100. Geburtstag

Georg Kreisler und die Wiener Seele

Vor 100 Jahren ist Georg Kreisler in Wien geboren worden – jener Stadt, zu der er stets ein zwiespältiges Verhältnis haben sollte: Kreisler war Jude, der Antisemitismus allgegenwärtig. Berühmt wurde er durch seine beißend gesellschaftskritischen Chansons, die im biederen Nachkriegsösterreich zensuriert wurden. Aber Kreisler machte weit mehr als Kabarett – und sein Werk erweist sich als zeitlos.

Eine fröhliche Melodie, der Frühling in Wien wird besungen. Doch die Glück- und Weinseligkeit trügt im Lied „Tauben vergiften“: „Wir sitzen zusamm‘ in der Laube. Und ein jeder vergiftet a Taube.“ Und auch in „Wie schön wäre Wien ohne Wiener“ verarbeitete Kreisler 1964, wenige Jahre später, seine Hassliebe gegenüber seiner Geburtsstadt: „Wie schön wäre Wien ohne Wiener/So schön wie a schlafende Frau!/Der Stadtpark wär sicher viel grüner/Und die Donau wär endlich so blau! (…)/ Und wer durch dies Paradies muss/Findet später als Legat/Statt des Antisemitismus/Nur ein Antiquariat!“

Weniger bekannt ist, dass Kreisler weit mehr als ein Kabarettist war. Er schrieb zahlreiche Theaterstücke, Gedichte und Bücher. Auch an Opern, Operetten und Musicals versuchte er sich. Nur seinen Kindheitstraum, berühmter Dirigent zu werden, setzte er nicht um.

Kreisler und Wien

Mit Wien verband Georg Kreisler eine Hassliebe. Er arbeitete sich ab an der Falschheit und am Ewiggestrigen der Menschen dieser Stadt – und kam trotzdem immer wieder.

„Schrei nicht so, wir sind Juden!“

Kreisler wurde 1922 als Sohn einer jüdischen Familie in das Wien der Zwischenkriegszeit geboren. Schon in der Kindheit erfuhr er, was es bedeutete, dort jüdischer Abstammung zu sein: „Schrei nicht so, wir sind Juden!“, habe ihn seine Mutter angeherrscht, erinnert sich Kreisler 1992 im ORF-Interview. Starke Ablehnung erlebte er damals durch die Wienerinnen und Wiener – eine Erfahrung, die er sein restliches Leben lang in sich tragen sollte.

Georg Kreisler als Dirigent, hinter ihm Personen als Musiknoten
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Doch noch Dirigent: Kreisler (ganz links) 1958 mit Peter Wehle, Louise Martini, Helmut Qualtinger, Gerhard Bronner und Carl Merz.

Seine Kindheit beschreibt Kreisler als schwierig, nicht nur wegen des häufig erlebten Antisemitismus. In seiner Schulzeit musste er strenges Lehrpersonal ertragen. Und seine Freizeit mit dem Klavierüben verbringen, um dem Wunsch seiner Eltern nachzukommen. Er selbst träumte vom Dirigieren, wie er in Interviews mehrfach betonte – aber was er wollte, habe damals keine Rolle gespielt.

An Charlie Chaplins Seite

Später studierte Kreisler am Wiener Konservatorium, um sich den Traum vom Dirigieren doch noch zu verwirklichen – aber es kam anders als erwartet: Als er 16 Jahre alt war, folgte 1938 der „Anschluss“ Österreichs an Deutschland. Kreisler floh mit seinen Eltern in die Vereinigten Staaten. Ein paar Jahre später nahm er die dortige Staatsbürgerschaft an. Das Gefühl der Heimatlosigkeit blieb jedoch.

„Zeit.geschichte“ zu Georg Kreisler

Anlässlich des 100. Geburtstags von Georg Kreisler zeigt ORF III ein neues Porträt des vielseitigen Wiener Komponisten, Sängers und Dichters. Bekannt wurde Kreisler besonders durch seinen schwarzen Humor, den er mit Liedern wie „Tauben vergiften im Park“ zum Besten gab. Mit seinen bissigen Texten hielt er den Menschen, insbesondere den Wienern, immer wieder den Spiegel vor. Wobei er zugab, auch selbst einer derjenigen zu sein, die er kritisierte.

In Hollywood trat Kreisler erste Jobs in der Film- und Musikszene an. Unterstützung erhielt er vor allem von seinem Cousin, dem erfolgreichen Drehbuchautor Walter Reisch. Als US-amerikanischer Staatsbürger wurde Kreisler nach einiger Zeit in die Armee eingezogen und für ein paar Jahre zurück nach Europa geschickt. Weil er Deutsch konnte, wurde er als Dolmetscher eingesetzt und traf auf nationalsozialistische Schergen wie Hermann Göring und Ernst Kaltenbrunner.

Nach dem Ende des Krieges versuchte Kreisler sein Glück in den USA. In dieser Zeit lernte er auch Charlie Chaplin kennen und begann, mit ihm zu arbeiten. Chaplin pfiff Melodien vor, Kreisler spielte ihm am Klavier nach und schrieb sie auf. Gemeinsam arbeiteten sie an Chaplins Film „Monsieur Verdoux“. Später ging Kreisler nach New York, probierte sich an einem Musical, er spielte in Nachtlokalen seine selbst geschriebenen Lieder und ging sogar auf US-Tour. Mit Chansons wie „My Psychoanalist Is An Idiot“ und „Please Shoot your Husband" versuchte er, sich in der US-amerikanischen Musikszene zu etablieren. In New York trat er vor allem in der Monkey Bar auf.

Das Wiener Nachkriegskabarett

In den 1950er Jahren kehrte Kreisler nach 17 Jahren in seine Geburtsstadt zurück, um eine Zeit lang auszuprobieren, wie es für ihn in Europa aussehen könnte – die Rückkehr in die USA stets im Bereich des Möglichen. Doch in Wien setzte der ersehnte Durchbruch ein. Den Menschen in jenem Land, das Kreisler schon lange nicht mehr als Heimat bezeichnen mochte, gefielen sein schwarzer Humor und seine satirisch-bösartigen Texte.

Hier verbrachte er seine Nächte in den Kabaretts der Wiener Nachkriegszeit mit Weggenossen wie Helmut Qualtinger, Gerhard Bronner und Hans Weigel. Sein kabarettistisches Debüt auf österreichischem Boden hatte er 1955 im damaligen Kabaretthotspot Marietta Bar, dem heutigen Tanzclub Cabaret Fledermaus. Es folgten zahlreiche Auftritte dort und im Intimen Theater in der Wiener Liliengasse, als Teil des „Namenlosen Ensembles“ neben Qualtinger und anderen Größen dieser Zeit.

Zu böse fürs Radio

Besonders in der Marietta Bar fühlte er sich zu Hause, hier konnte er „das bringen, was ich wollte und was mir Spaß machte“, so Kreisler. Das waren insbesondere seine eigenen Chansons. Als Teil des „Namenlosen Ensembles“ wirkte er vor allem in kabarettistischen Sketches mit. Künstlerisch verwirklichen konnte er sich dabei nicht unbedingt. Noch viele Jahre später haderte er mit dieser Zeit. Das Kabarett von Qualtinger und Co. sei zu wenig scharf gewesen, sagte er sinngemäß in Interviews.

Georg Kreisler beim Klavierspielen
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Am Klavier: Georg Kreisler im Jahr 1955

Sein tiefschwarzer Humor jedenfalls traf nicht nur auf Zustimmung, Zensur war fester Bestandteil seiner Karriere. Viele seiner Chansons, wie auch sein bekanntestes Lied „Tauben vergiften“, durften eine Zeit lang nicht im österreichischen Radio und Fernsehen gespielt werden.

„Wie schön wär’ mein Wien ohne Wiener?“

Kreislers Verhältnis zu Wien blieb bis zu seinem Tod zwiespältig. „Ich bin nicht gerne lange in Wien, muss ich dazu sagen“, so Kreisler einmal. „Ich werde hier ein bisschen unruhig. Ich komme immer wieder gerne her – und ich fahr gern wieder weg.“ Kreisler war sich sicher, „der Tod, das muss ein Wiener sein", wie es im gleichnamigen Kreisler-Klassiker heißt.

Wiederholt bezeichnete sich Kreisler trotz allem als „richtiger Wiener“. Besonders das typisch Wienerische Raunzen und Beschweren läge in seiner Natur: „Ich muss mich ja selber zu den Wienern rechnen, die ich kritisiere“, so Kreisler augenzwinkernd dazu. Als Heimat wollte er Österreich jedoch nicht bezeichnen. Staatsbürgerschaft hatte er immer noch die US-amerikanische, die österreichische wieder anzunehmen, wurde ihm nicht angeboten.

Im späten Alter von 79 Jahren veröffentlichte er seine erste Oper: „Der Aufstand der Schmetterlinge“, in der sich Kreisler als klassischer Komponist ausprobierte. Der Inhalt – die Geschichte zweier nach Afrika auswandernder Künstler – natürlich satirisch gefärbt. Nach Stationen in München, Berlin und der Schweiz verbrachte Kreisler seine letzten Lebensjahre mit seiner Ehefrau am Land in Salzburg, wo er 2011 starb. Kreisler war Vater von drei Kindern, zwei Söhnen und einer Tochter, und war mehrmals verheiratet.

Kunst als Ware

Den Zustand der Welt fand er bis zuletzt besorgniserregend. Insbesondere bedachte er die Situation Künstler und Künstlerinnen, „weil die Kunst allzu sehr in Hände von einerseits Politikern, andererseits Geschäftsleuten“ fallen würde.

Er meinte, es würden nur noch jene Erfolge verzeichnen können, die sich gut verkaufen, und nicht jene, die tatsächlich gute Kunst produzieren. Kreisler äußerte sich zunehmend kritisch gegenüber dem kapitalistischen System: „Und wenn die Kunst Ware wird, dann hört sie auf, eine Kunst zu sein“, so Kreisler.

Kreisler reloaded

Auch heute noch erfreuen sich Kreislers Werke, vor allem seine Chansons, großer Beliebtheit. Zu Ehren seines hundertsten Geburtstages nahmen sich zuletzt das Ensemble Franui und der Puppenspieler Nikolaus Habjan einiger seiner Lieder an. Abermals beweist sich die Zeitlosigkeit und immer noch anhaltende Aktualität von Kreislers gesellschaftskritischem Werk.