US-Präsident Joe Biden
Reuters/Elizabeth Frantz
Abtreibungsrecht gekippt

Biden will Höchstgerichtsurteil bekämpfen

Nach fast 50 Jahren hat das US-Höchstgericht das Abtreibungsrecht beendet. National wie international sind Proteste und Entsetzen groß. Die UNO warnte vor einem größeren Risiko für Frauen. US-Präsident Joe Biden sprach in einer ersten Reaktion von einem „tragischen Fehler“. Er werde alles in seiner Macht Stehende tun, „um diesen zutiefst unamerikanischen Angriff zu bekämpfen“.

Der US-Kongress müsse jetzt handeln, um in der Sache das letzte Wort zu haben. Biden: „Es ist nicht vorbei.“ Das Urteil sei „die Verwirklichung einer extremen Ideologie und ein tragischer Fehler des Obersten Gerichtshofs“. Mit der konservativen Mehrheit stimmten sechs von neun Höchstrichtern dafür, das Grundsatzurteil Roe v. Wade von 1973 zu kippen. Dieses Urteil ermöglichte bisher landesweit Abtreibungen bis zur Lebensfähigkeit des Fötus, also etwa bis zur 24. Schwangerschaftswoche.

Drei der konservativen Richter waren noch von Ex-US-Präsident Donald Trump eingesetzt worden. Dieser feierte die Supreme-Court-Entscheidung als „Gewinn für das Leben“. Das sei eine Entscheidung Gottes gewesen. Auch der Vorsitzende der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, sprach von einem „historischen Sieg für die Verfassung“. Die Entscheidung sei „mutig und richtig“.

Oberstes Gericht kippt US-Abtreibungsrecht

Das oberste Gericht der USA hat das landesweite Recht auf Abtreibung gekippt. Die US-Höchstrichterinnen und -richter stimmten mehrheitlich für eine entsprechende Entscheidung, wie der Supreme Court am Freitag mitteilte.

Hunderte protestieren für und gegen Abtreibung

Ex-US-Präsident Barack Obama kritisierte das Urteil, das „die persönlichste Entscheidung, die jemand treffen kann, den Launen von Politikern und Ideologen“ überlässt. Er rief die Bevölkerung zur Teilnahme an Protesten auf.

Nach dem Urteil versammelten sich Abtreibungsgegner und -befürworter vor dem Supreme Court. Hunderte Menschen, die sich für die Abtreibung einsetzen, riefen: „Diese Entscheidung darf nicht bestehen bleiben.“ Eine konkurrierende Gruppe demonstrierte mit Schildern mit der Aufschrift „Die Zukunft ist gegen Abtreibung“ und „Zerstückelt Roe“. Biden appellierte aber an die Bevölkerung, dass die Proteste friedlich bleiben sollten: „Keine Einschüchterung. Gewalt ist niemals akzeptabel.“

Das US-Justizministerium kündigte an, alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um die reproduktive Freiheit zu schützen. Die Bundesbehörden könnten weiterhin Dienstleistungen in diesem Bereich anbieten, wie es das Bundesgesetz zulasse. Die Entscheidung sei ein „verheerender Schlag“ und werde „unmittelbare und unumkehrbare Auswirkungen auf das Leben der Menschen im ganzen Land haben“.

Thema bei Kongresswahlen

Das Weiße Haus hat in den vergangenen Wochen bereits geprüft, wie Biden durch exekutive Maßnahmen die Abtreibungsrechte schützen kann, aber seine Möglichkeiten sind begrenzt. Die Demokraten wollen das Thema im Wahlkampf für die Kongresswahlen im November bringen und hoffen, damit mobilisieren zu können. Umfragen zufolge dürften sie ihre Mehrheit aber verlieren.

Entsprechend brachte die Sprecherin des Repräsentantenhauses, die Demokratin Nancy Pelosi, in ihrer Reaktion auch den November ins Spiel: „Dieses grausame Urteil ist empörend und herzzerreißend. Aber täuschen Sie sich nicht: Die Rechte der Frauen und aller Amerikaner stehen im November auf dem Stimmzettel.“

Pelosi: Schaden ist „endlos“

Nancy Pelosi hat das durch das oberste Gericht der USA gekippte Abtreibungsrecht als „gefährliche Entscheidung“ bezeichnet. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses warnte auch davor, dass das nur der erste Schritt im Plan der Republikaner sei, die Rechte der Fortpflanzungsmedizin einzuschränken.

Schon Entwurf sorgte für Proteste

Dass das Gericht in diese Richtung entscheiden könnte, war bereits vor rund einem Monat bekanntgeworden. Damals gelangte der Entwurf eines richterlichen Gutachtens an die Öffentlichkeit, der zeigte, dass das Gericht für diesen Schritt bereit war. Bereits der Entwurf hatte für heftige Proteste gesorgt. Umfragen zufolge spricht sich die Mehrheit der Amerikaner und Amerikanerinnen für das Recht auf Abtreibung aus. Ein Gesetzesentwurf der Demokraten für ein Recht auf Abtreibung auf Bundesebene war Mitte Mai im Senat gescheitert.

Die Regierung unter Biden und Befürworter von Abtreibungsrechten warnten, dass die Aufhebung des Urteils Roe v. Wade sich auch auf andere Rechte etwa von Homosexuellen auswirken könne. Der konservative Höchstrichter Samuel Alito schrieb aber, dass sich die Analyse nur auf die Abtreibung beziehe, nicht aber auf andere Rechte, die sich aus einem Recht auf Privatsphäre ergeben. Abtreibung sei anders, sie werfe eine einzigartige moralische Frage auf.

Kritik von liberalen Höchstrichtern

In der endgültigen Stellungnahme vom Freitag schrieb Richter Alito, dass die Urteile Roe v. Wade (1973) und Planned Parenthood v. Casey (1992) – letzteres bekräftigte das Recht auf Abtreibung – am Tag ihrer Entscheidung falsch gewesen seien und aufgehoben werden müssten. „Wir sind der Meinung, dass Roe und Casey verworfen werden müssen. Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung, und kein solches Recht wird implizit durch eine Verfassungsbestimmung geschützt.“

Die Höchstrichterinnen und -richter der USA
AP/The New York Times/Erin Schaff
Sechs der neun Richter stimmten für die Aufhebung des Abtreibungsrechts

Das aktuelle Urteil des Supreme Court bezieht sich auf den Rechtsstreit über ein Abtreibungsgesetz aus dem US-Bundesstaat Mississippi, das Schwangerschaftsabbrüche nach der 15. Woche verbietet. Scharfe Kritik kam von den drei liberalen Höchstrichtern in einer gemeinsam verfassten Stellungnahme. Das Urteil habe zur Folge, dass eine Frau im Moment der Befruchtung keine nennenswerten Rechte mehr habe: „Der Staat kann sie zwingen, eine Schwangerschaft zu Ende zu bringen, selbst wenn dies mit hohen persönlichen und familiären Kosten verbunden ist.“

Einige Gesetze bereits vorbereitet

Entscheiden können nun die Bundesstaaten selbst. 13 Staaten, vor allem im Süden und mittleren Westen, haben bereits Gesetze erlassen, die Abtreibungen im Falle einer Aufhebung von Roe verbieten. Bereits kurz nach der Verkündung des Urteils verbot Missouri als erster Bundesstaat Abtreibungen. Auch in anderen Staaten treten die Gesetze demnächst in Kraft, entweder quasi automatisch wie in South Dakota oder nach Bestätigung durch den Justizminister wie in Arkansas und Mississippi. Ein weiteres halbes Dutzend Staaten hat ein fast vollständiges Verbot oder ein Verbot nach der sechsten Schwangerschaftswoche.

Christophe Kohl (ORF) zu US-Abtreibungsrecht

ORF-Korrespondent Christophe Kohl meldet sich aus Washington vor dem Supreme Court. Das oberste Gericht der USA hat das landesweite Recht auf Abtreibung gekippt. In einzelnen US-Bundesstaaten wie Texas hat es schon länger Vorstöße gegeben, Abtreibungen zu erschweren.

Liberale Staaten wie New York und Kalifornien haben hingegen Gesetze, die das Recht auf Abtreibung ausdrücklich schützen. In diesen Staaten dürfte sich vorerst nichts ändern. Für Schwangere bedeutet die Entscheidung, Hunderte oder gar Tausende Kilometer reisen zu müssen, um eine Abtreibungsklinik zu erreichen. Viele können sich das nicht leisten. Befürchtet wird, dass wieder vermehrt Frauen versuchen, selbst eine Abtreibung vorzunehmen.

„Schlag gegen Menschenrechte von Frauen“

Als „massiven Schlag gegen die Menschenrechte von Frauen und gegen die Gleichberechtigung“ bezeichnete UNO-Menschenrechtschefin Michelle Bachelet das Urteil. Die UNO warnte vor den Gesundheitsrisiken für Frauen. Die Einschränkung des Zugangs zu Abtreibung halte die Menschen nicht davon ab, diese durchzuführen, sie mache sie nur tödlicher.

Mit Entsetzen reagierten auch Politiker aus dem Ausland auf die Entscheidung des Höchstgerichts. Kanadas Premierminister Justin Trudeau zeigte „Mitgefühl mit den Millionen amerikanischer Frauen, die nun ihr Recht auf Abtreibung verlieren werden“. Niemand dürfte Frauen den Umgang mit ihrem Körper vorschreiben. Die außenpolitische Sprecherin der Grünen in Österreich, Ewa Ernst-Dziedzic, sprach von einem „Trauerspiel“ und einer „Tragödie für Betroffene“.

Der britische Premier Boris Johnson bezeichnete das Urteil als „großen Rückschritt“. Auch deutsche Politiker und Politikerinnen sprachen von einem „Rückschlag für Frauen weltweit“. Der Vatikan hingegen lobt die Entscheidung des US-Gerichts. Sie fordere die ganze Welt heraus, über Fragen des Lebens nachzudenken. Der Schutz des Lebens sei nicht auf individuelle Rechte beschränkt.