen zu erschweren. Nun kippte das oberste Gericht der USA landesweit das Recht auf Abtreibung. Die konservative Mehrheit der Richter des Supreme Court stimmte für diese Entscheidung. Dieser verfassungsrechtliche Schutz hat fast 50 Jahre bestanden. In einer ersten Reaktion sprach US-Präsident Joe Biden von einem „tragischen Fehler“.

Mit dieser Entscheidung wurde das richtungsweisende Urteil Roe v. Wade aufgehoben. Dieses Grundsatzurteil von 1973 ermöglichte landesweit Abtreibungen bis zur Lebensfähigkeit des Fötus, also etwa bis zur 24. Schwangerschaftswoche. Nun können die 50 Bundesstaaten auf Landesebene über das Recht auf Abtreibung entscheiden. Kein Bundesgesetz regelt dieses Thema. Es wird erwartet, dass die Entscheidung in der Hälfte der Bundesstaaten zu einem Verbot führen wird.

Nach dem Urteil versammelten sich Abtreibungsgegner und -befürworter vor dem Supreme Court. Hunderte Menschen, die sich für die Abtreibung einsetzen, riefen: „Diese Entscheidung darf nicht bestehen bleiben.“ Eine konkurrierende Gruppe demonstrierte mit Schildern mit der Aufschrift „Die Zukunft ist gegen Abtreibung“ und „Zerstückelt Roe“.

Feiernde Abtreibungsgegner vor dem Supreme Court in der US-Hauptstadt Washington
AP/Gemunu Amarasinghe
Vor dem Supreme Court versammelten sich nach dem Urteil Abtreibungsgegner …

Obama ruft zur Teilnahme an Protesten auf

Ex-US-Präsident Barack Obama kritisierte das Urteil, das „die persönlichste Entscheidung, die jemand treffen kann, den Launen von Politikern und Ideologen“ überlässt. Er rief die Bevölkerung zur Teilnahme an Protesten auf.

Das US-Justizministerium kündigte in seiner Reaktion auf das Urteil an, alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um die reproduktive Freiheit zu schützen. Die Bundesbehörden könnten weiterhin Dienstleistungen in diesem Bereich anbieten, wie es das Bundesgesetz zulasse. Die Entscheidung sei ein „verheerender Schlag“ und werde „unmittelbare und unumkehrbare Auswirkungen auf das Leben der Menschen im ganzen Land haben“.

Zwei weibliche Abtreibungsbefürworter vor dem Supreme Court in der US-Hauptstadt Washington
AP/Jacquelyn Martin
… sowie Abtreibungsbefürworter, die sich gegen das Urteil wehrten

Entwurf deutete Entscheidung an

Dass das Gericht in diese Richtung entscheiden könnte, war bereits vor rund einem Monat bekanntgeworden. Damals gelangte der Entwurf eines richterlichen Gutachtens an die Öffentlichkeit, der zeigte, dass das Gericht für diesen Schritt bereit war. Der Entwurf hatte für heftige Proteste gesorgt. Umfragen zufolge spricht sich die Mehrheit der Amerikaner und Amerikanerinnen für das Recht auf Abtreibung aus. Ein Gesetzesentwurf der Demokraten für ein Recht auf Abtreibung auf Bundesebene war Mitte Mai im Senat gescheitert.

Die Höchstrichterinnen und -richter der USA
AP/The New York Times/Erin Schaff
Sechs der neun Richter stimmten für die Aufhebung des Abtreibungsrechts

„Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung“

In der endgültigen Stellungnahme vom Freitag schrieb Richter Samuel Alito, dass die Urteile Roe v. Wade sowie Planned Parenthood v. Casey, die Entscheidung von 1992, die das Recht auf Abtreibung bekräftigte – am Tag ihrer Entscheidung falsch waren und aufgehoben werden müssen. „Wir sind der Meinung, dass Roe und Casey verworfen werden müssen. Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung, und kein solches Recht wird implizit durch eine Verfassungsbestimmung geschützt.“

Sechs der neun Richter und Richterinnen stimmten für die Aufhebung des Rechts auf Abtreibung. Drei von ihnen wurden von Ex-US-Präsident Donald Trump ernannt. Damit waren die Erfolgschancen von konservativen Politikern und Aktivisten, die gegen Roe v. Wade jahrzehntelang kämpften, gestiegen. Das aktuelle Urteil des Supreme Court bezieht sich auf den Rechtsstreit über ein Abtreibungsgesetz aus dem US-Bundesstaat Mississippi, das Schwangerschaftsabbrüche nach der 15. Woche verbietet.

Oberstes Gericht kippt US-Abtreibungsrecht

Das oberste Gericht der USA hat das landesweite Recht auf Abtreibung gekippt. Die US-Höchstrichterinnen und -richter stimmten mehrheitlich für eine entsprechende Entscheidung, wie der Supreme Court am Freitag mitteilte.

Moralische Frage

Die Regierung unter dem demokratischen Präsidenten Joe Biden und Befürworter von Abtreibungsrechten hatten gewarnt, dass die Aufhebung des Urteils Roe v. Wade sich auch auf andere Rechte etwa von Homosexuellen auswirken könne. Alito schrieb aber, dass sich die Analyse nur auf die Abtreibung beziehe, nicht aber auf andere Rechte, die sich aus einem Recht auf Privatsphäre ergeben. Abtreibung sei anders, sie werfe eine einzigartige moralische Frage auf.

Scharfe Kritik kam von den drei liberalen Höchstrichtern in einer gemeinsam verfassten Stellungnahme. Das Urteil habe zur Folge, dass eine Frau im Moment der Befruchtung keine nennenswerten Rechte mehr habe: „Der Staat kann sie zwingen, eine Schwangerschaft zu Ende zu bringen, selbst wenn dies mit hohen persönlichen und familiären Kosten verbunden ist.“

Thema bei Kongresswahlen

Das Abtreibungsrecht dürfte nun eine wichtige Rolle im Wahlkampf für die Kongresszwischenwahlen im November spielen. Entsprechend brachte die Sprecherin des Repräsentantenhauses, die Demokratin Nancy Pelosi, in ihrer Reaktion auch den November ins Spiel: „Dieses grausame Urteil ist empörend und herzzerreißend. Aber täuschen Sie sich nicht: Die Rechte der Frauen und aller Amerikaner stehen im November auf dem Stimmzettel.“

Der Vorsitzende der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, sprach hingegen von einem „historischen Sieg für die Verfassung und für die Schwächsten in unserer Gesellschaft“. Die Entscheidung sei „mutig und richtig“. Donald Trump Junior, Sohn des Ex-Präsidenten, teilte den „Stolz“ auf seinen Vater mit, für „das, was er heute erreicht hat“.

Biden: „Trauriger Tag für das Land“

Biden hat in den vergangenen Wochen bereits wiederholt dazu aufgerufen, im November für Kandidaten zu stimmen, die sich für das Recht auf Abtreibungen einsetzen. Nur dann könne das bisher durch Roe v. Wade garantierte Recht auf Schwangerschaftsabbrüche künftig in einem Bundesgesetz verankert werden. Das Weiße Haus hat Möglichkeiten geprüft, wie Biden durch exekutive Maßnahmen die Abtreibungsrechte schützen kann, aber seine Möglichkeiten sind begrenzt.

US-Präsident Joe Biden
Reuters/Elizabeth Frantz
Biden bezeichnete das Urteil als „tragischen Fehler“

In seiner Stellungnahme zu dem Höchstgerichtsurteil sprach Biden am Freitag von einem „traurigen Tag für das Gericht und für das Land“. Das Urteil sei ein „tragischer Fehler“. Nun seien „die Gesundheit und das Leben der Frauen dieses Landes in Gefahr“. Er versprach, weiter für die reproduktiven Rechte zu kämpfen.

Einige Gesetze bereits vorbereitet

13 Staaten, vor allem im Süden und mittleren Westen, haben bereits Gesetze erlassen, die Abtreibungen im Falle einer Aufhebung von Roe verbieten. Bereits kurz nach der Verkündung des Urteils verbot Missouri als erster Bundesstaat Abtreibungen. Auch in anderen Staaten treten die Gesetze demnächst in Kraft, entweder quasi automatisch wie in South Dakota oder nach Bestätigung durch den Justizminister wie in Arkansas und Mississippi. Ein weiteres halbes Dutzend Staaten hat ein fast vollständiges Verbot oder ein Verbot nach der sechsten Schwangerschaftswoche – bevor viele Frauen wissen, dass sie schwanger sind.

Texas hatte es zuletzt über den zivilrechtlichen Weg versucht, Abtreibungen zu erschweren. Das dortige Gesetz verbietet alle Abtreibungen, sobald der Herzschlag des Fötus festgestellt worden ist. Das kann eben schon ab der sechsten Schwangerschaftswoche der Fall sein. Außergewöhnlich an dem Gesetz ist, dass es Privatpersonen ermöglicht, zivilrechtlich gegen alle vorzugehen, die bei einer Abtreibung helfen. Dieser rechtliche Kniff macht es auch besonders schwer, das Gesetz vor Gericht anzufechten.

Christophe Kohl (ORF) zu US-Abtreibungsrecht

ORF-Korrespondent Christophe Kohl meldet sich aus Washington vor dem Supreme Court. Das Oberste Gericht der USA hat das landesweite Recht auf Abtreibung gekippt. In einzelnen US-Bundesstaaten wie Texas hat es schon länger Vorstöße gegeben, Abtreibungen zu erschweren.

Liberale Staaten wie New York und Kalifornien haben hingegen Gesetze, die das Recht auf Abtreibung ausdrücklich schützen. In diesen Staaten dürfte sich vorerst nichts ändern. Für Schwangere bedeutet die Entscheidung, Hunderte oder gar Tausende Kilometer reisen zu müssen, um eine Abtreibungsklinik zu erreichen. Viele können sich das nicht leisten. Befürchtet wird, dass wieder vermehrt Frauen versuchen, selbst eine Abtreibung vorzunehmen.

Internationale Kritik

Mit Entsetzen reagierten auch Politiker aus dem Ausland auf die Entscheidung des Höchstgerichts. Kanadas Premierminister Justin Trudeau zeigte „Mitgefühl mit den Millionen amerikanischer Frauen, die nun ihr Recht auf Abtreibung verlieren werden“. Niemand dürfte Frauen den Umgang mit ihrem Körper vorschreiben. Die außenpolitische Sprecherin der Grünen in Österreich, Ewa Ernst-Dziedzic, sprach von einem „Trauerspiel“ und einer „Tragödie für Betroffene“.

Der britische Premier Boris Johnson bezeichnete das Urteil als „großen Rückschritt“. Auch deutsche Politiker und Politikerinnen sprachen von einem „Rückschlag für Frauen weltweit“. Die UNO warnte vor den Gesundheitsrisiken für Frauen. Die Einschränkung des Zugangs zu Abtreibung halte die Menschen nicht davon ab, diese durchzuführen, sie mache sie nur tödlicher.

Der Vatikan hingegen lobt die Entscheidung des US-Gerichts. Sie fordere die ganze Welt heraus, über Fragen des Lebens nachzudenken. Der Schutz des Lebens sei nicht auf individuelle Rechte beschränkt.