Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko
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Belarus

Lukaschenko wirft Kiew Angriffe vor

Inmitten von Spekulationen über ein mögliches belarussisches Eingreifen in den Ukraine-Krieg hat der dortige Diktator Alexander Lukaschenko der Ukraine Raketenangriffe auf sein Land vorgeworfen. Vor drei Tagen hätte die ukrainische Armee versucht, militärische Einrichtungen in Belarus anzugreifen, doch seien die Raketen allesamt abgefangen worden, so Lukaschenko am Samstag. Beweise legte er nicht vor.

„Wir werden provoziert“, sagte Lukaschenko nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Belta. „Gott sei Dank haben unsere Luftabwehrsysteme alle Raketen abgefangen, die von den ukrainischen Truppen abgefeuert wurden“, so Lukaschenko. „Wie ich vor mehr als einem Jahr gesagt habe, wir haben nicht die Absicht, in der Ukraine zu kämpfen“, fügte er hinzu. „Sie wollen uns weiter in den Krieg in der Ukraine ziehen.“ Ziel sei es, „Russland und Belarus auf einen Schlag loszuwerden“.

Der belarussische Präsident äußerte sich anlässlich einer Feier zum Nationalfeiertag seines Landes. Dabei erhob er schwere Vorwürfe gegen die Ukraine und auch den Westen. „Westeuropa hat zuerst ein Monster namens faschistisches Deutschland aufgezogen und züchtet jetzt ein neues Monster in der Ukraine“, bemühte er einen historischen Vergleich.

Russische Offensive in Ostukraine

Im Krieg in der Ukraine werden immer mehr ukrainische Städte von russischer Artillerie und Raketen beschossen. Nach Krementschuk, Odessa und Dnipro war am Freitag auch die Stadt Bachmut im Donezbecken in der Ostukraine neuerlich Ziel russischer Artillerie.

Lukaschenko drohte in seiner Rede auch unverhohlen mit militärischer Vergeltung, sollte es einen militärischen Angriff auf Belarus geben. „Vor weniger als einem Monat habe ich den Einheiten der Streitkräfte den Befehl gegeben, die – wie man jetzt sagen kann – Entscheidungszentren in ihren Hauptstädten ins Visier zu nehmen“, sagte der 67-Jährige nach Angaben der dpa. Was er genau damit meinte, erläuterte er nicht. Er fügte hinzu: „Fassen Sie uns nicht an – und wir werden Sie nicht anfassen.“

Russischer Angriff auch über Belarus

Lukaschenko ist ein enger Verbündeter Russlands, das seinen Überfall in der Ukraine im Februar mit einer vermeintlichen „Denazifizierung“ des Landes zu rechtfertigen suchte. Zu Kriegsbeginn ließ der Machthaber die russischen Invasionstruppen über belarussisches Territorium in Richtung der ukrainischen Hauptstadt Kiew vorrücken. Die Invasoren sollen in Vorstädten Kiews abscheuliche Kriegsverbrechen verübt haben, darunter die Tötung von Hunderten unbewaffneten Zivilpersonen.

Lwiw bereitet sich auf „Eskalation“ vor

Die ukrainische Armee berichtete indes von möglichen Kriegsvorbereitungen in Belarus. Wie die Nachrichtenagentur Ukrinform berichtete, werde in den Grenzregionen Brest und Gomel die Errichtung von Pontonbrücken geübt. Es gebe aber zunächst keine Anzeichen für die Bildung von Offensivkräften.

Der Bürgermeister der westukrainischen Stadt Lwiw, Andrij Sadowyj, sagte indes, dass man sich auf eine „Eskalation“ aufseiten von Belarus vorbereite. Konkret wird befürchtet, dass belarussische Truppen durch eine Invasion die Versorgungswege zwischen Lwiw und der polnischen Grenze abschneiden könnten.

Die Lage in Belarus wird auch mit Blick auf die Sicherheit der NATO-Staaten im Baltikum mit besonderem Interesse beobachtet. Die russische Ostsee-Exklave Kaliningrad ist nämlich nur durch einen schmalen Korridor von Belarus getrennt, der zugleich die einzige Landverbindung der baltischen Staaten zum Rest des NATO-Territoriums darstellt. Ein etwaiger Versuch Russlands, über seinen Verbündeten Belarus eine Landverbindung zu Kaliningrad herzustellen, würde den Bündnisfall und damit das Eingreifen der NATO in den Krieg auslösen.

Ukraine dementiert Einkesselung von Lyssytschansk

Um die umkämpfte Stadt Lyssytschansk im Osten der Ukraine herrschten am Samstag unterdessen widersprüchliche Angaben. Prorussische Kämpfer umzingelten nach eigenen Angaben die Stadt im Osten des Landes vollständig. Die ukrainische Seite hingegen dementiert das, Lyssytschansk sei weiter unter ukrainischer Kontrolle.

Rauch über Lyssytschansk
Reuters
Zur militärischen Lage in der Stadt Lyssytschansk gab es am Samstag widersprüchliche Informationen

Es gebe zwar heftige Kämpfe um die in der Region Luhansk gelegene Stadt, sagte ein ukrainischer Armeesprecher am Samstag im Fernsehen. Lyssytschansk sei „aber nicht eingekesselt und weiter unter Kontrolle der ukrainischen Armee“, hieß es. Kurz zuvor hatten die prorussischen Separatisten verkündet, man habe „die letzten strategischen Hügel“ erobert. „Damit können wir vermelden, dass Lyssytschansk vollständig eingekreist ist.“

Gouverneur: Ukraine will Zeit gewinnen

Die Ukraine versucht mit der Verteidigung der Stadt Lyssytschansk nur, Zeit bis zum Eintreffen westlicher Waffenlieferungen zu gewinnen. Das räumte der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Hajdaj, im Interview mit der „Presse am Sonntag“ ein. Die Eroberung der Schwesterstadt Sjewjerodonezk habe vier Monate gedauert. „In Lyssytschansk benutzen wir die gleiche Taktik. Wir brauchen Zeit, um Waffen aus dem Westen zu erhalten.“

„Ich denke, dass wir zu Beginn des Herbsts die Lage auf dem Schlachtfeld verändern werden“, sagte Hajdaj auf die Frage nach dem Zeitpunkt für die ukrainische Gegenoffensive. Er räumte ein, dass die Ukraine „in der Tat sehr viele Waffen“ brauche. „Teilweise“ seien sie schon da, doch manchmal „hat man den Eindruck, der Westen will den Krieg verlängern. Es geht darum, dass Russland immer mehr geschwächt wird, bis es möglicherweise zusammenbricht“, mutmaßte Hajdaj.

Offenbar neue russische Offensive im Osten

Die russische Seite begann im Osten offenbar eine neue Offensive. Der ukrainische Generalstab meldete am Samstag Angriffe praktisch entlang des gesamten Frontverlaufs im Osten und Süden des Landes. Schwerpunkt war der Raum Charkiw und es gab wiederum Artilleriebeschuss. Zuvor hatte Kiew der russischen Armee „Terror“ vorgeworfen.

Für die Stadt Mykolajiw gaben die Behörden eine Warnung aus, nachdem es laut Bürgermeister Olexandr Senkewich mehrere Explosionen, offenbar als Folge eines russischen Angriffs auf die Stadt mit knapp einer halben Million Einwohnerinnen und Einwohnern, gegeben hatte. Die Stadtregierung riet den Einwohnerinnen und Einwohnern, Schutzräume aufzusuchen.