Britische Premierminister Boris Johnson
Reuters/Ian Vogler
„Werde nicht zurücktreten“

Johnson droht Torys mit Neuwahl

Der schwer in Bedrängnis geratene britische Premier Boris Johnson will weiter im Amt bleiben. „Ich werde nicht zurücktreten“, sagte der Politiker der konservativen Torys am Mittwoch im Parlament. Mit einem parteiinternen Misstrauensvotum ist frühestens nächste Woche zu rechnen. Seinen Kritikerinnen und Kritikern drohte Johnson mit einer Neuwahl, bei der zahlreiche Abgeordnete ihre Sitze verlieren könnten.

In der eigenen Partei verliert Johnson zunehmend an Rückhalt. Wie Medien am Mittwoch berichteten, wollte eine Delegation aus mehreren Kabinettsmitgliedern dem konservativen Premierminister noch am Abend im Regierungssitz 10 Downing Street den Rücktritt nahelegen.

Darunter soll unter anderem der erst am Dienstag auf seinen Posten berufene Finanzminister Nadhim Zahawi sein. Sein Vorgänger Rishi Sunak hatte nur Stunden vorher das Amt aus Protest gegen Johnsons Führungsstil niedergelegt. Zurückgetreten ist auch Gesundheitsminister Sajid Javid.

Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng setze sich nun ebenfalls für einen Rücktritt des Premiers ein, berichtete Sky News Mittwochnachmittag. Berichten zufolge soll sich auch Bau- und Wohnungsminister Michael Gove von Johnson abgewendet haben. Zuvor waren rund drei Dutzend Abgeordnete von ihren Regierungs- und Parteiämtern zurückgetreten.

Misstrauensvotum: Komitee wählt neue Spitze

Mit einem parteiinternen Misstrauensvotum muss Johnson wohl erst nächste Woche rechnen. Das zuständige 1922-Komitee seiner Konservativen habe die Regeln nicht geändert, berichteten Medien in London am Mittwochabend. Vielmehr solle am Montag eine neue Komiteespitze gewählt werden. Da dann aber vermutlich parteiinterne Gegnerinnen und Gegner Johnsons die Oberhand gewinnen dürften, wird anschließend eine Regeländerung erwartet.

Ministerrücktritte im Vereinigten Königreich

Im Vereinigten Königreich sind zwei Minister zurückgetreten, weil Premierminister Boris Johnson einen Parteifreund gefördert hatte, der Männer sexuell belästigt haben soll.

Nach den aktuellen Vorschriften darf es nach einem gewonnenen Misstrauensvotum ein Jahr lang keine weitere Abstimmung geben. Johnson hatte erst vor Kurzem ein Votum überstanden, wenn auch nur knapp. Seitdem hat die Zahl der Tory-Abgeordneten, die Johnsons Rücktritt fordern, aber deutlich zugenommen.

„Eine Neuwahl ist das Letzte, was dieses Land braucht“

Zum Ende einer direkt im Fernsehen übertragenen Ausschusssitzung lehnte der Premier am Mittwoch erneut einen Rücktritt ab. „Ich werde nicht zurücktreten“, sagte er. „Und das Letzte, was dieses Land braucht, ist ehrlich gesagt eine Neuwahl.“ Medienberichten zufolge will eine Gruppe von Ministern ihn auffordern, sein Amt niederzulegen.

ORF-Korrespondentin Pöcksteiner zu britischen Rücktritten

Der Druck auf den britischen Premier Boris Johnson steigt. ORF-Korrespondentin Eva Pöcksteiner berichtet aus London.

Den Abgeordneten seiner Konservativen Partei drohte Johnson für den Fall einer Revolte mit einer Neuwahl. Es werde nur zu einer vorgezogenen Parlamentswahl kommen, wenn „Leute“ sein Mandat missachteten, sagte der Premier. Er betont stets, er habe mit seinem fulminanten Wahlsieg 2019 ein starkes Mandat erhalten.

Falls es zur Neuwahl kommt, dürften zahlreiche konservative Abgeordnete ihre Mandate verlieren, zeigen Umfragen. Kommentatorinnen und Kommentatoren wiesen daher darauf hin, dass Johnson mit der Androhung versuchen könnte, ein neues Misstrauensvotum abzuwehren oder eine solche Abstimmung zu verhindern.

Zahlreiche Skandale überstanden

Johnson überstand während seiner Amtszeit bereits mehrere Krisen, zuletzt die „Partygate“-Affäre um illegale Lockdown-Feiern in der Downing Street. Nun erschüttert der Skandal um den Tory-Abgeordneten Chris Pincher Partei und Regierung. Pincher war vorige Woche von seiner Funktion als Vize-Whip zurückgetreten, nachdem Medien berichtet hatten, dass er schwer betrunken zwei Männer begrapscht habe. Die Whips – auf Deutsch etwa „Einpeitscher“ – sollen für Fraktionsdisziplin sorgen.

Zunächst legte Johnson nahe, dass der Fall mit Pinchers Rücktritt abgeschlossen sei. Als der Protest lauter wurde, suspendierte die Tory-Fraktion den Abgeordneten doch. Schließlich berichteten Medien über ältere, ähnliche Vorwürfe, von denen Johnson gewusst habe. Das stritt dessen Sprecher zunächst ab – um am Dienstag dann doch einzuräumen, der Premier sei bereits 2019 über Anschuldigungen gegen seinen konservativen Parteifreund informiert worden. Er habe das nur vergessen gehabt.

Johnson: Nein zu neuem Referendum in Schottland

Inmitten der größten Regierungskrise seiner Amtszeit hat Johnson erneut ein schottisches Unabhängigkeitsreferendum abgelehnt. Da sein Land vor noch nie da gewesenen Herausforderungen im In- und Ausland stehe, sei es jetzt nicht die Zeit, um die Frage wieder aufzugreifen, schrieb Johnson am Mittwoch in einem Brief an die schottische Erste Ministerin Nicola Sturgeon.

„Schottland wird die Möglichkeit haben, sich für die Unabhängigkeit zu entscheiden. Ich hoffe, in einem Referendum am 19. Oktober 2023, aber wenn nicht, dann durch eine Parlamentswahl“, schrieb Sturgeon daraufhin auf Twitter. Die schottische Regierungschefin hatte vor einer Woche das Datum des geplanten Volksentscheides bekanntgegeben.