Warteschlange vor Benzinausgabe in Sri Lanka
AP/Dinuka Liyanawatte
Strategische Chance für Putin

Sri Lanka klopft im Kreml um Hilfe an

Sri Lanka kämpft mit seiner bisher größten Wirtschaftskrise. Das Land an der Südspitze Indiens hat umgerechnet knapp 50 Mrd. Euro Auslandsschulden, es gibt praktisch keine Treibstoffe mehr. In dieser verzweifelten Lage hat Staatschef Gotabaya Rajapaksa ausgerechnet Russlands Präsident Wladimir Putin um Hilfe gebeten. Der dürfte kaum Nein sagen und sich diese geopolitische Chance entgehen lassen.

Das frühere Ceylon stemmt sich mit allen möglichen Mitteln gegen seine größte Krise seit der Unabhängigkeit von der früheren Kolonialmacht Großbritannien im Jahr 1948. Zuletzt erhöhte die Zentralbank den Leitzinssatz auf 15,5 Prozent, nachdem die Gesamtinflation fast 55 und die Teuerungsrate bei Lebensmitteln im Juni 80 Prozent erreicht hatten.

Es gibt praktisch kein Geld mehr für den Import von Nahrungsmitteln, medizinischen Gütern und Treibstoffen. Colombo bemüht sich aktuell um eine Übergangsfinanzierung über drei Mrd. Dollar (2,9 Mrd. Euro) über den Internationalen Währungsfonds (IWF).

„Sehr produktives Gespräch“ mit Putin

Am Mittwoch (Ortszeit) suchte Präsident Rajapaksa via Videoschaltung Hilfe bei Kreml-Chef Putin, wie er auf Twitter schrieb. Das Gespräch sei „sehr produktiv“ gewesen. Er habe Putin um Kredithilfe für den Import von Treibstoffen ersucht, schrieb der sri-lankische Staatschef. Er habe außerdem „bescheiden“ darum gebeten, dass Russland wieder Flugverbindungen mit seinem Land aufnimmt. Die russische Aeroflot hatte diese laut der britischen BBC im Juni eingestellt.

Moskau und Colombo wollen „Freundschaft vertiefen“

Die beiden Staatschefs seien sich absolut einig darin gewesen, dass ihre Länder die Zusammenarbeit in den Sektoren Tourismus, Handel und Kultur vertiefen würden und dass das zentral für die Vertiefung der bestehenden bilateralen Freundschaft sei, so Rajapaksa auf Twitter. Sri Lanka hatte, so die BBC, vor Kurzem Öl in Russland gekauft und auch in China und Indien um Hilfe angeklopft.

Warteschlange vor Benzinausgabe in Sri Lanka
Reuters/Dinuka Liyanawatte
Anstellen für Treibstoffe und Gas

Dass Putin die Bitte Sri Lankas ausschlägt, ist unwahrscheinlich – aus mehreren Gründen. Moskau schielt nicht erst seit gestern wirtschaftlich und geopolitisch in Richtung Asien, mit dem Angriff auf die Ukraine und den folgenden Sanktionen gegen Russland in der EU, den USA und Großbritannien hat sich diese Neuorientierung noch verstärkt. Das macht unter anderem den USA Kopfzerbrechen.

Ein Grund für Kopfzerbrechen in Washington

Die Aussicht, „dass Herr Putin den Schmerz Sri Lankas ausnützen könnte, um den russischen Einfluss in der indopazifischen Region auszudehnen, ist ein Grund – neben der humanitären Tragödie –, dass die USA aufmerksam sein sollten“, hieß es am Donnerstag in einem Kommentar in der „Washington Post“.

Verkäufer auf einem Markt in Colombo
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Lebensmittel sind für die meisten Menschen in dem Inselstaat im Indischen Ozean mittlerweile knapp

Ein weiterer sei, dass es noch viel mehr Länder gebe, denen wegen Energie- und Nahrungsmittelkrisen der wirtschaftliche Kollaps drohe, etwa in Afrika. Diese Krisen werden vom Krieg in der Ukraine zumindest verstärkt, wenn er nicht sogar die Hauptursache dafür ist.

Wo Putin kein „Paria“ ist

Gemeinsam mit Indien und China ist Russland in der BRICS-Gruppe der aufstrebenden Schwellenländer, denen außerdem noch Brasilien und Südafrika angehören. Bei ihrer letzten Konferenz Ende Juni hatte Putin die Gruppe zu verstärkter Kooperation aufgerufen. China kritisierte die Sanktionen gegen Russland, Putin kündigte an, die Wirtschaftsbeziehungen mit Indien und der Volksrepublik zu vertiefen – insbesondere mehr Erdöl zu liefern.

Der indische Premierminister Narendra Modi zusammen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen Außenminister Sergej Lawrow
APA/AFP/Mikhail Klimentyev
Indiens Staatschef Narendra Modi beim Händeschütteln mit Putin – lange vor dem Ukraine-Krieg beim BRICS-Gipfel 2014

Im Club der fünf großen Schwellenländer sei Putin – anders als im Westen – „kein Paria“, Außenseiter, hatte es in einem Kommentar des niederländischen „Telegraaf“ im Vorfeld des Gipfels geheißen. Der allergrößte Triumph für ihn und „ein Schlag ins Gesicht des westlichen Lagers“ wäre wohl ein Gipfelfoto mit den anderen BRICS-Staatschefs gewesen, das gab es aber nicht – die Konferenz fand virtuell statt. Die Botschaft sei aber auch so deutlich gewesen.

Indopazifik-Staaten mit eigener Russland-Politik

Das US-Außenpolitikmagazin „Foreign Policy“ ging im April in einer Analyse der Frage nach, weshalb die meisten indopazifischen Staaten nicht an Russland anstreifen wollten, und verwies darauf, dass nur sechs von ihnen – Australien, Japan, Neuseeland, Singapur, Südkorea und Taiwan – die westlichen Sanktionen gegen Russland unterstützten. Die anderen weigern sich.

Warum? Diese Länder müssten sich bereits im Konflikt zwischen den USA und China positionieren, hieß es in der Analyse, und das Auftauchen einer neuen Supermacht – Russlands – in der Region mache die Sache für sie nicht einfacher. Sich jetzt Richtung Westen und gegen Russland zu orientieren, würde als mögliches Risiko empfunden, insbesondere, da Moskau und Peking eng zusammenarbeiteten. Dass sich die regionalen „Schwergewichte“ China und Indien ruhig verhielten, sei kein Zufall. Sie nutzten aus einer strategischen Perspektive heraus die Krise für sich, „um den Übergang von einer unipolaren zu einer multipolaren internationalen Ordnung zu beschleunigen“ und den Einfluss des Westens zu bremsen. Indien etwa sei außerdem abhängig von russischen Waffenlieferungen.

Der russische Präsident Wladimir Putin und der chinesische Präsident Xi Jinping
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Putin mit Chinas Präsident Xi Jinping während eines Besuchs in Peking im Februar

China wiederum habe Putin noch vor dem Angriff auf die Ukraine „grenzenlose Freundschaft“ versprochen – eine Manifestation der gemeinsamen Vision, die Ausdehnung des westlichen Einflussbereichs zu bremsen. Zu den indopazifischen Staaten gehören neben den genannten auch Länder wie Indonesien, Thailand, Vietnam, Malaysia und Südkorea. In der Region leben rund 60 Prozent der Weltbevölkerung.

Sri Lankas tiefe Krise

Sri Lanka kämpft vor allem seit der Coronavirus-Pandemie an breiter Front mit schweren Problemen. Mit der Pandemie fiel der Tourismussektor als Devisenquelle aus, ohne Fremdwährungen kann das Land aktuell die notwendigsten Güter nicht importieren. Am Wochenende erklärte etwa Energieminister Kanchana Wijesekera, das Land habe bei normalem Verbrauch nicht einmal mehr genug Treibstoff für einen Tag. In der Woche zuvor hatte die Regierung den Verkauf von Benzin und Diesel für den Betrieb „nicht essenzieller“ Fahrzeuge ausgesetzt.

Arbeiter auf einem Teefeld in Sri Lanka
Reuters/Dinuka Liyanawatte
Kunstdüngerverbot und Missernten als Folge verschärften die Lage im Land

Die „Washington Post“ hatte das Land am Mittwoch ein „Epizentrum einer globalen Krise“ genannt, auch wenn der Krieg in der Ukraine die Schlagzeilen beherrsche. Neben steigenden Rohstoffpreisen und der enormen Inflation verschärft die schlechte Versorgungslage bei Nahrungsmitteln die Lage im Land. An die 70 Prozent der insgesamt rund 22 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner hätten inzwischen nicht mehr genug Nahrungsmittel zur Verfügung.

Im Vorjahr hatte Präsident Rajapaksa die Einfuhr von Kunstdünger und chemischen Pflanzenschutzmitteln verboten. Folge war ein Einbruch der Erntemengen. Mittlerweile sind Einkäufe rationiert, dasselbe gilt für Strom. Mehrere Staaten warnen vor Reisen in den Inselstaat, da das Risiko sozialer Unruhen steige.