Hunderte Demonstranten im Präsidentenpalast von Colombo
AP/Rafiq Maqbool
Chaos in Sri Lanka

Angst vor dem Dominoeffekt

Die schwere Wirtschaftskrise, angefeuert durch Pandemie und Ukraine-Krieg, hat Sri Lanka an den Abgrund gebracht. Nach der Erstürmung diverser Amtssitze und Privatresidenzen durch Demonstranten steht der Inselstaat außerdem ohne Regierung da. Nun ist nicht nur die Sorge vor dem wachsenden Einfluss Russlands groß, sondern auch davor, dass andere Länder in ähnlicher Lage ebenfalls kippen könnten.

Keine Treibstoffe, wenig Strom, stundenlanges Anstehen für das Nötigste: Sri Lanka kämpft seit Monaten mit einer schwer zu meisternden Wirtschaftskrise. Der Zustand Sri Lankas ist das Resultat schädlicher innerer und äußerer Einflüsse. Die Pandemie ließ die Deviseneinnahmen im Tourismus einbrechen. Zudem verschonte die globale Teuerung, die der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine antreibt, auch Sri Lanka nicht.

Die Inflation betrug im Juni 54,6 Prozent, Tendenz steigend – allein die Lebensmittel sind um 80 Prozent teurer geworden. Mehr als zwei Drittel der Menschen sollen nicht mehr genug zu essen haben. Zudem sind Importe wegen steigender US-Zinsen deutlich kostspieliger geworden.

Diese Kombination trifft hier auf eine lang entwickelte prekäre Finanzlage. Sri Lanka hat umgerechnet knapp 50 Mrd. Euro Auslandsschulden. Die Staatseinnahmen wurden auch durch weitreichende Steuersenkungen geschmälert. Im Vorjahr wurde die Einfuhr von Kunstdünger und chemischen Pflanzenschutzmitteln verboten. Die Folge war ein Einbruch der Erntemengen. Mittlerweile sind Einkäufe rationiert, dasselbe gilt für Strom. Seit Monaten hatten die Menschen schon gegen die Regierung demonstriert, als Höhepunkt des öffentlichen Aufschreis drangen am Wochenende Hunderte in den Präsidentenpalast in Colombo ein und nahmen ihn quasi in Besitz.

Präsidentschaftswahl fixiert

Nach seiner Flucht aus dem Präsidentenpalast wurde Präsident Gotabaya Rajapaksa in einer Militärbasis untergebracht. Er verbrachte die Nacht auf Dienstag gemeinsam mit seiner Frau auf einem Luftwaffenstützpunt auf dem Gelände des internationalen Flughafens, berichtete die Nachrichtenagentur AP unter Berufung auf einen Vertreter des Verteidigungsministeriums. Medien zufolge will er nach Dubai ausreisen. Es wird vermutet, dass er mit der geplanten Ausreise als amtierender Präsident einer Festnahme entgehen wollte.

Die Demonstranten erstürmten nicht nur den Präsidentenpalast, sondern auch andere Amtssitze und Residenzen, machten Selfies im Privateigentum verscheuchter Politiker und ärgerten sich über den Luxus dort. Die Rajapaksa-Dynastie regierte Sri Lanka in den vergangenen zwei Jahrzehnten.

Demonstrant spielt im Präsidentenpalast von Colombo Klavier
AP/Rafiq Maqbool
Spontane Vorstellung im Präsidentenpalast: Das Gebäude wurde von zahllosen Demonstranten gestürmt

Nun sind Präsident und Regierung bereit abzutreten. Alle Minister wollten „den Staffelstab übergeben, sobald eine Einigung über die Bildung einer Einheitsregierung erreicht ist“, erklärte das Büro des Premiers am Montag. Am 20. Juli soll das Parlament einen neuen Präsidenten wählen.

Hilfe suchen bei Putin

Das ist ein Erfolg für die Demonstranten, doch eine längere politische Instabilität könnte die Verhandlungen zwischen Sri Lanka und internationalen Geldgebern gefährden. Mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) liefen zuletzt intensive Gespräche über eine Übergangsfinanzierung über drei Mrd. Dollar. Der Gouverneur der Zentralbank, Nandalal Weerasinghe, warnte vor einer Verzögerung wegen der aktuellen politischen Lage.

„Auf technischer Ebene haben wir uns (mit dem IWF, Anm.) fast geeinigt, aber auf politischer Ebene brauchen wir ein höheres Engagement einer stabilen Regierung“, so Weerasinghe. Die politische Unruhe könne die Fortschritte, die man bisher gemacht habe, rückgängig machen.

Demonstranten liegen im Präsidentenpalast von Colombo im Präsidentenbett
APA/AFP/Arun Sankar
Selfie im Palast: Die Demonstranten wollen erst aufgeben, wenn es eine neue Regierung gibt

Der IWF ließ wissen, dass man die Lage genau beobachte. „Wir hoffen auf eine Lösung der aktuellen Situation, die eine Wiederaufnahme unseres Dialogs über ein vom IWF unterstütztes Programm ermöglicht“, hieß es nur. Kurz vor der Palasterstürmung hatte Staatschef Rajapaksa noch bei Russlands Präsident Wladimir Putin um Kredithilfe angeklopft.

Ein „warnendes Beispiel“

Nicht nur die Möglichkeit, Russland könnte das Vakuum und die Not in Sri Lanka nützen, um seinen Einfluss aufzubauen, sorgt für Alarmstimmung in Washington. Auch gebe es noch viel mehr Länder, denen wegen Energie- und Nahrungsmittelkrisen der wirtschaftliche Kollaps drohe, so die „Washington Post“. Die Zeitung spielte auf Staaten in Afrika an, deren Krisen vom Ukraine-Krieg zumindest verstärkt, wenn nicht sogar verursacht worden seien. Sri Lanka sei „das Epizentrum einer globalen Krise“.

Das „Wall Street Journal“ schrieb, der Inselstaat sei „ein warnendes Beispiel“ für eine Reihe anderer verschuldeter Länder, die den aktuellen Herausforderungen ohnmächtig gegenüberstehen. Die Zeitung macht eine Reihe von Ländern aus, die dem „warnenden Beispiel“ folgen könnten, etwa Sambia, der Libanon und die Atommacht Pakistan.

Seit 2019 bezieht Pakistan unter strengen Auflagen Gelder vom IWF. Bisher wurde nur etwa die Hälfte der insgesamt sechs Mrd. Dollar an Hilfen ausgezahlt, da das Land Schwierigkeiten hatte, dem Budgetpfad zu folgen. Noch vor wenigen Monaten hatte die Regierung von Premier Imran Khan die Treibstoffpreise gedeckelt, auf Kosten der Haushaltsziele.

Seit April ist eine neue Regierung im Amt, die die teuren Deckel wieder aufhob, um einen Zahlungsausfall zu vermeiden. Daraufhin schossen die Treibstoffpreise in die Höhe, bis zu 70 Prozent innerhalb von drei Wochen. Zudem schrumpften auch Pakistans Devisenreserven. Im Juni sprang China ein und stellte ein Darlehen in Höhe von 2,3 Milliarden Dollar zur Verfügung.

Präsidentenpalast in Sri Lanka gestürmt

Zehntausende Demonstranten sind durch Sri Lankas Hauptstadt Colombo und in das Regierungsviertel marschiert, einige stürmten den bis dahin schwer bewachten Palast von Präsident Gotabaya Rajapaksa. Der Präsident sei bereits vor dem Wochenende in Sicherheit gebracht worden, hieß es aus Sicherheitskreisen, und werde an einem geheimen Ort beschützt.

Abwärtsspirale befürchtet

Am Montag drängte der IWF China und andere wichtige Gläubiger, hoch verschuldeten Entwicklungsländern Zugeständnisse zu machen. Sollten die Anstrengungen für Schuldenerleichterungen nicht bald Fahrt aufnehmen, drohe eine Abwärtsspirale, hieß es. Die Gruppe der G-20 der mächtigsten Industrieländer hatte sich 2020 – als Reaktion auf die in der Pandemie gestiegene Verschuldung – auf einen Rahmen geeinigt, wie Staatspleiten solcher Länder verhindert werden könnten. Seitdem ist allerdings nicht viel passiert – Schuldenschnitte oder Restrukturierungen gab es nicht.