Frau betet vor der Stelle des Attentats, wo Dutzende Blumen liegen
Reuters/Issei Kato
Japan

Spekulationen über Motiv für Abe-Attentat

Nach dem tödlichen Attentat auf den früheren japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe suchen die Ermittler nach einem Motiv des Täters. Der 41-Jährige gab laut Medienberichten bei seiner Vernehmung an, nicht aus politischen Gründen gehandelt zu haben. Vielmehr habe er Abe einer „bestimmten Organisation“ zugerechnet, die für den Bankrott seiner Mutter verantwortlich sein soll. Spekuliert wird nun, um welche Gruppe es sich dabei handeln könnte.

Der geständige Attentäter, der früher der Marine angehörte, verneinte laut Medien gegenüber den Ermittlern, aus Groll über Abes politische Überzeugungen gehandelt zu haben. Ursprünglich habe er es auch gar nicht auf den rechtskonservativen Politiker abgesehen gehabt, sondern auf einen Anführer der religiösen Gruppe.

Dieser Gruppe habe seine Mutter so viel Geld gespendet, dass es sie in den Ruin trieb, hieß es in Berichten. Er habe gestanden, Abe töten zu wollen, weil dieser seiner Auffassung nach die Gruppe unterstützt habe. Der Mann hatte Abe am Vortag während einer Wahlkampfrede in der Stadt Nara auf offener Straße aus kurzer Entfernung von hinten mit einer selbst gebauten Waffe erschossen.

Spekulationen über Vereinigungskirche

Dass die japanischen Behörden nicht angeben, um welche religiöse Organisation es sich handelt, schürte im Internet Spekulationen, es könnte sich dabei eventuell um die Vereinigungskirche handeln, die von dem Koreaner Sun Myung Moon 1954 gegründet wurde. Nach dem Namen des langjährigen Oberhaupts der neureligiösen Bewegung wurde die Organisation auch als Moon-Sekte bekannt. Die Vereinigungskirche hat Mitglieder in vielen Ländern, darunter auch in Japan, und unterstützt mit ihrer stark antikommunistischen Ausrichtung konservative politische Anliegen.

Politiker wie der frühere US-Präsident Donald Trump und Abe gelten als ihr freundlich gegenüber eingestellt, beide lobten 2021 die Bewegung bei Ansprachen. Die Spekulationen befeuert aber vor allem die Tatsache, dass es in Abes Familie Verbindungen zu der Organisation gab, vor allem durch seinen Großvater, dem ehemaligen Premierminister Kishi Nobusuke, und seinen Vater, den ehemaligen Außenminister Abe Shintaro. Bestätigung für diese Theorie durch die Behörden gibt es nicht, vielleicht auch weil sie politisch heikel sind.

Sprengstoff gefunden

Wie der Fernsehsender NHK berichtete, soll der Attentäter einen Anschlag zunächst mit Sprengstoff geplant haben, sich dann aber für den Bau einer Schusswaffe entschieden haben. In seiner Wohnung stellte die Polizei Sprengstoff und selbst gebastelte Schusswaffen sicher. Bereits zuvor sei er nach eigenen Aussagen zu anderen Wahlkampfauftritten von Abe gegangen. Möglicherweise habe er auf eine günstige Gelegenheit gewartet, Abe anzugreifen, hieß es.

Vermutlicher Attentäter wird erfasst
APA/AFP/Asahi Shimbu
Sicherheitsleute überwältigten den mutmaßlichen Attentäter sofort

Schock im Wahlkampffinish

Das Attentat hatte in aller Welt Entsetzen ausgelöst. Der Mordanschlag überschattete den letzten Tag des Wahlkampfes für die Wahl zum Oberhaus des nationalen Parlaments an diesem Sonntag. „Wir werden niemals Gewalt nachgeben“, rief Regierungschef Fumio Kishida in der Präfektur Yamanashi nahe Tokio Zuhörern vom Dach eines Wahlkampfbusses zu. Statt wie für Politiker in Japan bisher üblich in direkten physischen Kontakt mit den Bürgern zu treten, winkte er nur. Auch andernorts fanden Wahlkampfauftritte unter erhöhten Sicherheitsmaßnahmen statt.

Bereits vor dem Anschlag deuteten Umfragen auf einen Wahlsieg von Kishidas Liberaldemokratischer Partei (LDP), die Abe lange Jahre geführt hatte, und ihrem Koalitionspartner hin. Sie dürften sich am Sonntag die Mehrheit im Oberhaus sichern.

Sicherheitsdebatte trotz scharfer Waffengesetze

Das Attentat auf Abe warf unterdessen Fragen auf, wieso das Sicherheitspersonal an Ort und Stelle den Anschlag nicht verhindern konnte. Der Chef der örtlichen Polizei räumte laut der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo am Samstag Mängel ein. Ein Experte für Personenschutz sagte der japanischen Zeitung „Nikkei“ (Samstag-Ausgabe): „Ich glaube nicht, dass es in Japan mit seinen strengen Waffengesetzen genügend Vorsichtsmaßnahmen für Schusswaffen gibt.“

Die Nationale Polizeibehörde will laut Medienberichten nun ihr Sicherheitsprotokoll für prominente Persönlichkeiten auf Mängel hin prüfen. Wegen strikter Waffengesetze trägt außer Soldaten und Polizisten fast niemand eine Handfeuerwaffe. 2021 gab es in Japan genau zehn Vorfälle mit Schusswaffen, von denen acht der Yakuza, also dem organisierten Verbrechen, zugerechnet wurden. Insgesamt gab es nur ein Todesopfer und vier Verletzte.

Beileidsbekundungen aus aller Welt

Laut NHK ist am Montag eine Totenwache für Abe und am folgenden Tag die Bestattung im Kreise engster Angehöriger vorgesehen. Unterdessen trafen aus dem Ausland weitere Beileidsbekundungen ein, darunter auch von Chinas Staatspräsident Xi Jinping. Indien ordnete am Samstag einen Trauertag im Gedenken an Abe an, im ganzen Land wehten die Nationalflaggen auf halbmast.

Trauer nach Attentat in Japan

Nach dem tödlichen Attentat auf den ehemaligen Ministerpräsidenten Shinzo Abe herrscht Trauer in Japan. Die Wahl am Sonntag wird aber wie geplant stattfinden.

Auch der Premierminister Australiens, Anthony Albanese, ordnete für den Tag der Bestattung von Abe an, die Flaggen auf halbmast zu setzen. In Melbourne sollten am Samstagabend (Ortszeit) Gebäude in den japanischen Landesfarben Rot-Weiß erleuchten. Ähnliches ist für die berühmte Sydney-Oper am Sonntag vorgesehen.

Indien und Australien bilden zusammen mit Japan und den USA die Quad-Gruppe, für die sich Abe stark eingesetzt hatte. Diese will Chinas militärischem und wirtschaftlichem Expansionsdrang in der Region die Stirn bieten. In einem Telefonat mit Abes Nachfolger und Parteifreund Kishida drückte US-Präsident Joe Biden am Samstag sein Beileid aus. Man habe „unerschütterliches Vertrauen in die Stärke der japanischen Demokratie“.