Russisches Frachtschiff im Schwarzen Meer
Reuters/Mehmet Emin Caliskan
Treffen in Istanbul

Bewegung im Getreidestreit

In den Streit über den Export von Getreide aus der Ukraine dürfte nun wieder Bewegung kommen. Vertreter Russlands, der Ukraine, der Türkei und der UNO sollen am Mittwoch zu neuen Gesprächen in Istanbul zusammenkommen. Das berichten die russische Nachrichtenagentur Interfax und der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar. Der Türkei kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan versuchte sich im Vorfeld des Treffens erneut als Vermittler und telefonierte am Montag sowohl mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als auch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die Tatsache, dass die Telefonate mit den Staatschefs Russlands und der Ukraine am selben Tag und kurz vor dem Treffen in Istanbul stattfanden, befeuerten Hoffnungen, dass eine Lösung in der Debatte gefunden werden könnte.

Die Verhandlungen sollen streng vertraulich ablaufen, hieß es von türkischer Seite. Ort und Uhrzeit wurden nicht bekanntgegeben. Nach dem Ende der Gespräche wurde eine schriftliche Erklärung angekündigt. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba gab sich im Vorfeld im Interview mit der spanischen Zeitung „El Pais“ zuversichtlich. Die Ukraine sei „zwei Schritte davon entfernt“, ein Abkommen mit Russland über den Export ukrainischen Getreides auf die internationalen Märkte zu schließen. Nun hänge alles von Russland ab. Moskau beschuldigte die Ukraine, eine Einigung zu behindern.

UNO zurückhaltend

Die UNO übte sich indes in Zurückhaltung. Zum Treffen in Istanbul meinte UNO-Generalsekretär Antonio Guterres am Dienstag: „Wir arbeiten tatsächlich sehr hart, aber es muss noch einiges getan werden.“ Die Ukraine pochte darauf, dass der Streit unter der Schirmherrschaft der UNO gelöst werden müsse, wie der Sprecher des Außenministeriums, Oleg Nikolenko, gegenüber Reuters sagte.

Die größte Hürde für eine Einigung war zuletzt die Frage, wie die Schiffe auf der Route durch das Schwarze Meer in die Ukraine kontrolliert werden sollen. Russland will etwa verhindern, dass Waffen in das Land geliefert werden, und behält sich vor, einfahrende Schiffe selbst zu durchsuchen. Kiew lehnt das ab und will wiederum wissen, wie die Sicherheit der Ukraine vor russischen Angriffen gewährleistet werden könne, wenn Kiew Seeminen zum Schutz seiner Häfen räumt.

Luftbild von Istanbul
Getty Images/Ugurhan Betin
In Istanbul könnte dem UNO-Plan zufolge ein Kontrollzentrum errichtet werden

UNO-Plan sieht Kontrollzentrum am Bosporus vor

Laut türkischen Angaben sieht ein UNO-Plan zur Lösung der Krise unter anderem die Einrichtung eines Kontrollzentrums in der Metropole Istanbul, die an der Meerenge Bosporus liegt, vor. Das Kontrollzentrum soll die Durchfahrt von Schiffen in und aus einer „sicheren Zone“ außerhalb der ukrainischen Gewässer überwachen. Die Meerenge, über die die Türkei die Hoheit hat, ist der einzige Seeweg vom Schwarzen Meer ins Mittelmeer.

Reuters berichtete mit Verweis auf mit dem Plan vertraute Diplomaten auch, dass Getreideschiffe von ukrainischen Schiffen in und aus verminten Hafengewässern geführt werden sollten. Russland solle für die Dauer der Lieferungen einem Waffenstillstand zustimmen.

Die internationale Gemeinschaft fordert von Russland seit Wochen, den Export von ukrainischem Getreide zu ermöglichen. Die Ukraine beklagt, dass durch die russische Kriegsmarine ihre Häfen im Schwarzen Meer blockiert seien. Zudem sorgten Vorwürfe der Ukraine, wonach Russland Hunderttausende Tonnen ukrainisches Getreide gestohlen haben soll, für Spannungen. Russland streitet ab, Weizen gestohlen zu haben und Weizenexporte zu verhindern.

Bauer auf Getreidenfeld in der Ukraine
AP/Efrem Lukatsky
Russland und die Ukraine gehören zu den größten Weizenexporteuren der Welt

Erdogan telefonierte mit Putin und Selenskyj

Ein Gespräch zwischen UNO, Russland, der Ukraine und der Türkei, bei dem all jene Fragen behandelt werden sollen, stand seit einiger Zeit im Raum. Zu dem Telefonat von Erdogan und Putin hieß es am Montag aus Türkei: „Präsident Erdogan merkte an, dass es an der Zeit sei, dass die Vereinten Nationen Maßnahmen ergriffen, um den Plan zur Schaffung sicherer Korridore durch das Schwarze Meer für den Getreideexport zu verwirklichen.“

Dem Kreml zufolge habe das Gespräch „am Vorabend des in naher Zukunft bevorstehenden russisch-türkischen Gipfeltreffens“ stattgefunden. Zudem hieß es aus dem Kreml, dass Russland und die Türkei ihren „Meinungsaustausch über die Lage in der Ukraine fortgesetzt hatten, auch im Zusammenhang mit der Koordinierung der Bemühungen zur Gewährleistung der Sicherheit der Schifffahrt im Schwarzen Meer und der Getreideexporte auf die Weltmärkte“.

Sichere Korridore im Meer gesucht

Sichere Korridore im Meer seien auch Thema des Gesprächs zwischen Erdogan und Selenskyj gewesen, hieß es aus der Türkei. Die Türkei arbeite weiterhin am UNO-Plan, der darauf abzielt, dass „ukrainisches Getreide auf den Weltmarkt kommt“, so die Türkei.

Selenskyj meldete sich nach dem Telefonat auf Twitter zu Wort. „Wir wissen die türkische Unterstützung zu schätzen. Wir haben über die Notwendigkeit einer Freigabe ukrainischer Häfen und der Wiederaufnahme von Getreideexporten gesprochen“, so Selenskyj. Es müsse zudem verhindert werden, dass Russland ukrainisches Getreide aus den besetzten Gebieten beansprucht.

Diplomaten in New York warnten zuletzt Ende Juni vor zu viel Optimismus: Bisher gebe es keine Einigung zur Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine über das Schwarze Meer. Das Misstrauen zwischen Moskau und Kiew sei nach wie vor sehr groß, und es gebe weiter eine Reihe von Hürden bei den Verhandlungen. Eine weitere offene Frage sei, ob Russland sein Engagement bei den Gesprächen überhaupt aufrichtig meine, sagte ein westlicher Diplomat.

Grafik zum Weizentransport
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: BayWa

Hoffnungen auf Getreideexport über Donau

Als mögliche Alternative zu den Schwarzmeer-Häfen setzt die Ukraine nun auch auf Getreideexporte über die Donau. „In den letzten vier Tagen haben 16 Schiffe die Flussmündung von Bistrau passiert“, sagte der stellvertretende Infrastrukturminister Juri Waskow. Dieses Tempo wolle man beibehalten.

Mehr als 90 weitere Schiffe stünden im rumänischen Sulina-Kanal bereit. Auf dieser Route könnten bisher vier Schiffe pro Tag abgefertigt werden. Für den Getreideexport seien aber acht Schiffe pro Tag notwendig. Die Ukraine verhandle mit ihren rumänischen Kollegen und Vertretern der Europäischen Kommission über eine Erhöhung der Durchfahrtskapazität.

UNO warnte vor größter Hungersnot seit Jahrzehnten

Russland und die Ukraine gehören zu den größten Weizenexporteuren und spielen eine wichtige Rolle für die Ernährungssicherheit in der Welt. Die Vereinten Nationen warnten vor der größten Hungersnot seit Jahrzehnten.

Konkret geht es um die Ausfuhr von Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine vor allem nach Nordafrika und Asien, ein Großteil davon liegt im Hafen von Odessa. Zu spüren bekommt das gegenwärtig zum Beispiel Somalia, wo die UNO vor einer riesigen Hungerkatastrophe warnt. Somalia bezieht 50 Prozent seiner Weizenimporte aus der Ukraine, 35 Prozent aus Russland. Wegen der anstehenden Ernte drängt die Zeit: Zuletzt wurde von UNO-Seite gesagt, dass ein Deal im Juni eigentlich stehen müsste, weil die Speicherkapazitäten in der Ukraine sonst nicht ausreichten.