Die ehemalige Mitarbeiterin des Weißen Hauses, Cassidy Hutchinson
AP/Tom Williams
Kapitol-Sturm

Neue Aussagen als Wendepunkt für Trump

Mit ihrer eindrücklichen Aussage hat die ehemalige Mitarbeiterin des Weißen Hauses, Cassidy Hutchinson, ein neues Licht auf die Kapitol-Attacke geworfen und die Frage nach rechtlichen Konsequenzen für Ex-Präsident Donald Trump aufgeworfen. Laut ihrer Aussage im Untersuchungsausschuss soll Trump mögliche Gewalt am 6. Jänner 2021 in Kauf genommen haben. Die Aussage könnte einen Wendepunkt markieren, meinen Beobachter. Trump selbst wies die Vorwürfe zurück und warf Hutchinson „psychische Probleme“ vor.

Der prominente Jurist Norman Eisen schrieb in einem Gastkommentar für die „New York Times“, dass die Aussage der Ex-Stabsmitarbeiterin „alles ändere“. Er sieht mehrere Klagspunkte gegen Trump deutlich gestärkt und bringt sogar eine Klage auf Amtsverbot nach dem 14. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten ins Spiel: Dort heißt es, Amtsträger könnten abberufen werden, wenn sie an „einem Aufstand oder Aufruhr“ gegen die USA „teilgenommen oder ihre Feinde unterstützt oder begünstigt haben“.

Hutchinsons und andere Aussagen hätten gezeigt, dass Trump die Hauptperson in „jeder Phase“ des Versuchs, die Wahl zu kippen, gewesen sei, sagte der Jurist und ehemalige stellvertretende Justizminister Donald Ayer dem Sender CNN. Es ginge nun vor allem um die Frage des Vorsatzes – und Trump habe gewusst, was er tat.

Entscheidung liegt beim Justizministerium

„Es besteht immer noch eine große Unsicherheit in Bezug auf die Frage der kriminellen Absicht eines Präsidenten“, sagte der Rechtsexperte und ehemalige Beamter im Justizministerium, Alan Rozenshtein, der „New York Times“. Doch Hutchinsons Aussage habe seine Einschätzung geändert. Er halte es nun für deutlich wahrscheinlicher, dass Trump angeklagt werde.

Nach Auffassung von Nicholas Creel, Jusprofessor an der Georgia College and State University, führt kein Weg an einer Strafverfolgung des Ex-Präsidenten vorbei. Käme er straflos davon, würde das den zentralen Grundsatz der US-Justiz, dass „kein Mensch über dem Gesetz steht“, ad absurdum führen, argumentierte Creel.

Die Entscheidung liegt jedenfalls beim Justizministerium, das sich bisher eher zurückhaltend gezeigt hatte. Neama Rahmani, ehemaliger Bundesstaatsanwalt im kalifornischen San Diego, bezweifelt, dass Justizminister Merrick Garland „den Mut“ für einen solchen Kampf habe.

„Lasst meine Leute rein“

Trump reagierte auf Hutchinsons Aussage mit einer Reihe von Posts in seinem sozialen Netzwerk Truth Social. Er nannte Hutchinson eine „Schwindlerin“. Diese sagte aus, Trump habe vor seiner aufwiegelnden Rede am 6. Jänner gewusst, dass die Demonstranten bewaffnet gewesen seien. „Nehmt diese verdammten Metalldetektoren weg. Sie sind nicht hier, um mich zu verletzen. Lasst sie rein. Lasst meine Leute rein, sie können nach der Kundgebung zum Kapitol marschieren“, zitierte sie den Ex-Präsidenten. Dieser habe außerdem selbst zum Kapitol fahren wollen – was der Secret Service schließlich aus Sicherheitsgründen verhindert haben soll.

Zeugin: Trump wollte zum Kapitol kommen

Der damalige US-Präsident Donald Trump wollte am 6. Jänner vergangenen Jahres einer Ex-Mitarbeiterin zufolge trotz großer Sicherheitsbedenken selbst zum Kapitol fahren, wo der Kongress die Wahl seines Nachfolgers Joe Biden beglaubigen sollte. Auch die Sorge vor möglichen rechtlichen Konsequenzen habe Trump nicht davon abbringen lassen, schilderte Cassidy Hutchinson, die damalige Assistentin von Trumps Stabschef Mark Meadows, bei einer öffentlichen Anhörung des Untersuchungsausschusses zur Kapitol-Attacke.

Trumps Anwälte werden nun wohl versuchen, die Glaubwürdigkeit der 26-jährigen Zeugin zu unterminieren. Das könnte einerseits schwierig werden, weil die Frau, die als Praktikantin ins Weiße Haus gekommen war, eigentlich eine bekennende Republikanerin ist. Dass Trump selbst zum Kapitol fahren wollte, wurde mittlerweile durch weitere Aussagen bestätigt. Dass Trump dem Fahrer ins Lenkrad gegriffen habe, wird aber – bisher nur inoffiziell – dementiert. Auch bei einer weiteren Aussage der Frau treten Widersprüchlichkeiten auf.

„Entweder Trump oder Verfassung“

Doch abgesehen von der Frage einer Anklage könnten die neuen Vorwürfe auch politisch Trump gefährden. Innerhalb der republikanischen Partei scheinen die Gräben jedenfalls tiefer zu werden. Als Gesicht der Anti-Trump-Fraktion innerhalb der Partei fungiert zunehmend Liz Cheney, Tochter von Ex-Vizepräsident Dick Cheney. Die Abgeordnete sagte am Mittwoch, die Republikaner seien mit der Realität konfrontiert, sich entscheiden zu müssen: „Denn die Republikaner können nicht gleichzeitig Donald Trump und der Verfassung gegenüber loyal sein.“ In ihrer Rolle in der Partei könne sie „die Bedrohung durch Donald Trump“ nicht ignorieren, „ebenso wenig wie andere Republikaner“.

Die stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses, Liz Cheney, und die ehemalige Mitarbeiterin des Weißen Hauses Cassidy Hutchinson
Reuters/Evelyn Hockstein
Liz Cheney mit Cassidy Hutchinson

Cheney ist auch stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses zu den Vorgängen am 6. Jänner. Viele der Informationen über das Gewaltpotenzial seien bereits vor dem Ausbruch der Gewalt bekannt gewesen, sagte sie. „Und zwar früh genug, damit Präsident Trump Schritte zur Verhinderung der Gewalt unternehmen konnte“, so die Republikanerin, die Hutchinson befragte, weiter.

Trump: „Verrückte“ in „Fantasiewelt“

Trump reagierte schroff auf die Vorwürfe und griff Hutchinson mit scharfen Worten an. Die Frau sei eine „Verrückte“ und lebe in einer „Fantasiewelt“, sagte Trump in einem am Donnerstag (Ortszeit) bei dem rechtspopulistischen TV-Sender Newsmax ausgestrahlten Interview. „Sie hat ernsthafte Probleme, ich will es mal so ausdrücken, psychische Probleme.“

Trump und die Republikaner werfen Hutchinson vor, ihre Informationen nur aus zweiter Hand zu haben. Trump betonte immer wieder, dass er Hutchinson kaum kenne. Trump hat sich vor allem auf einen Teil der Aussage eingeschossen, den Hutchinson tatsächlich nur unter Berufung auf ein Gespräch mit einem Kollegen und dem zuständigen Secret-Service-Beamten schilderte, nämlich eben jene Lenkradszene. Mehrere Medien berichteten unter Hinweis auf nicht namentlich genannte Quellen, dass die beiden zuständigen Secret-Service-Beamten den Vorwurf ebenfalls zurückweisen würden. Öffentlich hat sich allerdings bisher keiner der beiden dazu geäußert.

Gespaltenheit zeigt sich bei Vorwahlen

Nun wird erwartet, dass sich mit den Aussagen von Hutchinson und möglichen weiteren Vorwürfen in dem Ausschuss die Dynamik in der Partei noch einmal deutlich steigern wird. Spekuliert wird, dass dann doch mehr Republikaner von dem ehemaligen Präsidenten abrücken. Die neuen Vorwürfe vor dem Ausschuss, aber auch die Entscheidung des Supreme Courts zum Abtreibungsverbot seien zwei Ereignisse binnen weniger Tage, die enorme Auswirkungen hätten, heißt es in einem Kommentar auf dem Nachrichtenportal Politico. Und beide Ereignisse würden Trump – und damit auch die Republikaner – stärker unter Druck setzen.

Die Gespaltenheit der Republikaner macht sich auch bei den derzeit laufenden Vorwahlen für die Midterm-Elections im Herbst deutlich bemerkbar. Trump bringt sich stärker als jeder andere ehemalige Präsident zuvor in die Zwischenwahl ein. Die Bilanz fällt bisher gemischt aus. Bei einer viel beachteten Vorwahl der Republikaner für das Gouverneursamt in Georgia fiel sein Schützling David Perdue zwar durch, insgesamt aber konnten die von Trump unterstützten Kandidaten im Mai sich zu zwei Dritteln durchsetzen.

Das Politportal Politica hat analysiert, dass jene republikanischen Kandidaten, die sich für die Untersuchungen gegen Trump ausgesprochenen hatten, teils empfindliche Verluste hinnehmen mussten.

Hälfte der Bevölkerung laut Umfrage für Anklage

Einige Experten stellen allerdings infrage, ob es sinnvoll ist, Sieg oder Niederlage von Trumps bevorzugten Kandidaten als Maßstab für seinen Einfluss zu nehmen. Strategen der Republikaner weisen darauf hin, dass sich seine als „Trumpism“ zusammengefasste politische Ideologie in gewisser Weise verselbstständigt hat. Auch ohne seine Unterstützung gibt es genug Kandidaten, die mit seinen Inhalten in den Wahlkampf ziehen.

In einer neuen Umfrage des The Associated Press-NORC Center for Public Affairs Research sagen fast 50 Prozent der Befragten, Trump sollte wegen seiner Rolle beim Sturm auf das Kapital angeklagt werden. Fast 60 Prozent sehen es als erwiesen an, dass er zumindest teilweise die Verantwortung für die Vorfälle trägt. Laut dieser Umfrage sprechen sich allerdings nur zehn Prozent der Republikaner für eine juristische Verfolgung aus. In einer Ipsos-Umfrage von Anfang Juni hatte rund ein Viertel der bekennenden Republikaner eine Schuld Trumps gesehen – Tendenz sogar steigend.