Skizze des Lueger-Denkmals in Wien
ORF.at/Gerald Heidegger
Historiker Rathkolb

„Lueger-Denkmal nicht einfach entsorgen"

In der Debatte über die Entfernung des Karl-Lueger-Denkmals am gleichnamigen Platz in Wien hat sich nun auch der Vorstand der Wiener Zeitgeschichte, Oliver Rathkolb, positioniert. Anders als prominente Holocaust-Überlebende will Rathkolb das Denkmal nicht entfernt sehen. „Das Lueger-Denkmal zu entsorgen ist das falsche Signal“, widerspricht Rathkolb auch einigen Kolleginnen und Kollegen seines Faches.

Seit vergangenem Wochenende hat die Debatte über die Zukunft des umstrittenen Lueger-Denkmals am Wiener Stubenring neu Fahrt aufgenommen, da der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) Post von prominenten Unterzeichnern wie Eric Kandel, Riane Eisler und Georg Stefan Troller bekommen hat.

Taten nach endlosen Diskussionen wollen die Unterzeichner sehen, die es, wie sie schreiben, „schmerzt, dass einer der prononciertesten Antisemiten des 19. und 20. Jahrhunderts immer noch im Herzen Wiens geehrt“ werde. Wiens Kulturstadträtin Veronika Kaup-Hasler hatte ja für Herbst eine Ausschreibung für die Kontextualisierung des Denkmals versprochen und einen Siegerentwurf im kommenden Frühjahr. Bis dahin ist von der Stadt auch eine „temporäre künstlerische Installation“ versprochen.

Wie das Projekt der Kontextualisierung inhaltlich aussehen soll, das, so will es die Stadt, wird eine wissenschaftliche Kommission festlegen, in der unter anderen der Zeithistoriker Rathkolb mit seiner Kollegin Heidemarie Uhl von der Akademie der Wissenschaften vertreten sein wird.

Aktuelles Bild zum Lueger-Denkmal
Roland Schlager / APA / picturedesk.com
Das Lueger-Denkmal 2022 in Wien und die Suche nach dem Kontext

Rathkolb befürchtet falsches Signal

Rathkolb war in der Debatte bisher zurückhaltend, nimmt nun jedoch gegenüber ORF.at in der Frage nach der Zukunft des Denkmals Stellung und spricht sich, klar im Gegensatz zu manchen seiner Kolleginnen und Kollegen, für einen Erhalt des Denkmals aus. „Luegers Denkmal einfach zu entsorgen wäre das falsche Signal in Richtung scheinbarer politischer Korrektheit in der Gegenwart, ganz im Gegenteil, das wäre der Beginn der Cancel Culture, denn dann ist der nächste Schritt, antisemitische Zitate Luegers in wissenschaftlichen Publikationen zu verbieten und eine heile Welt zu suggerieren, die leider so heil nicht ist – ganz im Gegenteil“, so Rathkolb.

Vielmehr spricht er sich dafür aus, dass Lueger „Teil der selbstkritischen demokratischen Erinnerungspolitik bleiben“ müsse: „Ihn einfach zu entsorgen ist das falsche Signal, er muss daher Teil unserer Geschichte bleiben – und vor allem müssen wir unsere ganze Kraft zur Verhinderung von Antisemitismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Gegenwart und Zukunft einsetzen.“

Bild von der Eröffnung des Lueger-Denkmals 1926
Sammlung Hubmann / brandstaetter images / picturedesk.com
Die Eröffnung des Lueger-Denkmals im Jahr 1926. Der Krieg hatte eine umstrittene Umsetzung auf dem Rathausplatz verzögert.

Holocaust-Überlebende für Entfernung des Denkmals

Die Holocaust-Überlebenden hatten in ihrem Brief an den Bürgermeister jedenfalls die Entfernung des Denkmals gefordert, ebenso wie eine Umbenennung des Lueger-Platzes. Erinnert wird daran, dass ja auch der Dr. Karl-Lueger-Ring vor der Universität in „Universitätsring“ umbenannt wurde. Auch die Internationale Liga gegen Rassismus und Antisemitismus in Österreich (Licra) hatte am vergangenen Montag entsprechende Schritte der Stadt gefordert. Kopräsident Benjamin Kaufmann empfahl in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Zeithistoriker Dirk Rupnow eine Neuaufstellung im musealen Kontext, angesichts einer 13 Meter hohen Skulptur (die sich zuletzt in der „Süddeutschen Zeitung“ gleich auf 20 Meter Höhe ausgewachsen hatte) kein geringes Unterfangen.

Bedenken gegen ein Denkmal für den 1910 verstorbenen Kommunalpolitiker und politischen Populisten Lueger hatte einst schon Otto Wagner geäußert. Er warnte vor einer Aufstellung eines Lueger-Denkmals auf dem Rathausplatz, weil eine Skulptur dort, um wirken zu können, die gigantomanische Höhe von 20 Metern hätte haben müssen.

Schon zu Lebzeiten hatte Lueger selbst, wie Elisabeth Heimann umfassend in ihrer Studie „Die (Selbst-)Inszenierung Karl Luegers und die Rezeption nach 1910“ nachweisen konnte, an seinem Mythos gearbeitet. „Gleichzeitig war er eine Projektionsfläche für die Medien, die diese Inszenierungen noch überhöhten und breit kommunizierten“, erinnert Rathkolb. Schon 1905 erschien beispielsweise eine Karikatur zu Lueger mit dem Titel „Der Koloss von Wien“. 1940 erschien der antisemitische wie antiklerikale Roman „Der Herrgott von Wien“, der immerhin in zwei Auflagen auf den Markt kam.

Lueger als Vorbild für Hitler

Luegers antisemitische wie populistische Demagogie hatte Vorbildcharakter. Adolf Hitler verwies in seiner Streitschrift „Mein Kampf“ auf seine verspätete Verehrung Luegers: „Jedenfalls lernte ich den Mann und die Bewegung kennen, die damals Wiens Schicksal bestimmten: Dr. Karl Lueger und die christlich-soziale Partei. Als ich nach Wien kam, stand ich beiden feindselig gegenüber. (…) Heute sehe ich in dem Manne mehr noch als früher den gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten.“


Protest vor dem Lueger-Denkmal gegen den Freispruch von Robert Jan Verbelen, 1965
Kofler, Herbert / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com
Das Lueger-Denkmal als symbolischer Ort. 1965 demonstrierte die Sozialistische Jugend gegen den Freispruch des belgisch-österreichischen SS-Kommandanten Robert Jan Verbelen, der in Österreich lebte und als Schriftsteller zahlreiche Texte im rechtsextremen Milieu verfasste.

Rathkolb möchte überdies die Aufarbeitung der Politik Luegers vorantreiben, wie er schreibt. Trotz John W. Boyers großer Studie über Luegers Politik „fehlt bis heute eine Gesamterfassung seiner Reden im Reichsrat, im Niederösterreichischen Landtag und im Wiener Gemeinderat“. Diese Leerstelle will ein Forschungsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Wien mit Unterstützung des künftigen Rektors der Universität Wien, Sebastian Schütze, schließen. Dessen erste Resultate sollen bereits für den künstlerischen Wettbewerb der Stadt Wien zur Verfügung stehen.

Debatten in Klagenfurt

Wie heikel die Debatte über Beibehaltung und Entfernung von Denkmälern oder Straßennamen ist, wurde zuletzt rund um den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt deutlich. Die Autorin Anna Baar hatte das dauernde Leisetreten und Nicht-Benennen in der Kärntner Geschichte kritisiert. Die umgehende Replik des Klagenfurter Bürgermeisters Christian Scheider (Team Kärnten) auf die Rede Baars im Rahmen eines Empfangs ließ das internationale Publikum aufhorchen. Die Namen der Täter dürften nicht aus der Bezeichnung von Straßennamen verschwinden, weil sie sonst aus dem kritischen Gedächtnis fielen, so Scheider sinngemäß. Der Lindwurm, er steht immerhin nicht mehr auf dem Adolf-Hitler-Platz.