der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft beim 4Gamechangers Festival
ORF/Klaus Titzer
Selenskyj

Emotionaler Appell an Österreich

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich am Donnerstag erstmals live und mit einem emotionalen Appell an Österreich gerichtet. Einmal mehr forderte er verstärkte Hilfen für die Ukraine und schärfere Sanktionen gegen Russland. Denn der Krieg sei auch ein „Gamechanger“ für Europa, so Selenskyj bei einer Schaltung am 4Gamechangers-Festival in Wien. Zuvor hatte der Auftritt von Hollywood-Star George Clooney für Aufsehen gesorgt.

In seiner Rede verwies Selenskyj gleich zu Beginn auf die stockenden Getreidelieferungen. Russland habe das Schwarze Meer gesperrt und so Millionen von Menschen in Afrika und Asien als Geiseln genommen. Doch: „Auch Sie in Europa sind Geiseln“, denn wenn der drohenden Hungersnot nichts entgegengesetzt werde, komme es zu einer Migrationsbewegung, die auch Österreich erreichen werde.

Die Hungersnot sei aber nicht die einzige Bedrohung, die von Russland ausgehe. Europa und die restliche Welt müssten sich auch gegen Cyberattacken und Propaganda wehren und aus der Abhängigkeit von russischen Energiequellen befreien: „Das ukrainische Gamechanging besteht darin, dass wir Ihnen die Chance geben, das zu tun, was schon längst hätte gemacht werden sollen.“

der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft beim 4Gamechangers Festival
ORF.at/Tamara Sill
Erstmals seit Kriegsbeginn wandte sich Selenskyj in einer Liveschaltung an Österreich

Dank an Österreich

Die Forderungen seines Landes nach westlichen Waffenlieferungen verteidigte das ukrainische Staatsoberhaupt auf Nachfrage: „Russland möchte keinen Dialog führen und versteht nur die Sprache der Waffen. Wir nutzen diese Waffen nur auf dem Territorium, das Russland besetzen will“, erklärte er. Und weiter: „Ich habe Putin (Wladmir, russ. Präsident, Anm.) vorgeschlagen, dass wir das Ganze am Verhandlungstisch lösen wie zivilisierte Menschen, aber statt mit uns zu sprechen, hat er Raketen geschickt. Bis heute.“

Hinweis

Panels des 4Gamechangers-Festivals können in der tvthek nachgeschaut werden.

Russland müsse für die Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. „Ich bitte Sie, Ihr Engagement beim siebenten Sanktionspaket der EU zu verdoppeln“, sagte Selenskyj und bedankte sich zugleich für die Unterstützung aus Österreich. „Ich möchte mich auch bei denen bedanken, die verstehen, wer an diesem Krieg schuld ist“, sagte Selenskyj.

Er wandte sich dabei auch an den in der Wiener Marx Halle anwesenden Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen und an Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Doch trotz aller Widrigkeiten habe der Krieg in der Ukraine dazu geführt, die Einigkeit der EU zu stärken: „Dieser Krieg hat uns vereinigt. Nach dem Sieg des Guten über das Böse ist es wichtig, dass Europa einig bleibt.“ Und: Dann soll die Ukraine auch gleichberechtigter Staat in der europäischen Familie sein, so Selenskyj.

„Russland möchte keinen Dialog führen“

Rückhalt von Van der Bellen und Nehammer

Rückhalt erhielt Selenskyj sowohl vom Bundeskanzler als auch vom Bundespräsidenten. „Wir in Österreich wissen, dass es nicht nur die Freiheit der Ukraine ist, die hier verteidigt wird. Es ist unsere Freiheit genauso“, sagte Van der Bellen. Dem Land nicht beizustehen, wäre „unterlassene Hilfeleistung“.

Wenn schon nicht militärisch, dann etwa medizinisch, so Van der Bellen. Zudem sei für ein neutrales Land wie Österreich nach wie vor die Diplomatie wichtig. Generell sei das, was Putin hier mache, „kein normaler Krieg“, sondern erinnere an die Kolonialkriege aus dem 19. Jahrhundert.

Für Nehammer zeige Selenskyjs Aufritt, „dass er ein Präsident ist, der mit Leidenschaft für sein Heimatland kämpft“. Das sei wichtig, nicht zuletzt gehe es hier um Menschenleben. Nehammer lobte die Solidarität der österreichischen Bevölkerung mit den ukrainischen Geflüchteten. Aufpassen müsse man aber bei den Sanktionen – diese dürften nicht in die falsche Richtung wirken. Abschließend zeigte sich Nehammer aber auch optimistisch. Der Umgang mit vergangenen Krisen habe gezeigt, dass diese auch zu bewältigen seien. „Wir halten zusammen und gehen stärker heraus, als wir hineingegangen sind“, so Nehammer.

Bundeskanzler Karl Nehammer beim 4Gamechangers Festival
ORF.at/Tamara Sill
„Ein Präsident, der mit Leidenschaft für sein Heimatland kämpft“, ist Selenskyj für Nehammer

Clooney: Müssen Weg finden, um zu überleben

Zuvor betrat unter Jubel und tosendem Applaus am frühen Abend Hollywood-Star Clooney die Bühne für seinen, angesichts der hohen Innenraumtemperaturen sehr treffenden, „Fireside Chat“ über Menschenrechte. „Schwierige Zeiten“ seien es, in denen sich die Menschheit derzeit befinde, sagte der 61-Jährige im Hinblick auf die russische Invasion in der Ukraine.

George Clooney
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Clooney im Backstagebereich, umringt von der Presse

Hierbei gelte es, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. „Doch wenn das Haus brennt, muss zuerst das Feuer gelöscht werden“ – erst danach könne die Justiz einschreiten. Zudem müssten auch jene Unternehmen und Banken, die mit den „bad guys“ Geschäfte machen, sanktioniert werden, appellierte Clooney. An diesem Punkt würde auch die Clooney-Stiftung ansetzen, die er 2016 gemeinsam mit seiner Ehefrau und international bekannte Menschenrechtsanwältin Amal ins Leben rief und die sich um Opfer von Menschenrechtsverletzungen kümmert.

„Wir versuchen, Beweismittel zu sammeln, die später vor Gericht verwendet werden können“, so Clooney. Seine Ehefrau und die Stiftung habe ein Team zusammengestellt, das forensische Beweise für mutmaßliche Kriegsverbrechen in der Ukraine sammelt, berichtete der Hollywood-Star. „Zuerst muss es um den Frieden gehen, dann muss die Gerechtigkeit die Hauptrolle spielen.“

George Clooney beim 4Gamechangers Festival
ORF.at/Tamara Sill
Hollywood-Star Clooney sprach über die „Zukunft der Menschenrechte“

Scharfe Kritik an Trump

Mit Kritik sparte Clooney auch nicht, was die USA betrifft – die vier Jahre Donald Trump seien desaströs gewesen. Angesprochen auf die Stürmung des Kapitols am 6. Jänner des vergangenen Jahres sagte Clooney, die US-Präsidentschaftswahl war „verdammt noch einmal nicht gestohlen“. Dennoch sei nicht auszuschließen, dass Trump erneut gewählt werde. Und das sei „gefährlich“.

Abschließend meinte er: Um die großen gesellschaftlichen Probleme zu lösen, nicht zuletzt die Klimakrise, bedarf es Kooperation – weltweit. „Wir sind alle miteinander verbunden. Wir müssen einen Weg finden, um zu überleben“, sagte Clooney, der hier auch die großen Konzerne in die Pflicht nahm. Danach folgte eine minutenlange Werbeeinschaltung für Nespresso.

4Gamechangers Festival Halle Übersicht
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Clooney sorgte für eine volle Halle

Erstmals Kooperation zwischen ORF und Puls4

Den krönenden musikalischen Abschluss bildeten am Abend der Auftritt des ehemaligen Songcontest-Gewinners Conchita Wurst und Beats des deutschen Reggae- und Soulmusikers Jan Delay. Wanda fiel krankheitsbedingt aus.

Zum ersten Mal wurde das Festival in Kooperation von Österreichs größter privater Sendergruppe ProSiebenSat.1Puls4 und dem ORF veranstaltet. Die Themenpalette der drei Tage war breit gefächert – vom Ukraine-Krieg über Digitalisierung und Innovation, Bildung und Gesundheit bis hin zu Klima und Energie.

Am dritten Tag des Festivals wurden die großen Fragen der Gegenwartsgesellschaft verhandelt: Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus? Welche Rolle spielt der Kapitalismus im Kampf gegen die Klimakrise? Wie lassen sich Menschenrechte in Zeiten wie diesen sichern? Was bedeutet Zusammenarbeit? In Europa genauso wie im Weltall? Das Interesse an Antworten war groß, die Reihen waren schon am Vormittag bis auf den letzten Platz gefüllt.

Digital- und Medienfestival „4Gamechangers“
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In der Marx Halle fand am Donnerstag der dritte Tag des 4Gamechangers-Festivals statt – am Eingang wurden die Besucherinnen und Besucher von der FM4-Ente begrüßt

Auftakt mit Friedensnobelpreisträgerin

Den Auftakt machte am Donnerstag die Friedensnobelpreisträgerin Jody Williams. Sie rückte inmitten des russischen Angriffskrieges das Schicksal ukrainischer Frauen in den Mittelpunkt und sprach von ihrem Ukraine-Besuch vor einigen Tagen. Sie lobte den Mut ukrainischer Frauen, die trotz der widrigen Bedingungen nicht aufgeben würden. Die Nobelpreisträgerin berichtete auch von ukrainischen geflüchteten Frauen in Polen. Sie hätten ihr dort gesagt: „Bitte vergesst uns nicht.“

Danach widmete sich ein kleiner Schwerpunkt dem Umgang mit Daten. Brittany Kaiser, Mitbegründerin der OwnYourData-Foundation und Cambridge-Analytica-Whistleblowerin, meinte in ihrer Keynote, dass Daten mittlerweile das wertvollste Gut weltweit geworden seien. In einer perfekten Welt könnten Daten viele der größten Probleme unserer Zeit wie Krieg und Hungerkrisen lösen, zeigte sie sich überzeugt.

Dazu müsste man es aber schaffen, mit Daten sicher umzugehen. Derzeit sei das Datenrecht noch einer der am schwächsten entwickelten Gesetzesbereiche, gab die Whistleblowerin zu bedenken.

Digital- und Medienfestival „4Gamechangers“
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Precht sieht eine Gesellschaft, die nicht nach Lohn und Leistung strebt, sondern nach Sinn sucht

Arbeitsmarkt: „Größte Transformation seit 250 Jahren“

Das „Ende der Arbeit, wie wir sie kannten“ rief zu Mittag der deutsche Philosoph und Autor Richard David Precht aus. Es handle sich dabei um eine Transformation von der bürgerlichen Lohn- und Leistungsgesellschaft hin zu einer Sinngesellschaft – die größte Transformation seit 250 Jahren, so Precht.

Im Gegensatz zu anderen gesamtgesellschaftlichen Krisen und Veränderungen sei hierbei jedoch „Optimismus angesagt“. Denn: „Was wir erleben, ist eine technologische Revolution, der Beginn des zweiten Maschinenzeitalters, wo nicht mehr die menschliche Hand, sondern das menschliche Gehirn ersetzt wird.“ Und das vor allem bei langweiligen geistigen Routinearbeiten.

Selbst Menschen mit niedrigen Einkommen würden sich daher mittlerweile die Frage stellen, was denn ein gutes und richtiges Leben sei und welche Art von Arbeit dem Leben Sinn verleihe. Auf dem Arbeitsmarkt seien nun die Unternehmen gefordert, gute Arbeitsbedingungen zu bieten.

Digital- und Medienfestival „4Gamechangers“
ORF.at/Tamara Sill
Der Ukraine-Krieg ist auch beim 4Gamechangers-Festival allgegenwärtig – hier mit einem Spendenaufruf

Klimaaktivistin mit Kritik an falschen Versprechen

Nach der Mittagspause standen vor allem die Themen Klima, Energie und Nachhaltigkeit auf der Agenda. Die Aktivistin und Autorin Katharina Rogenhofer vom Klimavolksbegehren forderte in der Diskussion mit CEOs von Mobilitäts- und Energieunternehmen ein „echtes Bekenntnis zur Nachhaltigkeit“ – gerade in Zeiten der Energieknappheit.

In der Politik nehme sie derzeit allerdings „viele Versprechen mit Ausnahmen“ wahr. Ein Beispiel sei das EU-Urteil zum Verbrenner-Aus, das nach wie vor E-Fuels vorsieht. Klar sei: Bei der Energiewende müsse man, vor allem was den Ausbau der Erneuerbaren wie Solar und Wind betrifft, aufs Tempo drücken. Das Potenzial in Österreich sei noch lange nicht ausgeschöpft, so der Tenor der Sprecherinnen und Sprecher.

Digital- und Medienfestival „4Gamechangers“
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Gewessler sieht beim Klimaschutz die Wirtschaft gefordert

Gewessler will Tempo

Mehr Tempo, das forderte auch Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne). Es gehe darum, Klimaschutz jetzt in die Umsetzung zu bringen: „Wir haben keine Zeit mehr. Es geht ums Jetzt, jetzt sind die entscheidenden Jahre.“ Um die Klimakrise zu lösen, müssten alle „ihren Beitrag leisten“ – auch die Wirtschaft, so Gewessler.

„Fridays For Future“-Aktivistin Anika Dafert sieht ebenso Unternehmen gefordert – diese könnten Druck auf die Politik ausüben und „sagen, wir wollen investieren in eine gute Zukunft“. Es dürfe nicht mehr um Gewinnmaximierung gehen.

Der Aktivist und Filmschaffende Werner Boote verwies in der Klimaschutzdebatte auf Noam Chomsky und forderte eine gänzliche Systemänderung. Nicht ohne Seitenhieb auf den Hauptsponsor der Veranstaltung stellte er die Frage, ob Kaffee wirklich schon so vorportioniert abgepackt sein müsse. Wenn man sich das mit „Hausverstand“ überlege, könne das doch keinen Sinn ergeben.