Twitter-Logo an der Außenseite der Unternehmenszentrale in San Francisco
Reuters/Carlos Barria
Wie geht es weiter?

Twitter nach Musk-Rückzieher in Bredouille

Es hat sich schon seit Wochen abgezeichnet: Tech-Milliardär Elon Musk macht einen Rückzieher beim Twitter-Kauf. Seine Anwälte verweisen auf angeblich unvollständige Informationen zur Zahl von Fake-Accounts bei dem Onlinedienst. Twitter will den Deal nun vor Gericht durchboxen – wie es weitergeht, ist derzeit aber offen. Vielmehr steht Twitter nach dem Musk-Rückzieher womöglich vor Monaten der Ungewissheit.

Denn auch wenn Experten die Firma im Rechtsstreit in einer besseren Position sehen, bleibt unklar, ob man den reichsten Menschen der Welt zu einer Übernahme zwingen möchte, die er nicht will. In jedem Fall hinterlässt das zermürbende Hickhack um den Deal deutliche Spuren bei dem Kurznachrichtendienst.

Musks Anwälte begründeten den Rückzieher am Freitag mit angeblich unzureichenden Informationen zur Zahl der Fake-Accounts bei dem Kurznachrichtendienst. Twitter konterte, man halte daran fest, den Verkauf zum vereinbarten Preis abzuschließen, und plane, dafür vor Gericht zu gehen.

Seit Wochen anhaltende Spekulationen

Überraschend kommt Musks Kehrtwende nicht: Er hatte schon seit Wochen die Twitter-Zahlen öffentlich angezweifelt. Das wurde von Beobachtern bereits als Versuch interpretiert, zumindest den Preis zu drücken. Zu seinem Gebot wäre der Deal mehr als 44 Milliarden Dollar (rund 43. Mrd Euro) schwer, während Twitter an der Börse zuletzt rund 28 Milliarden Dollar wert war. Beobachter hatten spekuliert, dass Musk angesichts der Preisdifferenz nicht mehr gewillt war, an dem ursprünglichen Angebot festzuhalten.

Musk hatte im Frühjahr von sich aus zum Kauf von Twitter angesetzt. Er betonte wiederholt, es gehe ihm dabei nicht um Geld, sondern vor allem darum, die Redefreiheit auf der Plattform zu stärken. So sagte Musk, er würde den von Twitter verbannten ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump wieder zurück auf die Plattform lassen.

An sich schlechte Karten für Musk

Der Verwaltungsrat des Onlinedienstes sperrte sich zunächst gegen Musks Gebot von 54,20 Dollar je Aktie, akzeptierte es dann aber doch. Als Nächstes sollten in den kommenden Monaten die Aktionäre über den Verkauf ihrer Anteile an Musk abstimmen. Musks Preis wäre für viele von ihnen ein guter Deal: Bereits vor seinem Rückzieher am Freitag ging das Papier bei nur 36,81 Dollar aus dem US-Handel.

Musk versuchte schon seit Mitte Mai, angeblich falsche Schätzungen von Twitter zur Zahl der Spam- und Fake-Accounts zum Thema zu machen. So erklärte er den Übernahmedeal deswegen bereits für ausgesetzt. Musks Anwälte behaupteten nun, Twitter habe es versäumt, Musk und seinem Beraterstab ausreichende Datenzugänge zur Überprüfung der Angaben zu Fake-Accounts bereitzustellen. Musks Seite bezeichnet das als einen Bruch der Vertragspflichten, der eine Auflösung der Kaufvereinbarung rechtfertige. Dass das Gericht im US-Bundesstaat Delaware das genauso sieht, wird von US-Beobachtern angezweifelt.

Musk müsste für einen Erfolg nachweisen, dass Twitter so gravierende Informationen unterschlagen habe, dass der Deal zu den vereinbarten Konditionen nicht mehr tragbar ist. Der Streit käme vor den Delaware Chancery Court. Das Gericht kann unter anderem den Vollzug einer Übernahme anordnen. In einem seltenen Fall, in dem es den Rückzieher eines Käufers billigte, erlaubte es dem Gesundheitskonzern Fresenius 2018, die Übernahme der Pharmafirma Akorn abzusagen. Die Richter befanden damals, dass Akorns Informationen zur Geschäftslage und den Aussichten von Medikamenten erhebliche Lücken aufwiesen.

Strafe von einer Milliarde vereinbart

Twitters Verwaltungsratschef Bret Taylor zeigte sich überzeugt, dass man sich in einem Rechtsstreit durchsetzen würde. Doch einige Experten sehen ein großes Problem: Was, wenn Musk sich dem Urteil einfach nicht beugt? „Man steckt Leute nicht ins Gefängnis, nur weil sie etwas nicht kaufen“, sagte etwa Zohar Goshen, Professor an der Columbia Law School, dem „Wall Street Journal“.

Musk und Twitter haben eine Strafe von einer Milliarde Dollar vereinbart, falls eine Partei den Deal nicht umsetzen kann. Dabei geht es aber eher um Probleme wie eine gescheiterte Finanzierung. Das Platzen des Kaufvertrages war in einem am Freitag (Ortszeit) von der US-Börsenaufsicht (SEC) veröffentlichten Schreiben verkündet worden.

Einvernehmliche Lösung?

Aus Expertensicht bleibt abzuwarten, ob sich Twitter auf einen wohl langwierigen Rechtsstreit einlassen werde. Denkbar sei auch, dass sich der Kurznachrichtendienst für Nachverhandlungen oder einen Vergleich entscheide. Die Gerichte im US-Bundesstaat Delaware, wo der Streit ausgetragen werden könnte, haben für den Rückzug aus Übernahmen zwar die Messlatte hoch gelegt, hieß es dazu in einer Reuters-Analyse.

Die verschmähten Unternehmen zögen jedoch oft die Sicherheit eines neu ausgehandelten Geschäfts zu einem niedrigeren Preis oder eine finanzielle Entschädigung dem Klagsweg vor, der sich über viele Monate hinziehen kann. „Für eine Einigung auf einen niedrigeren Übernahmepreis spricht, dass ein Rechtsstreit teuer ist“, sagte Adam Badawi, Jusprofessor an der Universität Berkeley. Es sei also keineswegs sicher, dass sich der Gang vor Gericht für Twitter lohnt.

Im Fokus vieler Unternehmen stünde der Reuters-Einschätzung zufolge eine einvernehmliche Einigung mit dem Käufer. Damit wollen sie eine auf längere Zeit ungewisse Zukunft der Firma vermeiden. So geschehen im Jahr 2020 bei der Übernahme des US-Juweliers Tiffany durch den französischen Luxuskonzern LVMH. LVMH wollte zunächst wieder aussteigen. Am Ende übernahm er Tiffany doch – allerdings wurde der Preis um 425 Millionen auf 15,8 Milliarden Dollar gesenkt.