Recep Tayyip Erdogan
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Fast 80 Prozent

Erdogans Kampf gegen die Inflation

Die Verbraucherpreise in der Türkei sind im Juni so stark gestiegen wie seit fast einem Vierteljahrhundert nicht mehr. Waren und Dienstleistungen kosteten durchschnittlich 78,62 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, wie aus den am Montag veröffentlichten Daten des Statistikamtes hervorgeht. Der Kampf gegen die seit geraumer Zeit außergewöhnliche Inflation gestaltet sich derzeit so gut wie aussichtslos.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan setzt auf niedrige Zinsen, um die Konjunktur anzukurbeln – entgegen der Lehrmeinung. Und auch das Anheben der Mindestlöhne könnte nicht den erwarteten Erfolg bringen. Die Rate im Juni ist die höchste Inflationsrate seit September 1998 mit damals 80,4 Prozent.

Die Türkei kämpfte danach fast ein Jahrzehnt lang damit, die chronisch hohe Inflation zu beenden. Die Transportkosten – zu denen etwa Benzin gerechnet wird – erhöhten sich im vergangenen Monat um 123,37 Prozent. Lebensmittel und alkoholfreie Getränke verteuerten sich um 93,93 Prozent.

Markt in Istanbul
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Der tägliche Einkauf wird in der Türkei teurer und teurer – hier ein Markt in Istanbul

Große Sorge um Lira-Kurs

Grund für die aktuell stark steigenden Preise sind vor allem die Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, die steigenden Rohstoffpreise und der Kursverfall der Landeswährung. Seit vergangenem Herbst sind die Preise sprunghaft gestiegen, nachdem der Lira-Kurs wegen der Zinssenkungen der Zentralbank von 19 auf aktuell 14 Prozent eingebrochen war. Die Opposition geht davon aus, dass die tatsächliche Inflation mehr als doppelt so hoch ist wie die offiziellen Zahlen. Erdogan weist die Kritik zurück, dass seine Regierung es versäumt habe, die Inflation wirksam zu bekämpfen.

Das Problem mit den niedrigen Zinsen

Erdogan will mit niedrigen Zinsen die Konjunktur anschieben. Das hat allerdings erhebliche Nebenwirkungen, weil die Lira dadurch für Anleger unattraktiver wird und sich durch den Kursverfall die Importe verteuern. Die Lira verlor 2021 um 44 Prozent gegenüber dem Dollar und ist in diesem Jahr bereits um rund 21 Prozent gefallen.

Der türkische Präsident bezeichnet sich selbst als Zinsfeind. Erdogan weist die gängige Lehrmeinung zurück, dass Zentralbanken bei hoher Inflation die Zinsen anheben sollten. Das erhöht die Kosten für Kredite und senkt somit die Nachfrage insgesamt. Hohe Zinsen können auch dazu dienen, Währungen zu stabilisieren, indem sie den Gewinn auf angelegtes Vermögen und Investitionen erhöhen.

Menschen in Galataport, Istanbul
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Touristinnen in Galataport in Istanbul

Erdogan vertritt den Standpunkt, dass hohe Zinsen zu hoher Inflation führen. Zudem verweist er auf islamische Regeln, die Wucherzinsen verbieten. Erst Anfang des Monats hatte er wieder gefordert, die Zinsen zu senken. „Wir haben kein Problem mit der Inflation. Aber ein Problem mit den hohen Lebenskosten“, sagte er.

Mindestlohn bereits zum zweiten Mal angehoben

Angesichts der hohen Inflation hob die Türkei den monatlichen Mindestlohn um rund 30 Prozent an. Er steige auf 5.500 Türkische Lira netto (rund 316 Euro) monatlich, gab Erdogan erst am Freitag bekannt. Es ist bereits die zweite Anhebung in einem Jahr. Normalerweise wird der Mindestlohn nur einmal im Jahr angepasst. Im Kampf gegen die Inflation sollte damit auch die Kaufkraft angehoben werden. Doch das scheint vergeblich.

Nach Angaben des Gewerkschaftsdachverbandes Türk-Is betrug der Betrag, der erforderlich ist, um eine vierköpfige Familie zu ernähren, im Juni 6.391 Lira, also knapp 900 Lira mehr als der Mindestlohn. Die Armutsgrenze für einen Vier-Personen-Haushalt lag demnach im Juni bei 20.818 Lira (derzeit rund 1.200 Euro). Damit musste der Haushalt mehr als doppelt so viel verdienen, um über die Runden zu kommen, als im Juni vergangenen Jahres.

Gesunde Wirtschaft wichtig für Wiederwahl

Erdogan hofft auf ein Gesunden der Wirtschaft. Denn in der Türkei wird voraussichtlich in rund einem Jahr ein neuer Präsident gewählt. Erdogan, seit 2003 als Regierungschef und dann als Präsident im Amt, strebt die Wiederwahl an. Er werde sich als Kandidat der Volksallianz, eines Wahlbündnisses seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP mit der ultranationalistischen Nationalistischen Bewegung (MHP), aufstellen lassen, hatte das türkische Staatsoberhaupt Anfang Juni in der westtürkischen Agäis-Metropole Izmir mitgeteilt.

Experten gehen bei der kommenden Präsidentenwahl von einem engen Rennen mit der Opposition aus. Fast 20 Jahre hielt sich Erdogan mit seiner AKP an der Macht – doch vor allem grassierende Währungskrise, Inflation und Arbeitslosigkeit haben seiner Beliebtheit bei der Bevölkerung geschadet.