NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg
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NATO-Gipfel beginnt

Suche nach Bewältigungsstrategien

Beim Zusammentreffen des Militärbündnisses in Madrid am Mittwoch und Donnerstag werden Wege gesucht, wie man dem russischen Angriffskrieg antworten kann. Dabei geht es auch um eine Verteidigungsstrategie nach dieser Zeitenwende. Die USA wollen etwa langfristige militärische Stationierungen in Europa. Ein Brocken wurde schon im Vorfeld aus dem Weg geräumt: die türkische Blockade zur NATO-Norderweiterung.

Von einem Gipfel zum nächsten: Gerade beendete die G-7 ihr Treffen in Bayern, nun mussten etliche Teilnehmende weiter in die spanische Hauptstadt zum Treffen der NATO. Am Mittwoch und Donnerstag will man hier die Zukunft des Bündnisses debattieren und die Weichen stellen für eine Zeit nach der Invasion in ein europäisches Land, der Ukraine.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg schwor das Bündnis bereits im Vorfeld auf verstärkte Anstrengungen zur gemeinsamen Verteidigung ein. „Der Gipfel in Madrid ist entscheidend“, so Stoltenberg am Dienstag bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez. Das neue strategische Konzept werde zur „Blaupause der NATO in einer zunehmend gefährlichen und unberechenbaren Welt“, sagte Stoltenberg. Er kündigte fundamentale Änderungen an zur Abschreckung und Verteidigung mit Militärkräften, die näher an den NATO-Grenzen stünden und mit dort bereitstehendem Material ausgerüstet seien.

Spaniens Premierminister Pedro Sanchez und Joe Biden schütteln Hände
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Biden kam am Dienstag in Madrid an und wurde von Sanchez begrüßt. Thema ist die Aufstockung auf der Basis Rota

Stoltenberg kündigte zudem weitere Hilfen für die Ukraine an, um die Selbstverteidigung des Landes zu unterstützen. „Es ist extrem wichtig, dass wir zu weiterer Unterstützung bereit sind, denn die Ukraine erlebt eine Brutalität, die wir seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen haben.“ Sanchez sagte, von dem Gipfel solle ein Signal der Geschlossenheit ausgehen. Es gehe darum, Werte wie Freiheit, politischen Pluralismus, die Achtung der Menschenrechte und die regelbasierte internationale Ordnung zu verteidigen.

USA verstärken Kräfte an Land, in Luft und zur See

Die USA wollen bei dem Treffen nach den Worten ihres Nationalen Sicherheitsberaters Jake Sullivan neue langfristige militärische Stationierungen in Europa bekanntgeben. Am Mittwoch werde es „spezifische Ankündigungen“ zu „zusätzlichen Kräften“ an Land, in der Luft und zur See geben, sagte Sullivan. Diese Kräfte würden konzentriert auf die Staaten des Baltikums, des Balkans und die an Russland grenzende Ostflanke der NATO. US-Präsident Joe Biden bat schon bei seiner Ankunft in Madrid am Dienstag das Gastgeberland, die Zahl der auf der südspanischen Marinebasis Rota stationierten US-Zerstörer von vier auf sechs zu erhöhen. Die Zahl der dort stationierten Soldaten soll von 1.200 auf 1.800 aufgestockt werden.

Die NATO

Die North Atlantic Treaty Organization (NATO) wurde 1949 als Verteidigungsbündnis gegründet. Sie umfasst inzwischen 30, und wohl bald 32 europäische und nordamerikanische Mitgliedstaaten. Artikel 5 des NATO-Vertrags besagt, dass ein bewaffneter Angriff auf einen Bündnispartner als Angriff gegen jeden der Bündnispartner gesehen wird.

Schon zuvor hatte die NATO bekanntgegeben, dass sie ihre schnelle Eingreiftruppe deutlich aufstocken will, um der russischen Aggression zu begegnen. Statt 40.000 sollen bald 300.000 Eingreifkräfte bereitstehen. Als Reaktion darauf will Russland nun seine westliche Außengrenze stärken. Vor dem Hintergrund neuer Gefahren entwickle das Verteidigungsministerium entsprechende Pläne, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag in Moskau. Details nannte er aber nicht. „Die NATO ist ein aggressiver Block, ein Block, der zu Konfrontationszwecken geschaffen wurde“, so Peskow.

Kurz vor dem Gipfel forderte auch die Ukraine erneut mehr Unterstützung. Präsident Wolodymyr Selenskyj hofft auf ein leistungsfähiges Raketenabwehrsystem, wie er nach einem Telefonat mit Stoltenberg bekanntgab. Es wird erwartet, dass Selenskyj per Videoschaltung auch am Gipfel teilnimmt.

Türkei lenkt bei NATO-Norderweiterung ein

Schweden und Finnland wollen der NATO beitreten. Die Türkei hat sich bisher quergestellt, am Dienstag hat Ankara seine Blockade aber aufgegeben.

Türkei gab Blockade auf

Ein dominantes Thema wird auch die NATO-Norderweiterung sein: Nach langem Zögern gab die Türkei ihre Blockade gegen die Beitritte von Schweden und Finnland am Dienstag, erst kurz vor Gipfelbeginn, auf. Die beiden Länder hatten sich nach der russischen Invasion in der Ukraine zu Beitrittsansuchen entschieden. Die Türkei hatte ihnen jedoch vorgeworfen, kurdische Kräfte, die von der Türkei als Terroristen eingestuft werden, zu unterstützen. Nun aber scheint der Weg für die Beitrittsgespräche frei zu sein.

Ein gemeinsames Memorandum wurde dazu am Dienstag unterzeichnet. Es unterstreiche die Verpflichtung Finnlands, Schwedens und der Türkei, ihre volle Unterstützung gegen die Bedrohung der Sicherheit des jeweils anderen Landes zu gewährleisten, hieß es in einer Mitteilung des finnischen Präsidenten Sauli Niinistö. US-Präsident Biden gratulierte den Ländern zur Einigung. Die Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens „wird die kollektive Sicherheit der NATO stärken und dem gesamten transatlantischen Bündnis zugutekommen“, so Biden.

Die Einigung im NATO-Streit mit der Türkei um den Beitritt von Schweden und Finnland ist laut dem Sicherheitsexperten Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin auf amerikanischen Druck hin entstanden. Das sagte Kaim am Mittwoch gegenüber Ö1. Zahllose Gespräche zwischen Schweden, Finnland und der Türkei seien ergebnislos geblieben. Die Norderweiterung bezeichnete er als eine „erhebliche Stärkung“ des Militärbündnisses. Die Ostsee werde dadurch zu einem „NATO-Binnenmeer“, und es sei möglich, einen Neuverteilungsplan für Nordosteuropa zu erstellen.

NATO-Gipfel für Stoltenberg „historisch“

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat das Gipfeltreffen der Verteidigungsallianz als historisch bezeichnet. Der Gipfel werde die Geschlossenheit der Allianz sowie die Fähigkeit, sich an eine sich ändernde Welt anzupassen, zeigen, sagte Stoltenberg in Madrid.

Nehammer trifft Erdogan

Ein weiteres Treffen Erdogans steht mit Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) an. Die Zusammenkunft wird als Schlussstrich unter der jahrelangen politischen Eiszeit zwischen Wien und Ankara gesehen. Zu seinem Treffen mit Erdogan sagte Nehammer in Bezug auf den Krieg in der Ukraine: „Wir dürfen nicht aufhören, für die Chance auf Frieden alles in unserer Macht Stehende zu tun. Es ist daher wichtig, dass der Istanbuler Prozess weiter fortgeführt wird.“

Vor seinem Gipfelbesuch betonte der Kanzler die Zusammenarbeit der EU mit der NATO. Diese sei „ein wichtiger Bestandteil der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union“. „Gerade der russische Angriffskrieg in der Ukraine zeigt, dass essenzielle Fragen unserer Sicherheit nur in der Gemeinschaft gelöst werden können. Wir müssen also in Zeiten wie diesen umso stärker zusammenarbeiten. Das Treffen ist dazu ein wichtiger Schritt, um unser gemeinsames Vorgehen weiter auszubauen“, so Nehammer weiter.