Akw in Bollene
APA/AFP/Afp Files/Fred Dufour
Atomkraft und Gas

Showdown um „grünes“ EU-Label

Der Vorstoß der EU-Kommission, Atomkraft und Gas als „nachhaltig“ einzustufen, hat in den letzten Monaten für heftige Kritik gesorgt. Am Mittwoch könnte nun das EU-Parlament die umstrittene Taxonomieverordnung stoppen. Nicht nur der Umweltaspekt, auch das Vorgehen der Kommission steht dabei in der Kritik. Doch bei der für die Blockade benötigten absoluten Mehrheit wird es knapp werden.

In Straßburg kommt es Mittwochmittag zum Showdown: Sprechen sich mindestens 353 Abgeordnete gegen die Taxonomieverordnung der EU-Kommission aus, wandert sie wieder zurück auf den Tisch der Brüsseler Behörde. Oft zeichnet sich schon im Voraus ab, mit welchem Ergebnis zu rechnen ist – diesmal ist der Ausgang aber noch völlig offen. Nicht zuletzt, weil auch innerhalb der Fraktionen im Parlament keine Einigkeit herrscht.

Konkret soll die Taxonomie festlegen, welche Finanzinvestitionen künftig als klimafreundlich gelten, um mehr Geld in nachhaltige Technologien und Unternehmen zu lenken. Unter bestimmten Voraussetzungen sollen auch Gas und Atomkraft darunter fallen. In den vergangenen Monaten prägte vor allem der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die Debatte mit – und rückte auch Gas in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Ukraine mit widersprüchlichen Appellen Richtung EU

Klar ist, dass der grüne Stempel für Gas die Bemühungen, sich dauerhaft von Russland zu lösen, zumindest bremsen könnte. Doch ausgerechnet die Ukraine sendete diese Woche widersprüchliche Botschaften Richtung EU. Erst forderte der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, die Abgeordneten dazu auf, gegen die Taxonomie zu stimmen, denn Russland würde davon „profitieren“, so Melnyk.

EU-Parlament in Strasbourg
AP/Jean-Francois Badias
Die EU-Abgeordneten müssen am Mittwoch in Straßburg eine Entscheidung treffen

Am Dienstag ging nun ein Brief aus dem ukrainischen Energieministerium an die europäischen Mandatare – der sie dazu aufforderte, die Pläne der Kommission für das grüne Label zu unterstützen. Einerseits zur Stärkung der eigenen Versorgungssicherheit, andererseits als möglicher künftiger Export in die EU – um die dortige Energieversorgung zu sichern. Das spiegelt wohl recht akkurat das gespaltene Verhältnis zu Gas vieler Staaten auch innerhalb der Union wider.

Auch Finanzsektor zweifelt an Vorteilen

Dabei, und darauf verwiesen auch einige heimische EU-Abgeordnete am Tag vor der Abstimmung, ist die Taxonomie nur ein kleinerer Hebel bei der Energiewende. Denn wie schon Finanzkommissarin Mairead McGuinness bei der Präsentation sagte, sei die Taxonomie ein Instrument für den Finanzsektor, „nicht für die Energiepolitik“. So soll damit etwa bei Fonds transparent werden, inwieweit bei den Produkten auf die Leitlinien geachtet wurde.

Doch gerade der Finanzsektor legt auf die Ausnahmen womöglich gar keinen Wert, wie Nancy Saich von der Europäischen Investitionsbank (EIB) laut dem Nachrichtenportal Euractiv zuletzt sagte. Investoren, die nach grünen Anlagemöglichkeiten suchen, würden nicht unbedingt ihr Geld in Atomkraft und Gas stecken wollen.

Taxonomie spaltet EU-Fraktionen, Österreich einig

Die gespaltene Meinung zu dem Thema zieht sich auch durch das Europäische Parlament – vor allem die Europäische Volkspartei (EVP) und die Liberalen sind untereinander uneinig. Österreichs Abgeordnete sprachen sich über alle Lager hinweg jedoch unisono gegen das „grüne“ Label für Atomkraft und Gas aus.

Investitionen in Atomkraft dürften „kein grünes Mascherl bekommen“, so die ÖVP-Europaabgeordneten Othmar Karas und Alexander Bernhuber laut Aussendung. „Greenwashing in der Finanzpolitik gilt es zu verhindern“, sagte unterdessen die SPÖ-Europaabgeordnete Evelyn Regner.

Claudia Gamon, EU-Abgeordnete der NEOS, sieht in der Taxonomie einen „Etikettenschwindel“. Das Instrument, das eigentlich mehr Kapital für die Energiewende, also für nachhaltige Energien, lukrieren sollte, wurde so „unbrauchbar“ gemacht, erklärte Gamon. FPÖ-Abgeordneter Roman Haider sagte, Personen, die in nachhaltige Energie investieren wollen, „kriegen nicht das, was sie bestellen“.

Waitz sieht „Hinterzimmerdeal“ für Macron und Merkel

Der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz sprach von einem „Hinterzimmerdeal“ zwischen der früheren deutschen Kanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Merkel wollte russisches Gas fördern, Macron die Atomkraft, so Waitz. Er kritisierte zudem, dass die Kriterien für Gas nur auf die Förderung von russischem Gas zugeschnitten seien und nicht, wie die EU-Kommission behaupte, von Flüssiggas (LNG). Im Kontext der Ereignisse in der Ukraine „stelle ich mir die Frage, wer dem noch zustimmen kann“, sagte Waitz.

Gastherme
ORF.at/Patrick Bauer
Das Parlament könnte die Ausnahmeregelung für Gas und Atomkraft kippen

Kritik gab es aber nicht nur an den unabsehbaren Folgen für das Klima: Auch das Vorgehen der EU-Kommission ist den Parlamentariern ein Dorn im Auge. Die Taxonomie wurde als delegierter Rechtsakt präsentiert – der eigentlich der Änderung oder Ergänzung von nicht wesentlichen Vorschriften von Rechtsakten dient. Gamon sprach etwa davon, dass die Kommission damit ihre Kompetenzen überschritten habe.

Parlament als letzte große Hürde

Auch das könnte vielleicht einige Abgeordnete zu einer Ablehnung der Taxonomie bewegen. Für die Abstimmung am Mittwoch wollte sich niemand festlegen – alle heimischen Abgeordneten waren sich einig, dass es eine knappe Angelegenheit werden könnte.

Sollte die Taxonomie das Parlament passieren, läge die letzte Möglichkeit, diese zu kippen, in der Hand der Mitgliedsländer – das wäre höchst unwahrscheinlich. 20 der 27 Staaten mit mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung müssten dagegen stimmen – andernfalls tritt der Vorschlag kommendes Jahr in Kraft. Länder wie Österreich und Luxemburg kündigten in diesem Fall Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) an.