Demstation vor dem Supreme Court in Washington, USA
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US-Abtreibungsrecht gekippt

Weitere Grundsatzurteile könnten wackeln

Der Oberste Gerichtshof der USA hat mit einer wegweisenden Entscheidung das liberale Abtreibungsrecht des Landes gekippt. „Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung“, heißt es in der Urteilsbegründung des Supreme Court von Freitag. Nun könnten auch andere Präzedenzfälle auf dem Prüfstand stehen.

Mit der konservativen Mehrheit stimmten sechs von neun Höchstrichtern dafür, das Grundsatzurteil Roe v. Wade von 1973 zu kippen. Dieses Urteil ermöglichte bisher landesweit Abtreibungen bis zur Lebensfähigkeit des Fötus, also bis zur 24. Schwangerschaftswoche.

Dass das Gericht in diese Richtung entscheiden könnte, war bereits vor rund einem Monat bekanntgeworden. Damals gelangte der Entwurf eines richterlichen Gutachtens an die Öffentlichkeit, der zeigte, dass das Gericht für diesen Schritt bereit war. Die Regierung unter Präsident Joe Biden und Befürworter von Abtreibungsrechten warnten, dass die Aufhebung des Urteils Roe v. Wade sich auch auf andere Rechte etwa von Homosexuellen auswirken könne.

Aufregung um gekipptes US-Abtreibungsrecht

In den USA gehen die Emotionen hoch, nachdem das Höchstgericht das Abtreibungsrecht für Frauen gekippt hat. In einigen konservativen Bundesstaaten zeichnet sich jetzt sogar ein komplettes Verbot für Schwangerschaftsabbrüche ab.

Höchstrichter will weitere Präzedenzfälle prüfen

Der konservative Höchstrichter Samuel Alito schrieb damals aber, dass sich die Analyse des Supreme Court nur auf die Abtreibung beziehe, nicht aber auf andere Rechte, die sich aus einem Recht auf Privatsphäre ergeben. Abtreibung sei anders, sie werfe eine einzigartige moralische Frage auf.

Andres klang das am Freitag freilich in der Stellungnahme des konservativen Höchstrichters Clarence Thomas, wie etwa die BBC und NBC News berichteten. Thomas schrieb: „In künftigen Fällen sollten wir alle Präzedenzfälle dieses Gerichtshofs, einschließlich Griswold, Lawrence und Obergefell, überdenken.“ Er bezog sich damit auf drei bahnbrechende Entscheidungen der Vergangenheit über das Recht auf Empfängnisverhütung, die Aufhebung der Sodomiegesetze bzw. die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe. „Wir haben die Pflicht, den in diesen Präzedenzfällen festgestellten Fehler zu korrigieren“, schrieb Thomas.

US-Präsident Joe Biden
AP/Andrew Harnik
Biden verurteilt die Entscheidung, steht ihr aber relativ machtlos gegenüber

Die Demokraten würden das Recht auf Abtreibung gerne per Gesetz bundesweit regeln. Doch dazu fehlen ihnen die nötigen Stimmen im Kongress. US-Präsident Biden kann dieses Recht auch nicht einfach per Dekret wiederherstellen. Der Demokrat hofft, bei den Kongresswahlen im November eine notwendige Mehrheit für ein solches Gesetz für seine Partei zu bekommen. Umfragen deuten aber eher in die andere Richtung – auf Zugewinne für die Republikaner.

Biden sieht „tragischen Fehler“

Biden sprach am Freitag in einer ersten Reaktion von einem „tragischen Fehler“. Er werde alles in seiner Macht Stehende tun, „um diesen zutiefst unamerikanischen Angriff zu bekämpfen“. Seine Regierung werde alles dafür tun, das Recht von Frauen auf Reisefreiheit sicherzustellen. „Eine Person hat das Recht, aus jedem beliebigen Grund von einem Staat in einen anderen zu reisen – das geht niemanden etwas an, schon gar nicht die Regierung“, hieß aus dem Weißen Haus. Wenn jemand versuche, Frauen bei der Ausübung dieses Grundrechts zu behindern, werde die Regierung Biden diesen „zutiefst unamerikanischen Angriff bekämpfen“.

Biden ordnete außerdem dem Gesundheitsministerium an, sicherzustellen, dass der Zugang zu zugelassenen Abtreibungspillen – einschließlich über Telemedizin und des Versands per Post – sichergestellt sei. Nach Auffassung des Justizministeriums können Bundesstaaten ein entsprechendes Medikament nicht einfach verbieten.

Demonstration in New York gegen die Entscheidung des Supreme Court
Reuters/Caitlin Ochs
Tausende Menschen versammelten sich zu spontanen Protesten gegen das Urteil

Einige Gesetze bereits vorbereitet

Entscheiden können nun die Bundesstaaten selbst. 13 Staaten, vor allem im Süden und Mittleren Westen, haben bereits Gesetze erlassen, die Abtreibungen im Falle einer Aufhebung von Roe verbieten. Bereits kurz nach der Verkündung des Urteils verbot Missouri als erster Bundesstaat Abtreibungen. Auch in anderen Staaten treten die Gesetze demnächst in Kraft, entweder quasi automatisch wie in South Dakota oder nach Bestätigung durch den Justizminister wie in Arkansas und Mississippi. Ein weiteres halbes Dutzend Staaten hat ein fast vollständiges Verbot oder ein Verbot nach der sechsten Schwangerschaftswoche.

Nach Angaben der „New York Times“ waren bereits am Freitagabend (Ortszeit) mehr als sieben Millionen Frauen im gebärfähigen Alter von den neuen Beschränkungen betroffen. Diese Zahl dürfte in den kommenden Tagen und Wochen noch deutlich ansteigen. In vielen Staaten wie etwa Missouri und Oklahoma drohen Ärztinnen und Ärzten, die Abtreibungen durchführen, nun lange Gefängnisstrafen.

Die Gouverneurinnen und Gouverneure unter anderem aus Kalifornien, Oregon, Washington, Massachusetts, New Jersey und New York bekannten sich hingegen zu ihrer liberalen Haltung bezüglich Abtreibungen. Frauen können theoretisch in diese Staaten reisen, um eine Abtreibung durchführen zu lassen. Allerdings können sich das viele nicht leisten. Befürchtet wird, dass wieder vermehrt Frauen versuchen, selbst eine Abtreibung vorzunehmen.

Trump und Co. triumphieren

Während Liberale mit Entsetzen auf das Urteil reagierten und in den Großstädten Tausende Menschen spontan gegen das Urteil protestierten, feierten viele Konservative die Entscheidung. Ex-Präsident Donald Trump nannte die Entscheidung einen „Gewinn für das Leben“. Sein damaliger Vize Mike Pence rief Abtreibungsgegner dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass Schwangerschaftsabbrüche nun in allen Bundesstaaten verboten werden. Eine Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner befürwortet Umfragen zufolge das Recht auf Abtreibung.