Innenansicht des Geyermüllerschlössls in Wien
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Neuer Geschmack, neue Politik

Metternich, Rossini & das Modell Kulturpolitik

Wer sich fragt, warum in Österreich auch regional derart auf die Kunstförderung gesetzt wird und Politik gern die Kunst bemüht, darf ins frühe 19. Jahrhundert blicken. Dass nach dem Wiener Kongress eine neue Zeit angebrochen war, spürte man auch im Bereich der Kunst: Geschmäcker, etwa in der Oper, hatten sich geändert. Und so nutzte auch ein Klemens Metternich 1822 das in Wien grassierende „Rossini-Fieber“, um Politik zu machen.

200 Jahre ist es nun her, dass Wien von einem neuen Virus angesteckt wurde. Man nannte es: das Rossini-Fieber. Als die Wiener Klassik ihren Höhepunkt überschritten und Österreich und Europa mitbekommen hatten, dass mit den Napoleonischen Kriegen kein Ordnungsgefüge wie bisher bestehen würde, hatten auch im Bereich populärer Musik bekannte Modelle, bei aller Größe, ausgedient. „Beethoven und Schubert mussten erleben, dass der musikalische Geschmack und die Erwartungen des Wiener Publikums sich weit von ihren eigenen Vorstellungen entfernten“, schreibt etwa Beethoven-Biograf Jan Caeyers.

Hinweis:

Die Wiener Staatsoper spielt heuer in den Juli hinein und zeigt noch bis 8. Juli, an dem eine große Rossini-Gala stattfindet, an drei Tagen „Il Turco“ mit Cecilia Bartoli in der Titelrolle und eine semiszenische „La Cenerentola“, um sich der Rossini-Mania vor 200 Jahren zu widmen.

Kunstschwärmereien statt Politumsturz

Während auf politischer Ebene mit Repression und aus der Erfahrung der Französischen Revolution kein neuer Umsturz über die Welt hereinbrechen sollte, und Ordnung auch mit den repressivsten polizeistaatlichen Mittel herzustellen war, durfte nicht zuletzt die Musik ein Ventil sein, das Schwärmen zu kultivieren. Knapp nach Ende des Wiener Kongresses (1815) war mit Rossini, dem Mann aus Pesaro und seiner Oper „Tancredi“, ein neues Modell von Musiktheater im Umlauf, das vielen attraktiver schien als die Oper im Schatten von Beethovens „Fidelio“.

„Die Welt ist verloren: Europa brennt nun ab, und aus der Asche erst wird eine neue Ordnung der Dinge entstehen“, hatte der an der Aufklärung geschulte Metternich 1806 die Umstürze im Schatten Napoleons notiert. Der Visionär, Taktiker und Stratege Metternich, der ja aus dem Rheinland an die Wiener Hofpolitik gekommen war, wollte mit allen Mitteln eine zweite Revolution und Umstürze, die die Ordnung aus dem Rahmen heben, verhindert sehen. „Es ist ein Weltbürger, der den Repressionsstaat plant. Und es ist ein Bildungsbürger, der die Zeichen der Zeit und wandelnder Geschmäcker erkennt.“ Wie beim Wiener Publikum heißt Metternichs kommender Stern auf dem musikalischen Himmel: Rossini.

Szenenbild aus der Oper „Die Belagerung von Corinth“ von Gioachino Rossini (2. Akt, Finale) in Wien
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Szenenbild aus der Oper „Die Belagerung von Corinth“ von Gioachino Rossini (2. Akt, Finale) am Wiener Hoftheater

Domenico Barbaia am Wiener Hoftheater

Die Deckungsgleichheit des eigenen Geschmacks mit dem des Publikums wird Metternich im Herbst 1821 nutzen: Die Krise am Kärntnertortheater, kein wirklich neuer Vorgang, wird zum Moment eines Schachzugs des jungen Haus-, Hof- und Staatskanzlers. Metternich engagiert Domenico Barbaia, Rossinis-Impresario und in der damaligen Zeit wohl der erfolgreichste Opernimpresario, der schon in Mailand und Neapel die Erwartungen des Publikums zu bedienen wusste. Publikumserfolg statt elaborierter künstlerischer Konzeptionen, das sei Barbaias Maxime gewesen, konstatiert Musikhistoriker Caeyers.

Bild von Domenico Barbaia
CM
Neuer Geschmack, neue Bespielung der Oper: Domenico Barbaia, Rossinis Impresario, von Metternich nach Wien geholt

Barbaia, der am 1. Dezember 1821 seinen Posten antrat, ging nach seinen eigenen Vorstellungen auf Nummer sicher. Er holte Rossini und dessen Ehefrau Isabella Colbran nach Wien und ließ hier die Opern Rossinis so oft wie möglich aufführen. In der ersten Saison gab es gleich 60 Rossini-Abende. Carl-Maria von Webers „Freischütz“, aber auch Beethovens „Fidelio“ blieb die Rolle von Fugenopern. Schubert hatte mit seinem „Fierrabras“ noch ein härteres Schicksal zu erleiden, wurde das Stück doch schon vor der Premiere abgesetzt.

Beethoven und „der Schmetterling“

„Man sagt vox populi, vox Dei“, also die Stimme des Volkes sei die des Herren, kommentierte Beethoven diese Entwicklungen – und fügte hinzu: „Ich habe daran nie geglaubt.“ Im April 1822 wird Rossini Beethoven in dessen Landstraßer Wohnung besuchen. Erschrocken von der Armseligkeit wird sich Rossini bei einem Diner Metternichs für bessere Lebensumstände für den Titanen der Wiener Klassik einsetzen. Doch das Engagement des Italieners beschied man bei Hof mit einem trockenen Kommentar: Würde Beethoven ein Haus geschenkt bekommen, er würde es doch nur verkaufen. „Der Schmetterling flog dem Adler in den Weg, dieser wich aber aus“, wird Robert Schumann später die Begegnung von Beethoven mit Rossini kommentieren.

Szenenbild aus der „Il Turco“-Aufführung mit Cecilia Bartoli
Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Comeback des Rossini-Fiebers an der Wiener Staatsoper 2022 – hier ein Szenenbild aus „Il Turco“

Für Metternich und Rossini selbst wurde der neue Kult um den Komponisten zum Erfolg. 15 Opern des Italieners wurden in Wien gespielt. Ob Rossinis Einfluss derart groß war, dass er die Opernkompositionen eines Schuberts verhindert habe, das wollte die Wiener Staatsoper zu Beginn der Woche in einem eigenen Symposium zum Rossini-Fieber wissen.

Mit der Verlängerung der Opernsaison in die ersten Juli-Wochen hinein versöhnt die Oper nicht nur die Abstinenzgeschichte von Cecilia Bartoli mit der Staatsoper seit der Ära Holender. Wenn ab Sonntag etwa „Il Turco“ mit Bartoli und sängerischer Großbesetzung zu sehen ist, so versucht man 200 Jahre nach dem Rossini-Fieber die Ekstase zurückzuholen, die das Publikum damals erfasste.

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