Israels Ex-Premier Benjamin Netanjahu
Reuters/Ronen Zvulun
Poker in Knesset

Israels Opposition bremst bei Neuwahl

Die bunte Links-Rechts-Koalition aus acht Parteien von Premier Naftali Bennett in Israel ist Geschichte, Neuwahlen sind fix. Doch seit dem Ende der Koalition läuft ein auch für israelische Verhältnisse komplexer Poker über das nötige Gesetz zur Auflösung der Knesset und der Festlegung von Neuwahlen. Die auf den ersten Blick absurde Konstellation: Ausgerechnet die Opposition bremst beim Beschluss.

Für die Oppositionsparteien – und Gleiches gilt für die Noch-Regierungsparteien – geht es darum, sich jeweils die beste Ausgangslage für die fünfte Parlamentswahl binnen vier Jahren zu schaffen. Das Land ist innenpolitisch seit Jahren tief gespalten.

Trotz all der vielen auch existenziellen Probleme dreht sich alles im Wesentlichen um eine Frage: Ist man pro oder kontra Benjamin Netanjahu? Der Langzeitregierungschef sieht seinerseits nach nur einem Jahr Pause seine Chance für ein Comeback als Regierungschef greifbar nahe.

Avigdor Liberman, Benny Gantz und Yair Lapid
APA/AFP/Ahmad Gharabli
Diese drei sind sich selten einig, außer bei „nicht mit Netanjahu“: Avidgor Lieberman, Benni Ganz und Jair Lapid

Ausschuss stimmt in erster Lesung für Parlamentsauflösung

In der Nacht zum Dienstag stimmten die Mitglieder des Parlamentsausschusses in erster Lesung für die Parlamentsauflösung – nötig sind allerdings drei Lesungen und Abstimmungen. In Kraft treten soll das Gesetz zur Parlamentsauflösung am Mittwoch um Mitternacht.

Langwierige Debatten zwischen der Regierung und der Opposition am Montagabend verzögerten die Abstimmung. Noch-Regierungschef Bennett nahm sich mit Andeutungen einer Politauszeit quasi selbst aus dem Rennen – mit seiner geschrumpften Jamina-Partei müsste er aber jedenfalls mit kräftigen Verlusten rechnen. Außenminister und Vizeregierungschef Jair Lapid ist der Frontmann des liberalen Lagers, das von weit links bis in die – in den letzten Jahren zunehmend geschrumpfte – politische Mitte reicht.

Lapid hat es eilig

Lapid strebt einen raschen Beschluss der Neuwahl an. Er soll in den nächsten Tagen Bennett als Übergangsregierungschef nachfolgen. Damit könnte der Ex-Journalist Lapid erstmals in dieser Rolle in einen Wahlkampf gehen – ein großer Vorteil, selbst wenn die Übergangsregierung wohl nur noch mäßig bis gar nicht handlungsfähig wäre. Genau das ist freilich auch Netanjahus Plan. Wer immer es wird, wird jedenfalls versuchen, mit Maßnahmen gegen die Teuerungen zu punkten.

Da sich Netanjahu in der Opposition befindet, kann er nur Ministerpräsident werden, wenn er mehrere Abgeordnete der derzeitigen Koalitionsparteien auf seine Seite ziehen kann, um so einen fliegenden Regierungswechsel zustande zu bringen.

Opposition will Zeit gewinnen

Das führt zu der durchaus ungewöhnlichen Situation, dass ausgerechnet die Opposition es nicht eilig hat mit dem Neuwahlbeschluss, da dann auch die Bildung einer anderen Regierung nicht mehr möglich wäre. Vielmehr wird in der Knesset derzeit taktiert. Und Netanjahus Verbündete versuchen – etwa mit Versprechen wie einem sicheren Listenplatz beim Likud –, insbesondere die Innenministerin Ajelet Schaked oder den Abgeordneten Nir Orbach (beide von Bennetts Jamina) auf ihre Seite zu ziehen.

Anti-Netanjahu-Gesetze als Wahlkampf

Die Noch-Koalitionspartner wiederum entdeckten plötzlich ein eigenes Vorhaben wieder, das sie nach der Regierungsbildung – obwohl ein zentrales Wahlkampfversprechen im Vorjahr – auf Eis gelegt hatten: einerseits eine zeitliche Beschränkung, wie lange jemand Regierungschef sein kann, und andererseits ein Gesetz, das es Kandidaten, gegen die ein Korruptionsprozess läuft, verbietet, ein Regierungsamt zu übernehmen.

Bei aller grundsätzlichen Berechtigung handelt es sich bei beiden – allein aufgrund des Zeitpunkts – freilich jeweils klar um eine „Lex Netanjahu“. Beschlossen werden diese Gesetze sicher nicht mehr, aber zur Mobilisierung von Netanjahu-Gegnern, so wohl das Kalkül, reicht es allemal.

Israels Innenministerin Ayelet Shaked
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Jamina-Politikerin Schaked wurde vom Aus der Koalition in Marokko überrascht

Zu viele Versprechen gebrochen

Mit taktischen Spielchen und gebrochenen Versprechen hat sich Netanjahu allzu viele von ihnen dauerhaft zu entschiedenen Gegnern gemacht – vom derzeitigen Finanzminister Avigdor Lieberman und Vizeregierungschef Lapid bis hin zu Verteidigungsminister Benni Ganz. Netanjahus Rechtsblock wird aber voraussichtlich auch im Herbst allein nicht 61 der 120 Abgeordnetensitze in der Knesset erobern.

Neben religiösen und teils weit rechts stehenden Parteien, die ihm beinahe blind folgen, hat Netanjahu trotz seiner Wahlerfolge und ungebrochenen Zugkraft im rechten Lager kaum noch mögliche Partner.

Als größter Hoffnungskandidat gilt aus Netanjahus Sicht da am ehesten noch der aktuelle Justizminister Gideon Saar. Der langjährige Likud-Politiker hatte Netanjahu in der Vergangenheit aufgefordert, als Likud-Chef zurückzutreten, da er angesichts der Korruptionsvorwürfe nicht mehr tragbar sei. Saar gründete schließlich eine eigene Partei und wechselte ins Anti-Netanjahu-Lager. Zumindest nach derzeitigem Stand dürfte er dort auch bleiben.

Netanjahu hat Lösung für Dilemma in der Hand

Das Drama, aus dem Israel seit Jahren keinen Ausweg findet – und das die Demokratie zusehends auf eine Probe stellt –, erreicht in diesen Stunden somit einen neuen Höhepunkt. Letztlich ist Netanjahu für den innenpolitischen Dauerstillstand verantwortlich. Er hat sich trotz strafrechtlicher Ermittlungen wegen Korruption jahrelang geweigert, als Ministerpräsident zurückzutreten, und setzte stattdessen Justiz und Medien schwer unter Druck.

Anders als alle anderen Akteurinnen und Akteure hätte er es in der Hand, das Patt zu beenden – mit seinem Rücktritt. Dieser würde die Karten unmittelbar neu mischen und sein Likud hätte leichtes Spiel, eine Koalition zu bilden. Denn viele von Netanjahus Gegnern hätten kein Problem, mit dem Likud zu koalieren – aber eben „nicht unter Netanjahu“, wie mehrere erst am Montag wieder betonten. Die künftige Richtung des Landes ist unklar, aber der Trend der letzten Jahre dürfte sich aller Voraussicht nach fortsetzen: nach rechts.