Klimarat Pressekonferenz
ORF
Empfehlungen des Klimarats

„Bevölkerung ist für Veränderung bereit“

Der Klimarat der Bürgerinnen und Bürger hat am Montag das Ergebnis seiner Arbeit der Regierung überreicht. 100 zufällig ausgewählte Menschen hatten seit Jänner in zehn Arbeitsgruppen mehrere mögliche Maßnahmen zur Erreichung der Klimaneutralität im Jahr 2040 erarbeitet. Der Klimarat habe der Wissenschaft einen neuen Weg gezeigt, wie sie zu tragfähigen Entscheidungen beitragen könne, so der Klimaforscher Georg Kaser. Die Bevölkerung habe die Notwendigkeit erkannt und sei zu Veränderung bereit.

Der Klimarat einigte sich auf mehr als 90 Empfehlungen für ein klimagesundes Österreich. Er diskutierte und verhandelte dabei die Handlungsfelder Mobilität, Energie, Ernährung und Landnutzung, Konsum und Produktion sowie Wohnen in Kleingruppen so lange, bis sich die Teams weitestgehend einig waren. Danach ging es mit den Vorschlägen ins große Plenum, bis auch dort weitgehend Einigkeit herrschte.

Fünfzehn Wissenschaftler und ein Moderationsteam begleiteten den Prozess, dessen Ergebnisse am Nachmittag an Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) und ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher übergeben wurden. Gewessler hatte im Vorfeld erklärt, sämtliche Empfehlungen genau prüfen und einiges davon auch umsetzen zu wollen. „Ich kann aber nicht versprechen, dass wir alle umsetzen werden können“, so die Ministerin.

Dazu gehört unter anderem die Verankerung eines Grundrechts auf Klimaschutz, die Abschaffung für Subventionen fossiler Energie, die Schaffung einer parteiunabhängigen Klimakommission, Treibhausgaszölle für Lebensmittel aus Drittstaaten, höhere Steuern für klimaschädliche Fahrzeuge und vieles mehr. Ein heißes Eisen, die 100-km/h-Geschwindigkeitsbegrenzung, schaffte es nicht in den Bericht.

Appell für einen Bodenversiegelungsstopp

Obwohl in vielen Bereichen lange diskutiert worden wäre, sei man sich bei der Maßnahme „Bodenversiegelung Stopp“ schnell einig gewesen, so Madeleine Stranzinger aus Ried im Innkreis, die sich im Handlungsfeld Wohnen beteiligte. „Egal wo man hinschaut, es wird gebaut“, so die 52-Jährige. „Wir pflastern Österreich zu, und man muss kein Wissenschaftler sein, um zu wissen, dass sich das nicht ausgehen kann. Wenn wir so weitermachen, haben wir bald wunderschöne Häuser und Küchen, aber bald nichts mehr zu essen.“

Bürgerin des Klimarates, Madeleine Stranzinger
APA/Tobias Steinmaurer
Madeleine Stranzinger plädiert dafür, die eigenen Interessen nicht über die des Gemeinwohls zu stellen

Darum fordere der Klimarat die bestmögliche Sanierung von bereits existierenden Wohngebäuden. Zum einen ginge es dabei darum, die vorhandenen Leerstände zu aktivieren, um diese einer aktiven Nutzung zuzuführen. Zum anderen solle der Gebäudebestand hinsichtlich aktueller und zukünftiger Anforderungen und Wohnbedürfnisse verbessert werden. „Wir müssen an einem Strang ziehen und können nicht die eigenen Interessen über alles stellen“, so Stranzinger.

Sie selbst habe sich bis vor sechs Monaten kaum Gedanken wegen des Klimawandels gemacht, habe Müll getrennt, sei ein- bis zweimal jährlich in den Urlaub geflogen, drei Minuten ins Büro mit einem alten Dieselauto gefahren und habe ihre Innenstadtwohnung mit Gas geheizt, ohne es zu hinterfragen. „Es war ein Riesenglück, dass dieser Brief hereingeflattert ist, ich hier mitmachen durfte und mir diese tollen Menschen gezeigt haben, was in der Welt los ist“, so die Mutter von zwei Kindern.

Politische Anreize für klimafreundliche Ernährung

Im Handlungsfeld Ernährung und Landnutzung wurden etwa die Initiativen „Gesetzlicher Rahmen für Portionsgrößen in Großküchen und Restaurants festlegen“ sowie „Mengenrabatte für Lebensmittel verbieten“ einstimmig vom Klimarat angenommen.

„Solche Rabatte führen zu Überkonsum und Verschwendung“, so der 17-jährige Paul Lackner aus der Weststeiermark. In der Landwirtschaft sei es zudem wichtig, dass lokale und innovative Produktion gefördert würde. Er erwarte sich konkret, dass in dieser Hinsicht etwas gemacht werde, so Lackner: „Es geht um meine Zukunft und die meiner Generation. Wenn nichts passiert, fühle ich mich ignoriert.“

Bürger des Klimarates Paul Lackner
APA/Tobias Steinmaurer
Paul Lackner aus der Steiermark fordert Handeln von der Politik

Der Bericht empfiehlt weiters politische Anreize für eine klimafreundliche Ernährung. Nicht Verbote, sondern positive Maßnahmen sollten eingesetzt werden, um auch Menschen ohne Klimabewusstsein dazu zu bringen, ihren Fleischverzehr um zwei Drittel zu reduzieren, sich somit gesünder zu ernähren und Treibhausgase einzusparen.

„Zusammenarbeit hat Wissenschaft neuen Weg gezeigt“

Der wissenschaftliche Beirat unterstützt die Forderungen des Klimarats. „Die Tiefe, Breite und Sorgfalt des Diskussionsprozesses und der Entscheidungsfindung legitimiert das Ergebnis des Klimarats“, heißt es in dessen Stellungnahme. Obwohl der Klimaforscher Georg Kaser zunächst „tiefe Angst“ gehabt hätte, hundert Menschen sagen zu müssen, dass man sich bereits in einer veritablen Krise und knapp vor einer Klimakatastrophe befinde, habe ihm die Kooperation als Wissenschaftler einen neuen Weg gezeigt, wie er zu tragfähigen und weitreichenden Entscheidungen beitragen könne.

„Die Bürgerinnen und Bürger sind offen für wissenschaftliche Informationen, und sie wollen Verantwortung übernehmen“, so Kaser. „Und das möchte ich allen Entscheidungsträgern ans Herz legen: Sie würden um vieles weiter gehen, als es die Entscheidungsträger bisher geglaubt haben, weil sie verstanden haben, dass es notwendig ist.“ Georg Tappeiner vom Moderationsteam merkte aber an: „So ein Klimarat kann politische Institutionen nicht ersetzen.“

Co-Leiter des wissenschaftlichen Beirates, Georg Kaser
APA/Tobias Steinmaurer
Der Klimaforscher Georg Kaser sieht den Bericht des Klimarats als „klaren Auftrag, etwas zu tun“

Mit dem Bericht allein könne man die gesteckten Klimaziele nicht erreichen, so Kaser. Sie seien jedoch ein klarer Auftrag, etwas zu tun und würden eine Reihe an Empfehlungen beinhalten, mit denen viel in Bewegung gesetzt werden könne. „Es ist kein Katalog, den eine Ministerin oder ein Minister abarbeiten kann und dann sind die Ziele erledigt“, so der Wissenschaftler. „Aber sie zeigen: Wir gehen mit, wir haben es verstanden und wir werden es in die Gemeinden, Bezirke, Städte hinaustragen und versuchen zu erklären, warum es geht.“

Rückmeldung von Politik bis Herbst

„Wir nehmen den Bericht mit einem großen Danke und Demut vor der Aufgabe entgegen und mit dem Versprechen, dass wir das sehr ernst nehmen werden und diese Verantwortung wahrnehmen werden“, so Gewessler. Jetzt sei die Politik am Zug – bis zum Herbst wolle man Rückmeldung geben.

„Das ist zivilgesellschaftliches Engagement, das nicht selbstverständlich ist“, sprach auch Arbeitsminister Kocher seinen Dank aus. Aktuell gebe es zwischen Klimaschutz und Energieversorgung manchmal Zielkonflikte, die Empfehlungen würden aber einen wichtigen Beitrag dabei leisten, Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen.

Wiens Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky kündigte in einer Aussendung an, man werde sich alle Vorschläge, die die Stadt betreffen, sehr genau anschauen und auf Umsetzbarkeit prüfen – man sei immer offen für neue Ideen und Anregungen. Lukas Hammer, Klimaschutzsprecher der Grünen, hat die Mitglieder des Klimarates ins Parlament eingeladen, damit sie die Forderungen den Mitgliedern des Umweltausschusses übergeben und erläutern können.

NGOs und Opposition: Regierung muss handeln

Global 2000 begrüßte via Aussendung die Ergebnisse des Klimarats und forderte zugleich die Politik zum Handeln auf. Der WWF sieht einen klaren Handlungsauftrag an die Politik, die die Ergebnisse ernst nehmen solle. Und auch Greenpeace meinte, die Regierung müsse endlich mit der Bevölkerung mitziehen. Südwind sieht die Empfehlungen als „wichtigen Hebel für mehr globale Gerechtigkeit“.

Auch SPÖ-Umweltsprecherin Julia Herr nahm die Regierung angesichts des Berichts abermals in die Pflicht. Ein Klimaschutzgesetz sei nämlich lange ausständig. NEOS-Klima- und Umweltsprecher Michael Bernhard appellierte an Gewessler ebenso, alles dafür tun, damit die Forderungen nicht im Sand verlaufen.

Ablehnung gab es erwartungsgemäß von der FPÖ. Aus Sicht von Umweltsprecher Walter Rauch würden die Vorschläge vorwiegend die Pläne der Grünen widerspiegeln und auf weitere Verbote und Teuerungen setzen.