Detail der OMV-Erdgsspeicheranlage in Schönkirchen
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Öl statt Gas

Industrie sieht einige Probleme

Als eine Maßnahme gegen eine mögliche Erdgaskrise sollen Großverbraucher auf andere Energieträger, etwa Erdöl, umsteigen. Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) wünscht sich das möglichst rasch, die Industrie ist nicht prinzipiell dagegen, sieht aber viele offene Fragen. Manche Unternehmen könnten außerdem gar nicht umsteigen. Die Bundesregierung zog am Mittwoch eine Zwischenbilanz über die aktuelle Lage: Die nächsten Wochen werden entscheidend sein.

Die energieintensiven Branchen können grundsätzlich mit einer Umstellung von Gas auf Öl leben, wissend, dass die Lage in Richtung Winter schwierig werden könnte. Es seien allerdings viele Fragen offen, es fehle ein Gesamtkonzept, hieß es etwa aus der Chemiebranche, von der Industriellenvereinigung (IV) und der Wirtschaftskammer (WKO). IV und WKO forderten auch umgehend eine finanzielle Unterstützung für die Betriebe. Außerdem gebe es zahlreiche Firmen, die nicht umrüsten könnten.

„Wir alle sind uns bewusst, dass es möglicherweise zu einem sehr schwierigen Herbst- und Winterszenario kommen kann“, sagte etwa Max Oberhumer von Sappi-Papier im steirischen Gratkorn am Mittwoch im Ö1-Morgenjournal. Daher sei aus seiner Sicht „jede Maßnahme, die von der technischen Möglichkeit her gegeben ist, um hier kurzfristig entgegenzuwirken, sinnvoll und sehr zu begrüßen“.

Woher nehmen und wie aufteilen?

Die Politik habe den Ernst der Lage erkannt, so Silvia Hofinger von der Sparte Chemie in der Wirtschaftskammer. Aber wie Oberhumer fehlen auch ihr ein Gesamtkonzept und belastbares Mengengerüst, gerade wenn es um die Alternative Öl geht.

„Wie viel Heizöl wird denn dann benötigt? Wie viele von den in Österreich eingespeicherten Gasvorräten sind wirklich für österreichische Endkunden bestimmt? Und wie kann man sicherstellen, dass auch ausreichende Mengen vom verfügbaren Gas in Österreich verbleiben werden“, fragte sie im Morgenjournal in Richtung Bundesregierung.

Grafik zu Rohöllieferanten
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Statistik Austria/FVMI

Offen sei auch, wie die Unternehmen zu den Rohstoffen kommen und wie die Regierung mit den zusätzlichen Schadstoffen und CO2-Zertifikaten umgehen will. Jedenfalls brauche es eine Kompensation für die Umrüstung und die entstehenden Kosten, so Hofinger. Da gehe es um einmalige Kosten und um höhere Kosten im laufenden Betrieb. „Und da brauchen die Unternehmen entsprechende Unterstützungen.“

Mögliches Sparpotenzial in Industrie

Mit einer Verordnung vorzugehen, hält Walter Boltz, der frühere Chef der Regulierungsbehörde E-Control, für richtig. „Wichtig ist, dass die Regeln sehr transparent und klar sind, und natürlich, dass das Gas, das nicht verbraucht wird, auch für österreichische Kunden irgendwo eingespeichert und zur Verfügung gehalten und nicht ins Ausland verkauft wird.“ Das Sparpotenzial in der Industrie könne geschätzt bei 15 Prozent liegen, das wären fünf Prozent des Gesamtverbrauchs. Das sei „durchaus ein relevanter Betrag“.

Bundesregierung zieht Zwischenbilanz

Für die Bundesregierungen zogen am Mittwoch im Pressefoyer nach dem Ministerrat Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), Gewessler und ÖVP-Wirtschafts- und -Arbeitsminister Martin Kocher eine Art Zwischenbilanz über die aktuelle (Versorgungs-)Situation samt möglichen Perspektiven in Richtung Heizsaison und Winter. Sie verwiesen auch auf die bereits von der Regierung ergriffenen Maßnahmen und auf jene, die noch in Umsetzung oder Planung sind.

Nehammer verweist auf Maßnahmenpaket

Dass Russland Energie als Mittel der Kriegsführung einsetze, führe zu großer Unsicherheit, sagte Nehammer einleitend. Das Ziel, diese Unsicherheit weiter zu schüren, sei, so der Bundeskanzler sinngemäß, dass Europa weiche Knie bekomme und aus russischer Sicht „das Thema Sanktionen damit gleich mit erledigt wird“. Dem sei entschieden entgegenzuwirken.

Als von der Regierung ergriffene Maßnahmen hob Nehammer etwa das Bevorratungsgesetz für Erdgas, die Schaffung einer strategischen Reserve, die es bis dato nur für Erdöl gegeben hatte, und das „Use it or lose it“-Prinzip mit Blick auf den Erdgasspeicher Haidach in Salzburg hervor. Dessen Nutzung wird dem russischen Energieversorger Gasprom entzogen, weil er ihn nicht füllt.

Erdgasspeicher Haidach
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Der Speicher Haidach wird Gasprom entzogen und soll an das österreichische Netz

Das übergeordnete, „große strategische Ziel“ sei es, die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu vermindern. Hier habe Österreich bereits begonnen, neue Wege zu gehen. Nehammer verwies außerdem auf die Notwendigkeit von Investitionen etwa in die Pipelineinfrastruktur und die Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Einkaufspolitik bei Erdgas.

Gewessler: „Fehler der Vergangenheit“

Gewessler sprach im Pressefoyer von großen Herausforderungen, die noch auf Österreich zukämen. Als Grund nannte sie den – bekannt – hohen Abhängigkeitsgrad von russischen Erdgaslieferungen, eine Folge von Fehlentscheidungen in den letzten Jahrzehnten, wie sie sagte. Hier gebe es nichts zu beschönigen.

Speicherziel „ist und bleibt erreichbar“

Die Energieministerin ging auf drei zentrale Punkte ein: Die Alarmstufe werde vorerst nicht ausgerufen. Entscheidendes Kriterium sei hier, wenn das Speicherziel von 80 Prozent vor dem Winter „gefährdet“ sei. Aktuell seien 44 Terawattstunden (TWh) eingelagert, das entspreche fast der Hälfte des österreichischen Jahresverbrauchs an Gas.

Grafik zum Gasspeicher Haidach
Grafik: APA/ORF.at

Punkt zwei sei die genannte Anweisung an Großverbraucher, von Erdgas auf andere Energieträger, etwa Öl und Biomasse, umzusteigen. Das müsse möglichst rasch gehen. Schließlich sprach auch Gewessler die ergriffenen gesetzlichen Maßnahmen und den Speicher Haidach an. Das Speicherziel „ist und bleibt erreichbar“.

Kocher sieht „potenziell schwierige“ Zeit kommen

Laut Wirtschaftsminister Kocher gilt es, zwei Dinge sicherzustellen: Versorgungssicherheit und Abfangen der Preissteigerungen. Man sei dazu ressortübergreifend ständig im Austausch, außerdem gebe es Gespräche mit Importeuren und Großabnehmern, auch mit den Nachbarstaaten. Eine Ausrufung der Alarmstufe sei „noch nicht notwendig“, entscheidend würden hier die nächsten Wochen sein, der Fokus liege jedenfalls auf dem Speichermanagement. Die Umrüstung von Gas auf Öl bzw. Biomasse bei Großverbrauchern werde dazu beitragen, „dass wir etwas mehr Spielraum haben im Winter“.

Zum Thema Energiepreise bzw. Teuerung und Wettbewerbsfähigkeit verwies Kocher auf den aktuellen Entfall der Ökostrompauschale und des Ökostromförderbeitrags als Entlastungsmaßnahme für Betriebe und Haushalte, die Strompreiskompensation für Unternehmen, mit der „der massive Anstieg der Kosten“ für Energie abgefedert werde, und auf Direktzuschüsse für Unternehmen, für die jedenfalls 450 Mio. Euro bereitstünden. Grundsätzlich, so Kocher, müsse sich das Land auf eine Zeit vorbereiten, „die potenziell schwierig wird“.