Einkaufsstraße
ORF.at/Dominique Hammer
Prognose

Reallöhne schrumpfen, Konsum steigt

Die Wirtschaft Österreichs wird heuer etwas stärker zulegen als im März erwartet. Doch schon ab dem zweiten Halbjahr sind die Aussichten laut Juni-Prognose der Wirtschaftsforschungsinstitute WIFO und IHS wesentlich eingetrübter, auch weil die Inflation höher ausfällt als noch im März gedacht. Und die lässt die Bruttoreallöhne um historische 3,9 Prozent sinken. Und dennoch wird laut Prognosen der private Konsum steigen.

Das WIFO geht von einem Minus der Bruttoreallöhne pro Kopf von 3,9 Prozent aus. Bei der Prognose im März hatte man noch einen Rückgang um 2,3 Prozent prognostiziert. Und schon das wäre der stärkste bisher gemessene Rückgang der Pro-Kopf-Löhne, seit es dazu Statistiken gibt. Damals hieß es auch, die Reallöhne würden aufgrund von Entlastungseffekten der Steuerreform nicht ganz so stark schrumpfen. OeNB-Chefprognostiker Gerhard Fenz sprach schon Anfang Juni vom höchsten inflationsbedingten Reallohnrückgang seit den 1950er Jahren.

Reallohnsteigerung dann 2023 erwartet

Immerhin dürfte es aber 2023 wieder zu starken Reallohnsteigerungen kommen, wenn die Inflation zurückgeht und die Löhne nachziehen. Nach WIFO-Rechnung sollten die Nettolöhne im kommenden Jahr mit 5,3 Prozent real doch sehr deutlich zulegen, so WIFO-Chef Gabriel Felbermayr, weil die Lohnabschlüsse steigen, während die Inflation zurückgeht. Dazu kommt, dass Programme wie die Abschaffung der kalten Progression auch die Nettoeinkommen stützen werden. „Das ist eine gute Nachricht für die Menschen in unserem Land.“ In den letzten Jahren hätten die Bruttolöhne stagniert, während die Nettolöhne gefallen seien. Das sei unter anderem auf die kalte Progression zurückzuführen – nur in Jahren von Steuerreformen habe es Anstiege gegeben.

Spielraum für Lohnverhandlungen

Das IHS geht von 2023 netto 4,3 Prozent mehr Lohn aus. „Es wird geklotzt“ mit den Unterstützungspaketen, formuliert es Klaus Neusser, Chef des IHS. Das sollte auch Spielraum für Lohnverhandlungen eröffnen. Aber „wir stecken wirtschaftspolitisch in einer Verteilungsdiskussion“. Denn Österreich sei durch die Krise ärmer geworden – wohl um zwei bis drei Prozent. Die aktuell angestellten Vergleiche mit 2019 seien nicht der richtige Referenzpunkt, vielmehr müsste man das seither verloren gegangene Wachstum berücksichtigen.

Damit ist aber der Kuchen, den es zu verteilen gibt, in Summe kleiner – auch wenn es nominell wegen der hohen Inflation nicht so aussieht. Und IHS-Chefprognostiker Helmut Hofer sagt: Es sei kein Verteilungskampf, in dem es um die Aufteilung von Gewinnen gehe, sondern um den Umgang mit einem volkswirtschaftlichen Verlust. „Man kann es nicht lösen. Es ist eine Frage der Verhandlungsmacht.“

Konsum steigt

Trotz sinkender Reallohneinkommen wird damit gerechnet, dass der private Konsum heuer stark steigen und damit die Wirtschaft antreiben wird. Dazu trägt eine verringerte Sparquote bei: Nachdem die Österreicherinnen und Österreicher zu Beginn der Pandemie mehr auf die Seite gelegt haben, wird jetzt wieder mehr ausgegeben – auch ein Teil des Angesparten. Auch die expansive Fiskalpolitik, also Geldregen, des Staats stärkt den Konsum. Die hohe Unsicherheit dürfte hingegen zu geringeren Investitionen beitragen.

WIFO und IHS präsentieren Wachstumsprognosen

Das WIFO und das IHS haben am Donnerstag ihre Wachstumsprognosen vorgestellt: Nach einem historischen Wirtschaftseinbruch 2020 rechnen WIFO und IHS heuer mit einem ähnlich starken Wachstum wie im Vorjahr – also um die vier Prozent. Allerdings wird die Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte weiter an Fahrt verlieren.

Weniger Optimismus für 2023

Insgesamt erwarten WIFO und IHS nun für heuer 4,3 bzw. 3,8 Prozent BIP-Wachstum, im März waren noch 3,9 bzw. 3,6 Prozent vorhergesagt. Die Erhöhung der Prognose liegt aber vor allem an einer Revision der Daten für 2021, also des Vergleichswertes des Vorjahres, wie das WIFO vermerkt. Das zweite Quartal schätzen die Institute unterschiedlich ein – das WIFO geht noch von einem deutlichen Wachstum aus, das IHS von einer Stagnation.

Grafik zur WIFO/IHS-Konjunkturprognose
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: WIFO/IHS

Für den weiteren Jahresverlauf ist aber jedenfalls – wie auch weltweit – nur noch mit einem geringen Wachstum zu rechnen. Für 2023 nahmen die Institute dafür ihre Vorhersagen vor drei Monaten auf 1,6 bzw. 1,4 Prozent und damit doch sehr deutlich zurück. Im März hatten sie noch 2,0 bzw. 2,3 Prozent Wachstum erwartet.

Unterstützungspakete „befördern Preisauftrieb“

Ursachen sind die straffere Geldpolitik der Zentralbanken, die hartnäckigere Inflation, anhaltende Lieferkettenprobleme und andere Folgen des Krieges in der Ukraine. Beide Institute weisen auf die ungewöhnlich hohe Unsicherheit bei der aktuellen Prognose hin – nicht zuletzt wegen eines möglichen Gaslieferstopps Russlands, der bei beiden nicht eingerechnet ist.

WIFO-Chef Gabriel Felbermayr und IHS-Direktor Klaus Neusser
APA/Roland Schlager
WIFO-Chef Gabriel Felbermayr und IHS-Direktor Klaus Neusser

Schlechte Nachrichten gibt es bei der Teuerung: Die Verbraucherpreise (VPI) dürften nun heuer laut WIFO um 7,8 Prozent steigen statt 5,8 Prozent und laut IHS um 7,4 Prozent statt 5,5 Prozent. Auch 2023 bleibt die Inflationsrate mit 5,3 Prozent (WIFO) bzw. 4,7 Prozent (IHS) um gut zwei Prozentpunkte höher als im März erwartet. Das umfangreiche Unterstützungspaket der Regierung zur Abmilderung der Effekte der Teuerung wird „den Preisauftrieb befördern“, wie es beim WIFO heißt. Einig sind sich die beiden Institute bei der Arbeitslosigkeit: Diese dürfte heuer auf 6,3 Prozent sinken und 2023 auf diesem Niveau stagnieren.

Industrie merkt Dämpfer früher als Tourismus

Das Budgetdefizit wird weiter zurückgehen, aber nicht mehr so rasch wie vor drei Monaten erwartet. Die Neuverschuldung dürfte nun heuer laut WIFO/IHS 3,0 bzw. 3,8 Prozent betragen, nicht 2,4 bzw. 2,3 Prozent. 2023 erwarten die beiden Institute nun 1,2 bzw. 1,9 Prozent Defizit.

Das WIFO verweist darauf, dass die Industrie den weltweiten Konjunkturrückgang heuer schon deutlich zu spüren bekommt, während der Tourismus nach dem schwierigen Coronavirusjahr 2021 deutlich überdurchschnittlich zulegen wird. Die Treibhausgasemissionen (gemessen in CO2-Äquivalenten) dürften wegen der Abschwächung der Industriekonjunktur sinken, schreibt das WIFO – um 1,8 Prozent heuer und weitere 1,1 Prozent 2023.

Szenarien für Gaslieferstopp errechnet

Beide Institute haben auch Szenarien bei einem Gaslieferstopp berechnet. In der schärfsten Form könnte das zu einem starken Konjunktureinbruch führen – solche Entwicklungen seien aber sehr unwahrscheinlich, waren sich WIFO und IHS einig. Das IHS hat eine Entwicklung berechnet, bei der die Gasversorgung um 30 Prozent reduziert würde. Das könnte zu einem Wirtschaftseinbruch von drei Prozent und einem Rückgang der Beschäftigung um vier Prozent führen.

Was genau passiert, hängt aber vor allem davon ab, wie viel Gas durch andere Energieträger ersetzt werden kann, sagte IHS-Chef Klaus Neusser am Donnerstag vor Journalisten. Könnten die Unternehmen Gas überhaupt nicht ersetzen – was unrealistisch ist –, dann würde die Wirtschaft um sechs Prozent einbrechen. Auch wenn der Lieferstopp länger dauert, bis alle Speicher leer sind, wäre die Auswirkung dramatischer.

„Wahrscheinlichkeit klein“

Auch das WIFO „rechnet jeden Tag ein neues Szenario“, aber WIFO-Chef Gabriel Felbermayr verwies auf die unterschiedlichen Annahmen, die möglich seien. Schon wenn der Winter ungewöhnlich kalt ausfallen sollte, „ist alles anders“. Auch senke jeder Tag, an dem die Speicher weiter befüllt werden können, die Wahrscheinlichkeit einer dramatischen Entwicklung.

Abgesehen davon, dass Unternehmen den Energieträger Gas ersetzen könnten, könnten sie auch mit dem Import von Vorprodukten die Eigenproduktion ersetzen. Insofern seien die Unsicherheiten gewaltig, aber „jedenfalls zeigen die Modelle, dass es teuer wird“ – und wohl mit einer Rezession zu rechnen ist, so Felbermayr. Die Industrieproduktion breche bald einmal zweistellig ein – „ob um 15 Prozent oder 20 Prozent, darüber kann man streiten“ – aber die Wahrscheinlichkeit dafür sei klein – jedenfalls für 2022.

Große regionale Unterschiede

„Wenn man wirklich Horror haben will“, so Felbermayr, dann müsse man die Zahlen für einzelne Regionen rechnen. Denn für Wien heiße ein Gaslieferausfall ganz etwas anderes als für die Industrieregionen, etwa im Zentralraum Oberösterreich oder in der Mur-Mürz-Furche. Die Probleme wären konzentriert in diesen Regionen. Das wäre dann politisch ungleich schwerer handzuhaben und ein großer Unterschied zur Coronavirus-Krise.

Zuletzt hatte es erschreckende Szenarien für einen allfälligen Ausfall der Gaslieferungen in Deutschland gegeben. Auch dort liege die Wahrscheinlichkeit, dass es im Fall des Falles so schlimm kommt, nur bei 20 Prozent, erinnerte Felbermayr. Aber Deutschland habe den Nachteil, weniger Speicherkapazität zu haben – da sei die Ausgangslage in Österreich besser. Außerdem werde weniger Gas für die Stromerzeugung gebraucht, und der Industrieanteil Österreichs sei kleiner.