Gerichtszeichnung von Salah Abdeslam
APA/AFP/Benoit Peyrucq
Pariser Anschläge 2015

Lebenslange Haft für Hauptangeklagten

Bei den Pariser Anschlägen im November 2015 mussten 130 Menschen ihr Leben lassen. Mittwochabend wurde das einzige noch lebende Mitglied des verantwortlichen Dschihadistenkommandos, der 32-jährige Salah Abdeslam, des Terrorismus und des Mordes schuldig gesprochen. Er erhielt lebenslange Haft ohne die Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung. Auch gegen andere Angeklagte gab es lange Haftstrafen – 19 der 20 Männer wurden in allen Punkten schuldig gesprochen.

In dem Prozess im Pariser Justizpalast war mehr als neun Monate lang die Anschlagsserie vom 13. November 2015 aufgerollt worden. An jenem Abend hatten Extremisten in der französischen Hauptstadt binnen weniger Stunden 130 Menschen getötet und 350 weitere verletzt. Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) reklamierte die Anschläge später für sich. Die meisten Mitglieder des Terrorkommandos sprengten sich bei den Anschlägen selbst in die Luft. Einer wurde noch am Abend von der Polizei erschossen, weitere starben bei einem Polizeieinsatz wenige Tage später.

In der Regel kommen zu lebenslanger Haft verurteilte Täter in Frankreich nach 20 bis 25 Jahren frei. Das wollte die französische Justiz nun jedenfalls verhindern. „Salah Abdeslam ist bis zum Schluss seiner Ideologie treu geblieben und ist unfähig, auch nur die geringsten Gewissensbisse zu zeigen“, so Staatsanwältin Camille Hennetier in ihrem Schlussplädoyer.

Lebenslange Strafe bei Terrorprozess in Paris

Im Prozess um die islamistischen Terroranschläge von 2015 in Paris ist der Hauptangeklagte Salah Abdeslam zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Der Prozess war der größte, den Frankreich je erlebt hat. Seit September wurden Antworten gesucht, für die Angehörigen der Opfer blieb vor allem die Frage nach dem Sinn offen. Aber auch Details blieben ungeklärt. Der Hauptangeklagte Abdeslam trug wenig zur Aufhellung bei.

Menschen vor dem Gerichtssaal in Paris
AP/Michel Euler
Die Urteilsverkündung des Schwurgerichts im Pariser Justizpalast verzögerte sich um Stunden

„Ich liebe den IS“

Er war Teil des Todeskommandos, das im November 2015 durch die französische Hauptstadt zog. Die Dschihadisten richteten ein Massaker im Konzertsaal Bataclan an und beschossen wahllos Bars und Restaurants. Zudem sprengten sich drei Selbstmordattentäter während eines Länderspiels zwischen Deutschland und Frankreich am Stade de France in die Luft. Die Anschläge reklamierte die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) für sich. Die Terroristen töteten 130 Menschen, 350 wurden verwundet. Die Anschläge trafen Frankreich ins Mark und sorgten auf der ganzen Welt für Entsetzen.

Von Reue oder Mitgefühl war bei Abdeslams Aussagen erst am Ende des Prozesses zu hören. Der Westen drücke dem Rest der Welt seine Werte auf, richte in muslimischen Ländern Militärbasen ein und töte von dort aus Muslime, so Abdeslam noch zu Beginn des Verfahrens. Der IS kämpfe dagegen an. „Das finde ich legitim“, so der 32-Jährige. „Ich bin aufseiten des IS. Ich liebe ihn.“

Salah Abdeslam
AP/Belgium Federal Police
Abdeslam auf einem Bild von 2015. Er gilt als das einzige noch lebende Mitglied des Terrorkommandos.

Die Hinterbliebenen der Todesopfer bat er um Verzeihung, die Tat selbst aber bereute er nicht. Er wollte aber nicht als Mörder gelten. „Es stimmt, dass ich Fehler gemacht habe, aber ich bin kein Mörder, niemand, der tötet“, so Abdeslam bei seinen Abschlussworten am Montag vor Gericht. „Wenn Sie mich wegen Mordes verurteilen, begehen Sie eine Ungerechtigkeit.“

Abdeslam schon in Belgien verurteilt

Die übrigen anwesenden Angeklagten schwiegen weitgehend. Am Ende nutzte ein Teil die Möglichkeit, um ihre Reue auszudrücken. Sie sollen Papiere besorgt, Abdeslam außer Landes gefahren oder in zwei Fällen verhinderte Attentäter sein. Von jenen sechs weiteren Angeklagten, die nicht da waren, kamen fünf vermutlich in der Zwischenzeit in Syrien ums Leben, einer ist wegen Terrorvorwürfen in der Türkei inhaftiert.

Abdeslam selbst war nach fünfmonatiger Flucht in Belgien festgenommen worden. Dort wurde er bereits wegen Schüssen auf die Polizei zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt.

Ex-Präsident und Rocksänger sagten aus

In dem Prozess sagten auch prominente Zeugen aus, etwa der damalige Staatspräsident Francois Hollande. „Man hat Krieg gegen uns geführt, darauf haben wir geantwortet“, sagte er. Frankreich sei wegen seiner Lebensweise angegriffen worden. Ziel sei gewesen, das Land zu destabilisieren und vom Engagement in Syrien und im Irak abzubringen. Hollande entschuldigte sich bei Opfern und Angehörigen dafür, dass es nicht gelungen sei, die Anschläge zu verhindern. Die Bedrohung sei zwar bekannt gewesen, die entscheidenden Informationen hätten aber gefehlt. „Wir wussten nicht, wann, wie und wo sie zuschlagen werden.“

Eagles of Death Metal Sänger Jesse Hughes und Gitarrist Eden Galindo bei einem Interview vor dem Gerichtssaal
AP/Christophe Ena
Sänger Jesse Hughes sagte im Mai aus. Die Anschläge hätten sein Leben „für immer verändert“.

Auch der Sänger der US-Rockband Eagles of Death Metal, Jesse Hughes, sagte aus. Er trat damals im Bataclan auf und schilderte die Tatnacht hochemotional. Der Abend habe sein Leben „für immer verändert“, so Hughes. Er habe damals „mitten im Konzert“ Schüsse gehört. „Ich hörte, wie der Tod mir näher kam.“

Offene Fragen bleiben

Einige Ungereimtheiten blieben aber auch nach 130 Verhandlungstagen offen. So wurde nicht restlos geklärt, warum Abdeslam seinen Sprengstoffgürtel nicht zündete. Er hatte sich in der Terrornacht des Gürtels in einem Vorort entledigt und flüchtete. Er selbst sagte aus, er habe das aus „Menschlichkeit“ getan. „Ich habe mich entschieden, den Gürtel nicht zu zünden, nicht aus Angst, es war meine Entscheidung.“

Ein Sachverständiger aber sagte, dass die Weste wegen mehrerer Defekte nicht funktionsfähig gewesen sei. Die Anklage war auch davon ausgegangen, dass Abdeslam versuchte, den Sprengstoff zu zünden, aber scheiterte.

Autokonvoi verlässt das Gefängnis in Fleury-Mérogis, im Süden von Paris.
APA/AFP/Thomas Coex
Abdeslam saß im Gefängnis Fleury-Merogis südlich von Paris ein

Auch sagte Abdeslam aus, sein eigentliches Anschlagsziel sei eine Bar im 18. Pariser Arrondissement gewesen, er könne sich aber nicht mehr konkret an den Ort erinnern. Eine Bar im Pariser Norden war jedoch nicht auf der Liste der Anschlagsziele aufgeführt, die die Ermittler fanden. Unklar blieb während des Verfahrens auch, warum er als Einziger allein unterwegs war, während die anderen Täter jeweils zu dritt auftraten. Ob diese Fragen je geklärt werden, ist ungewiss.

Nächster Prozess geplant

Die Aufarbeitung in Frankreich wird auch nach dem Mammutprozess weitergehen. Bald wird im selben Gerichtssaal ein weiterer Anschlag verhandelt – aus dem südfranzösischen Nizza nur acht Monate später. Auf der Strandpromenade starben am 14. Juli 2016, dem Nationalfeiertag, 86 Menschen bei der Amokfahrt mit einem Lkw. Auch diese Tat reklamierte der IS für sich.