Der Stadtgarten ist kein prominenter Platz in Gmunden. Vielleicht eignet er sich gerade deswegen so gut für eine künstlerische Bespielung, die bis zum 14. August zum genauen Hinschauen und Verweilen einlädt. Auf dem Areal einer ehemaligen Gärtnerei, am Hang, mit Blick auf den See wurden Frachtcontainer in die Landschaft gestellt. Wie aufgeklappte Schachteln offenbaren sie Fotoarbeiten ukrainischer Künstler und Künstlerinnen, ein existenzieller Realitätsschub mit Blick auf den Traunstein.
Ein wandgroßes Mosaik mit heroischen Szenen aus der kommunistischen Ära, davor leere Stuhlreihen, es ist ein Warteraum in einem U-Bahnhof in Mariupol, den Jewgen Nikiforow mit der Kamera festgehalten hat. Der in Kiew lebende Fotograf beschäftigt sich seit Jahren mit dem sowjetischen kulturellen Erbe, vor allem der Architektur, im urbanen Umfeld. Seine Dokumentation von Städten als Schauplatz ideologischer Auseinandersetzungen hat durch den Krieg tragische Aktualität erhalten.

Von Kiew nach Gmunden
Sie wolle bewusst nicht nur den Schrecken des Krieges zeigen, sondern auch die Substanz der friedlichen Ukraine, sagt die aus Kiew stammende und seit Kurzem in Wien lebende Kokuratorin Jana Barinowa. Mit großer Subtilität entfalten manche der Fotoarbeiten ihre Sprengkraft erst im Kontext. So zeigt das Schwarz-Weiß-Tableau von Igor Gaidai das größte Flugzeug der Welt, eine Antonow, mitsamt dem Konstruktionsteam, das in Hundertschaften unter den Flügeln der „Mrija“ (zu Deutsch „Traum“) Aufstellung genommen hat. Es wurde in der Ukraine gebaut, war Stolz und Hoffnung – und wurde von der russischen Armee zerstört.
Ausstellungspavillons statt Immobilienentwicklung
Nicht nur Fotokunst ist auf dem Grund der ehemaligen Gärtnerei eingezogen. Das 6.500 Quadratmeter große Areal wird von der Stadt als zukünftiges Kunstquartier errichtet. Man wolle kein weiteres Wohnbauprojekt, sondern einen öffentlichen Raum zum Verweilen und für die zeitgenössische Kunst. Auf den Grundflächen der vom Hagel zerstörten Glashäuser sollen in Zukunft Ausstellungspavillons entstehen, in die renovierungsbedürftige Villa könnten Artists in Residence einziehen.
Wer die Immobiliensituation nicht nur am Traunsee, sondern im gesamten Salzkammergut kennt, muss das als mutige und zukunftsweisende Entscheidung anerkennen. Und vielleicht ja als erstes Anzeichen einer neuen Form von Tourismus, die nicht mehr nur auf Schlosshotel-Orth-Romantik setzt, sondern als kluges Zusammenspiel zwischen den Festwochen Gmunden und dem Kulturhauptstadtprojekt Salzkammergut 2024 auf eine nachhaltige Entwicklung der Region setzt.
Mit Ironie in Richtung Apokalypse
Noch aber können Künstlerinnen und Künstler mit dem Charme des Verfalls kokettieren, wie Xenia Lesniewski, die im ehemaligen Verkaufsraum der Stadtgärtnerei ihre „Apocalypso-Bar“ eingerichtet hat, eine Installation, die dem Weltuntergang mit hochprozentiger Ironie begegnet und Spirituosen mit Namen wie „Angst“, „Panic“ und „Threat“ ausschenkt.

Sie wurde gemeinsam mit u. a. Anna Jermolaewa, Constantin Luser und Peter Sandbichler von der privaten Initiative AIR101 eingeladen, die 14 künstlerische Positionen an drei Locations in Gmunden präsentiert. Deren umtriebige Initiatorin Andrea Bier möchte die Stadt in Zukunft ganzjährig als Kunstort etablieren, nicht nur zur Sommerfrischezeit. Schon jetzt kommen im monatlichen Rhythmus Künstlerinnen und Künstler in ein Atelierhaus am Ostufer des Traunsees, um dort zu arbeiten.
Blick in die Röhre vom Digitalpionier
Bestens etabliert ist die Galerie 422. Seit 20 Jahren zeigen Margund Lössl und Marlene Poeckh zeitgenössisches Programm mit internationalem Profil. In Kooperation mit den Salzkammergut Festwochen läuft diesen Sommer eine große Peter-Kogler-Schau. Der international renommierte Digitalpionier, der mit seinen computergenerierten Ameisen, Röhren und Schläuchen schon viele öffentliche Räume bespielt hat, verblüfft auch diesmal im Ortsbild von Gmunden. Ein riesiger Siebdruck verkleidet das Galerienhaus am Traunseeufer außen mit einem illusorischen Röhrengeflecht (die Ameisen müssen drinnen bleiben).

Als neuer Player betritt Daniel Haider die Szene. Der gebürtige Gmundner hat in den letzten Jahren in Wien die Parallel-Kunstmesse initiiert und der jungen Szene Auftritte an ungewöhnlichen Orten beschert. Für diesen Sommer kehrt er zu seinen Wurzeln zurück und bespielt den Toscanapark, jenes idyllische Stückchen am Ufer des Traunsees, das dem Seeschloss Ort genau gegenüber liegt und das die Festwochen Gmunden für Konzerte und Veranstaltungen nutzen. Ein temporärer Skulpturenpark mit prominentem Line-up wird hier ab 22. Juli bei freiem Eintritt zugänglich sein, mit Blick auf den Traunstein und jeder Menge Spazierwegen.
Keramik goes Afrika
Fast könnte man sagen, die DNA von Gmunden sei „grün geflämmt“. So lautet der Fachausdruck für die seit Generationen beliebten und bekannten grünen Kringel auf Tellern und Tassen der Gmundner Keramik. Sie ist eine Trademark und fehlt weder im charmant alteingesessenen Keramikhotel Goldener Brunnen noch im frisch eröffneten Boutiquehotel Zum Goldenen Hirschen. Beide Häuser sind der Kunst eng verbunden, der „Brunnen“ punktet mit Vintage-Charme und Thomas-Bernhard-Zimmer, der „Hirsch“ mit (innen-)architektonischer Liebe zum Detail. Kein Wunder, sind die Betreiber doch selbst Architekten und wollten „statt Appartments mit Arztordination im Erdgeschoß“ lieber den alten Gasthof neu beleben.

Bei der Gmundner Keramik stehen die Zeichen auf Erneuerung. Vor vier Jahren kaufte der Ex-Rennfahrer und Unternehmer Markus Friesacher den 1492 gegründeten Traditionsbetrieb. 130 Mitarbeiter arbeiten in der Manufaktur, sie ist eine der größten in Europa. Schon immer haben Künstler im Design mitgearbeitet, jetzt hat man (gemeinsam mit der OÖ Landeskultur GmbH) die „Academy of Ceramics“ gegründet. Unter den Künstlerinnen in Residence sind auch zwei Frauen aus der Ukraine. Parallel dazu fördert die Gmundner Keramik einen Trust in Namibia, der Menschen der Volksgruppe San beim künstlerischen Arbeiten mit Keramik unterstützt. Neben Grüngeflämmt, Hirsch und Blumenstreumuster findet sich demnächst auch eine „Afrika-Edition“ aus Namibia im Sortiment.

Neubewertung von Räumen statt Sommerfrische
Als Kulturraum war das Salzkammergut schon immer definiert. Bloß die touristische Bewirtschaftung wird sich in den nächsten Jahren ändern. Mit der Sommerfrische nach altem Muster hat das nur noch bedingt zu tun, vieles deutet auf eine dynamische Entwicklung der Region.
Vieles, was diesen Sommer in Gmunden stattfindet, ist aus privater Initiative entstanden, manches Pilotprojekt noch nicht ausfinanziert. Aber die Richtung stimmt und bestätigt, was auch der britische Architekt David Chipperfield vor Kurzem in einem Interview sagte: „Es wird eine Neubewertung des nicht urbanen Raums geben.“