George Brecht, George Maciunas, Fluxus 1 (Yearbox), 1964 – 1965
George Maciunas Foundation inc, New York/George Brecht/Bildrecht Wien 2021
Kunst der Gemeinschaft

Grüße aus der Fluxuskiste

Vom Alltagsleben bis zur Kunstwelt: Zusammenarbeit ist das Schlagwort der Stunde. Als Vorläufer der heutigen aktivistischen Gruppenprojekte können Dada und Fluxus gelten. Letztere, die Anti-Kunst-Bewegung der 60er Jahre, steht nun im Zentrum einer Sammlung im Wiener mumok, die tief in die Fluxuskiste blicken lässt – und auch andere Angriffe auf die Idee des männlichen Künstlergenies versammelt.

Ein Zettel ruft dazu auf, die Blumen „bis zum Moment des Fallens“ zu beobachten. Auf einem Leporello tanzen die Buchstaben. Eine Silberfolie hält fest, „der Betrachter vervollständigt das Kunstwerk“: Die Demokratisierung der Kunst verfolgten die Fluxus-Künstler damals mit kleinteiligen (Papier-)Arbeiten. Verpackt in Schachteleditionen – von denen vier Stück nun den Kern der Wiener mumok-Schau bilden – verschipperte die lose Gruppe ihre ephemere Kunst günstig und in vielfacher Ausführung durch die Welt und erweiterte so das Spektrum an Produktions-, Distributions- und Rezeptionsformen nachhaltig.

„Wenn du es definieren kannst, ist es kein Fluxus“, verlautbarte damals der Fluxus-Dichter Emmett Williams. Die Verweigerung der Marktförmigkeit ist damit bereits angesprochen. Gegründet 1960 vom litauischstämmigen Künstler George Maciunas, trat die Gruppe in die antibürgerlichen Fußstapfen der Dadaisten der 1910er Jahre und verpasste deren Anti-Establishment-Kunstverständnis auch via Performances ein modernes Gewand.

Fotostrecke mit 8 Bildern

Ansicht der Ausstellung „Kollaborationen“ im Wiener mumok
Photo: Oliver Ottenschläger, © mumok
Ausstellungsansicht im mumok, im Vordergrund die Vitrinen mit den Fluxus-Editionen
Ansicht der Ausstellung „Kollaborationen“ im Wiener mumok
Photo: Oliver Ottenschläger, © mumok
Yoko Ono, „White Chess Set“, 1966, Ausstellungsansicht
Richard Hamilton, Dieter Roth
INTERFACEs 17–18, 1977–1978
R. Hamilton. All Rights Reserved, Bildrecht, Wien 2022, © The estate of Dieter Roth / Hauser und Wirth Zürich 2022
Ein Versuch, einander ähnlich zu werden: Richard Hamilton, Dieter Roth, „INTERFACEs 17–18“, 1977–1978
Andreas Gursky
Nha Trang, 2004
Andreas Gursky / Courtesy Sprüth Magers / Bildrecht, Wien 2022
Andreas Gursky und ein anderer Blick auf das Kollektive: Nha Trang, 2004, Foto einer Fabrikshalle in Vietnam
Valeriy Gerlovin, Rimma Gerlovina
Costumes, 1977
Valeriy Gerlovin / Rimma Gerlovina
Rimma und Waleri Gerlowin, „Costumes“, 1977
Oswald Wiener
1. und einzige Aktion mit O. Wiener, Ingrid Schuppan, Kurt Kalb, Dominik Steiger, Robert Klemmer und Frau, Michel Würthle, Traudl Bayer, 1967
Oswald Wiener
Oswald Wiener, Fotodokument der 1. und einzigen Aktion mit O. Wiener, Ingrid Schuppan, Kurt Kalb, Dominik Steiger, Robert Klemmer und Frau, Michel Würthle sowie Traudl Bayer, 1967
Ree Morton
Something in the Wind, 1975
Estate of Ree Morton
Ree Morton, „Something in the Wind“, 1975
Kerstin von Gabain, Nino Sakandelidze
DOLLHOUSE OF A POEM, 2017
Kerstin von Gabain / Nino Sakandelidze
Ein Puppenhaus als kollektive Ausstellungsfläche: Kerstin von Gabain, Nino Sakandelidze, „DOLLHOUSE OF A POEM“, 2017

Documenta bis Turner Prize

Die von Fluxus damals großgeschriebene Gemeinschaftlichkeit durchdringt heute die Kunstwelt, von der documenta bis zum Turner Prize (2021 wurden vier Kollektive nominiert). Im mumok ist das Thema „Kollaboration“ nun im Zentrum einer Sammlungspräsentation. Der Bogen spannt sich von den Secessionisten über die Wiener Avantgarde bis zu den aktuellen Leiterinnen der Vereinigung Bildender Künstler*innen Österreichs und holt am Ende sogar direkt die diesjährige documenta nach Wien: In der Videoserie „lumbung calling“ unterhält sich das – mittlerweile aufgrund der Antisemitimusdebatte stark in der Kritik stehende – indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa mit Gästen über ihre zentralen Prinzipien (Lokale Verankerung, Humor, Großzügigkeit etc.).

In der von Heike Eipeldauer und Franz Thalmair im Duo kuratierten Schau stehen mit den 60ern und 70ern jene Jahre im Zentrum, als das kollektive Arbeiten groß in Mode kam. Die Arbeiten (mit dabei Namen wie Yoko Ono, Marina Abramovic und Heimo Zobernig) werden allerdings in eher verwirrend losen Blöcken („Allverbundenheit“, „Soziale Utopien“, „Gemeinschaft zelebrieren“) aufgedröselt. Für eine bessere Einordnung der Positionen kann auf den Katalog zurückgegriffen werden, der in der Ausstellung aufliegt.

Robert Watts, Rembrandt Signature Chair, 1965-1990
Photo: Oliver Ottenschläger, © mumok

Schachspielen für den Frieden

Der Kollaborationsbegriff ist schon zu Beginn weit gesteckt: Mit Yoko Onos Schachspiel mit ausschließlich weißen Figuren, das die Idee der Gegnerschaft ad absurdum führen will (1966) und Franz Erhard Walthers Kleidungsstück-ähnlichen Objekten „Annäherung …, Für Zwei …, Gegenüber“ (1967), die angezogen werden können, werden die Besucherinnen und Besucher zunächst als Kollaborateure angesprochen.

Prägnant dann der „Rembrandt Signature Chair“ (1965) von Robert Watts, selbst Mitglied der Fluxus-Gruppe, der den Künstlergeniegestus aufs Korn nimmt. Eine Art Regiesessel zeigt Rembrandts Signatur als marktschreierische rote Leuchtschrift. Das Objekt verweist darauf, dass hinter den großen Heroen der Kunstgeschichte oft nicht der Meister alleine stand, sondern – wie bei Rembrandt – eine ganze Werkstatt.

Vom vermeintlichen Kuss bis zur Verbundenheit mit dem Kosmos: Mit einer neuen Ausstellung spürt das Wiener mumok künstlerischen wie gesellschaftlichen „Kollaborationen“ nach. Über zwei Ebenen erstreckt sich der vielgestaltige Parcours, der bekannte Namen wie Yoko Ono, Marina Abramovic und Heimo Zobernig bereithält. Die Ausstellung läuft bis 6. November.

Likörbonbons für Niki de Saint Phalle

Die heute banal klingende Idee, das Leben zur Kunst zu erklären, galt in den 60er Jahren als revolutionär. Nicht nur die Fluxus-Bewegung machte das Alltägliche zur künstlerischen Praxis, sondern auch ihre Zeitgenossen des Nouveau Realisme. Unter dem Kapitel „Gemeinschaft zelebrieren“ darf daher auch ein typisches Daniel-Spoerri-Eat-Art-Gemälde mit angeklebten Kuchentellern und Kaffeehäferln nicht fehlen.

Mehr Witz versprüht die großformatige Collage „L’Ultima Cena“: Mit einem fröhlichen, experimental-kulinarischen Happening zelebrierte die Gruppe im Jahr 1970 sogar ihre Auflösung – wobei die Speisen auf die Künstlerpersönlichkeiten zugeschnitten waren. Dem Lettristen Francois Dufrene wurde etwa Buchstabensuppe serviert, Nouveau-Realisme-Mitbegründer Arman bekam Aale in Aspik, während Niki de Saint Phalle sich über „prall mit mehrfarbigen Likören gefüllte Bonbons“ freuen durfte.

Ulay, Marina Abramović
Breathing In / Breathing Out, 1977
Courtesy of the Marina Abramović Archives / Bildrecht, Wien 2022
Doch kein Kuss: Marina Abramovic und Ulay in „Breathing In / Breathing Out“ (1977)

Kunst aus dem Postkasten

Daneben hängt Hubert Schmalix’ Gemälde „Die Freunde – Zentrifugal“, das in fröhlichen Farben ebenfalls von einer Auflösung und damit von den Schwierigkeiten einer nachhaltigen Gemeinschaftlichkeit erzählt: Die als „Neue Wilde“ gefeierte Gruppe rund um Herbert Brandl und Gunter Damisch driftete durch den steilen Erfolg in den frühen 80er Jahren rasch auseinander.

In einem weiteren Kapitel geht es zurück in die 60er Jahre, wo auf ganz andere Weise die Vertreterinnen und Vertreter der Mail Art ihre Netzwerke in den Fokus stellten: Mit 900 Telegrammen mit der Botschaft „I am still alive“ versicherte sich der Künstler On Kawara ab 1969 seiner Existenz. Die US-Künstler Ray Johnson und Berty Skuber trieben 1963 die geteilte Autorenschaft auf die Spitze, indem sie etwa postalisch Collagen an teils Unbekannte verschickten, damit diese weiter bearbeitet wurden.

Paarbeziehung fehlt die Luft

„We are two people but one artist“, deklarierten Gilbert & George 2010 und feierten so geteilte Autorenschaft. Ein „Gemeinsam sind wir stark“-Prinzip klingt etwa auch in den großformatigen Fotografien „Flugversuch“ (1977-–1978) des deutschen Künstlerpaars Anna und Bernhard Blume an: In einer offensichtlich spießbürgerlichen Wohnung mit Tapete, Teppich, Vase und dem massiven Plüschsofa hüpfen die beiden Mid-Ager enthusiastisch auf der Couch herum.

Weniger positiv klingt die kleinste kollektive Einheit bei Abramovic und Ulay an, die sich in der Performance „Breathing In / Breathing Out“ (1977) beinahe zum Kollaps bringen: Was wie ein Kuss aussieht, ist ein über 19 Minuten geteilter Atemzug. Bis der Sauerstoffgehalt der Luft erschöpft war.

Zusammenarbeit überall

Das Ausstellungsdisplay, das alte Wände und Sockel zusammengeschraubt „kollaborieren“ lässt, stammt von dem seit 20 Jahren zusammenarbeitenden Gestalterinnenduo Anetta Mona Chisa und Lucia Tkacova. Kollaborationen wird die Ausstellung auch in Zukunft bereithalten: Das ImPulsTanz-Festival, heuer wieder im mumok zu Gast, bringt im September ein Diskurs- und Performanceprogramm der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs.

Während wenig für Orientierung gesorgt wird, entschädigen die spannenden Arbeiten – ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die feministischen Kollektive, die ab den 60ern mit ihrer künstlerischen Praxis die männliche Unterdrückung zum Thema machten, werden bis auf die Wiener Künstlerinnengruppe „Die Damen“, die in den 80ern auf witzig-kritische Persiflagen setzten, nicht thematisiert. Für einen ergänzenden Einblick Richtung weibliche Selbstermächtigung lohnt sich ein Besuch von „Die Widerständigen Musen“ nebenan in der Kunsthalle. Noch bis Anfang September.