Absolventen einer Universität in China
AP/FeatureChina/Mu Feng
Rekordarbeitslosigkeit

China lockt Junge mit ‚eiserner Reisschüssel‘

Chinas Null-Covid-Politik hat die zweitgrößte Volkswirtschaft ausgebremst. Die Jugendarbeitslosigkeit nähert sich der 20-Prozent-Marke, vor allem in den Städten scheint die Lage prekär. Für die Kommunistische Partei (KPCh) und Präsident Xi Jinping, der sich eine dritte Amtszeit sichern will, ist das denkbar unangenehm. Peking lockt Uniabsolventinnen und -absolventen deshalb mit der „eisernen Reisschüssel“ in ländliche Gebiete.

Der Begriff „eiserne Reisschüssel“ steht in China für einen sicheren Job, mit stetigem Einkommen und Nebenleistungen. Die Sehnsucht danach ist angesichts der zunehmend spürbaren wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie groß – auch unter den Millionen Uniabsolventinnen und -absolventen des Landes. Mit 10,8 Millionen Studienabgängern strömen zugleich so viele Absolventen auf den chinesischen Arbeitsmarkt wie nie zuvor.

Anstatt bei Techkonzernen wie Alibaba oder Tencent in Chinas Metropolen anzuheuern, entscheiden sich viele von ihnen für eine Karriere bei der Kommunistischen Partei in ruralen Gegenden – auch, aber nicht nur wegen ihrer Begeisterung für die KPCh. Die Jobs gelten als sicher, auch mit guten Aufstiegschancen wird geworben.

Wie Peking Junge für Jobs am Land begeistern will

Von Peking ist der Umzug aufs Land jedenfalls gewünscht, wie CNN zuletzt berichtete. Auf Wunsch mehrerer chinesischer Ministerien – darunter das Bildungs- und Finanzministerium – sollen Regionalregierungen Hochschulabsolventen für Beamtenjobs in Gemeinden begeistern. Zugleich will die Regierung Absolventen mit Vergünstigungen dazu animieren, Geschäfte in ländlichen Gegenden zu eröffnen. Ebenso soll es für Unternehmen, die Studienabgänger anstellen, Vorteile geben.

Absolventen einer Universität in China
Reuters/Tingshu Wang
Mehr als zehn Millionen Hochschulabsolventen strömen heuer auf den chinesischen Arbeitsmarkt

Viele jener, die sich für eine Karriere bei der Regierung interessieren, hoffen auf einen Platz im elitären Beamtenprogramm Xuan Diao. Dabei werden „ehrgeizige junge Menschen von führenden Universitäten rekrutiert und zu Verwaltungsbeamten auf den untersten Regierungsebenen in Gemeinden und Dörfern gemacht“, schreibt die britische Zeitung „Financial Times“ („FT“).

Im Schnelldurchlauf zum Regierungsposten

Bewerberinnen und Bewerber werden laut „FT“ von ihrer Universität und dem örtlichen Zweig der KPCh empfohlen. In der Folge müssen sie ein Interview sowie einen schriftlichen Test absolvieren. Nach nur wenigen Jahren als Parteikader winken manchen rasch hochrangigere Stellen in Provinzregierungen, aber auch in der Zentralregierung in Peking.

Xuan Diao sei ein Nährboden für Kommunistische Parteiführer, wird Victor Shih, Professor für Chinesische Politische Ökonomie an der University of California, von der Zeitung zitiert. Gerade auch an den besten Universitäten Chinas sei die Nachfrage nach Stellen bei der Kommunistischen Partei groß: „Man würde diese Zahlen, die es heuer gibt, nicht sehen, wenn der Arbeitsmarkt nicht so prekär wäre.“

Hohe Jugendarbeitslosigkeit und enormer Stellenabbau

Die städtische Arbeitslosenquote für die 16- bis 24-Jährigen stieg laut den Regierungsstatistiken vom Mai auf historische 18,2 Prozent. Die Millionen Absolventen sind darin noch nicht berücksichtigt – im Sommer dürfte die Quote demnach nochmals steigen. Um dem gegenzusteuern, wurden viele Studierende laut „FFT“ dazu gedrängt, ihren Abschluss zu verzögern. Manche würden Berichten zufolge überhaupt daran gehindert, bis sie ein Jobangebot vorweisen könnten.

Verschärft wird die Lage auf dem chinesischen Arbeitsmarkt dadurch, dass die für China so wichtigen Techkonzerne wie Alibaba und Tencent wegen des rigorosen Vorgehens von Regulierungsbehörden massenhaft Stellen abbauen. Auch im privaten Bildungswesen – einem weiteren Sektor, der von den Behörden unter die Lupe genommen wurde – trennten sich zahlreiche Firmen von ihrer Belegschaft.

Menschen auf einer Jobmesse in China
Reuters/China Daily CDIC
Rekordzahl an Absolventen trifft auf Rekordarbeitslosigkeit

Erinnerung an 1960er Jahre

Es ist auch nicht das erste Mal, dass Peking junge Menschen zu einer Karriere am Land animiert. Als sich die Pandemie im Juli 2020 erstmals auf die chinesische Wirtschaft auswirkte, drängten Behörden Studienabgänger dazu, in ländliche Gegenden zu ziehen, anstatt sich in den Städten um Jobs zu streiten. Jene Appelle der Regierung erinnerten einige Beobachter, aber auch Userinnen und User in sozialen Netzwerken, an die 1960er Jahre, als der frühere Staatspräsident Mao Zedong die privilegierte Stadtjugend aufs Land schickte, um mit der Landbevölkerung zu leben.

„Dieses Programm des Parteistaates zur Anwerbung von Spitzenstudenten konzentriert sich insbesondere auf die ideologische Korrektheit der Studenten“, sagte Mary Gallagher, Politikwissenschaftlerin an der University of Michigan, der „FT“. Jene ideologische Erziehung der Bevölkerung hat unter Xi immerhin Priorität: Nicht ohne Grund befinden sich Marxismusstudiengänge in den vergangenen Jahren im Aufwind. Absolventen jener Lehrgänge haben es anders als die meisten ihrer Kommilitonen auf dem Arbeitsmarkt heutzutage leichter – egal ob beim Staat oder bei privaten Unternehmen.

Xi Jinping
Reuters
Regierungschef Xi will sich beim Parteitag im Herbst eine dritte Amtszeit sichern

Xi vor dritter Amtszeit

Es ist zu erwarten, dass Xi auch in Zukunft auf die ideologische Festigung der Bevölkerung setzt. Die Weichen dazu werden heuer gestellt: China bereitet sich derzeit auf einen nur alle fünf Jahre stattfindenden Parteitag im Herbst vor, in dessen Folge viele Regierungsämter neu besetzt werden. Staats- und Parteichef Xi wird allen Erwartungen nach nicht aufhören, sondern eine beispiellose dritte Amtszeit antreten.

Im November hatte ihm die Kommunistische Partei den Weg für eine vielleicht sogar lebenslange Amtszeit geebnet. In einer „historischen Resolution“ beschloss das Zentralkomitee, es sei notwendig, „beharrlich“ die Position Xi Jinpings „als Kern der Partei hochzuhalten“.