Intendantin Ekatarina Degot
APA/Erwin Scheriau
Documenta 15

Weiter Debatte über Antisemitismus

Obwohl bereits im Vorfeld der documenta 15 über Antisemitismusvorwürfe diskutiert worden war, tauchte bei der Kunstausstellung in Kassel an zentraler Stelle ein Bild mit einem klar antisemitischen Motiv auf. Ekaterina Degot, Intendantin des steirischen herbsts und selbst jüdischer Herkunft, zeigt sich „alarmiert“.

In einem schriftlichen Statement gegenüber ORF.at lässt Degot wissen: „Ich unterstütze die documenta 15 als Versuch, die Rolle der Kunst in der Gesellschaft neu zu definieren. Aber ich bin sowohl über das Banner von Taring Padi als auch über die Diskussion darüber alarmiert. Das Banner wird als ‚anstößig‘ interpretiert, als ob es nur um individuelle Gefühle ginge. Stattdessen sollten wir über eine entmenschlichende Bildersprache reden, die seit Jahrhunderten ein Instrument der Kolonisatoren ist, aber von den Kolonisierten oft übernommen wird. Kunst ist nie unschuldig, und die Begeisterung des Miteinanders kann uns das auf naive Weise vergessen lassen.“

Auf dem zentralen Platz der documenta war kurz nach der Eröffnung ein riesiges Banner angebracht worden, auf dem unter anderem eine stilisierte jüdische Figur mit Schläfenlocken und Vampirzähnen zu sehen war – ein klar antisemitisches Motiv, wie es so oder so ähnlich seit dem Mittelalter und auch im Nationalsozialismus verwendet worden war. Die Empörung in deutschen und internationalen Medien und auch vonseiten der Politik war entsprechend groß, unter anderem wurde der Rücktritt von documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann gefordert.

Umstrittener Banner des Künstlers Taring Padi auf der documenta fifteen in Kassel
EBU/ARD
Der Banner mit antisemitischen Motiven wurde von der documenta 15 entfernt

Ruangrupa: „Wir haben alle versagt“

Schormann hält jedoch an ihrem Amt fest. Sie wolle „das Schiff wieder auf Kurs bringen“, sagte sie. Bei schwerer See gehe ein Kapitän nicht von Bord. Das verantwortliche indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa entschuldigte sich öffentlich: „Wir haben alle darin versagt, in dem Werk die antisemitischen Figuren zu entdecken“, heißt es auf der Website der documenta fifteen. „Es ist unser Fehler. Wir entschuldigen uns für die Enttäuschung, die Schande, Frustration, Verrat und Schock, die wir bei den Betrachtern verursacht haben.“

Ruangrupa sei fest entschlossen, „das Positive dieser Ausstellung gemeinsam mit uns zu retten und fortzusetzen“, hatte Schormann zuvor erklärt. Die Prüfung der Vorfälle werde zeigen, ob und welche weiteren Konsequenzen notwendig seien. Zu Forderungen, die Kunstwerke hätten zuvor überprüft werden müssen, sagte sie, das sei nicht Aufgabe der Geschäftsführung. „Das ist Kernaufgabe der künstlerischen Leitung.“ Sie kündigte aber an, dass es eine „genaue und bedachte“ Prüfung der übrigen Werke auf kritische Inhalte auch mithilfe externer Expertinnen und Experten geben werde.

Forderung nach Veränderung der Strukturen

Die deutsche Kulturstaatsministerin Claudia Roth hatte zuvor Konsequenzen für die Struktur der Kunstausstellung gefordert. Im Kern will der deutsche Bund mehr Einfluss auf die documenta. Der Rückzug des Bundes aus dem Aufsichtsrat 2018 bei gleichzeitigem Festhalten an der Bundesförderung wird in Roths Plan als „schwerer Fehler“ bezeichnet. Das soll sich wieder ändern.

Beim documenta-Forum, einem Unterstützergremium der Ausstellung, krachte es unterdessen gewaltig. Der Vorsitzende Jörg Sperling musste zurücktreten, nachdem er in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur (dpa) die Entfernung des Taring-Padi-Bildes kritisiert hatte. Die anderen Vorstandsmitglieder distanzierten sich von Sperlings Äußerungen. Nun muss ein neuer Vorsitzender gefunden werden.

Debatte nicht erst seit Eröffnung

Schon vor der Eröffnung war über Antisemitismus bei der documenta 15 diskutiert worden. Ruangrupa hatte das palästinensische Kollektiv „The Question of Funding“ aus Ramallah eingeladen. Die Gruppe kooperiert mit dem Chalil-al-Sakakini-Kulturzentrum. Deren Gründer Sakakini wiederum war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts arabischer Nationalist, Sympathisant des Nationalsozialismus und trat für Gewalt gegen die israelische Staatsgründung ein.

Zudem stünden auch andere Teilnehmende an dieser documenta der Initiative BDS nahe, die für einen Boykott Israels eintrete. Ein Kasseler Bündnis gegen Antisemitismus ging deshalb auf die Barrikaden.