Mann mit Geldbörse
ORF.at/Patrick Bauer
Kalte Progression

Brunner verspricht 1,8 Mrd., Opposition zweifelt

Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) geht davon aus, dass sich durch die Abschaffung der kalten Progression Entlastungen von 1,8 Milliarden Euro ergeben. Das Gesetz dazu geht am Freitag in Begutachtung. Während Brunner von einem „historischen Gesetz“ spricht, sieht die Opposition Schwächen.

18 Milliarden Euro sollen sich die Österreicherinnen und Österreicher bis 2026 durch die Abschaffung der kalten Progression ab 1. Jänner 2023 ersparen. Brunner sei „zwar kein Freund von Superlativen“, das Gesetz sei jedoch ein „historisches“. Die Abschaffung der kalten Progression sei der zweite Schritt im Kampf gegen die Teuerung.

Mit Soforthilfen im Sommer sollen die ersten Auswirkungen der hohen Inflation abgebremst werden, lösen könne man die Situation aber nur mit strukturellen Maßnahmen, sagte Brunner am Donnerstag. Die Abschaffung der kalten Progression sei seit Jahrzehnten diskutiert worden, mit dem neuen Gesetz werde sie „zu 100 Prozent abgeschafft“, wie Brunner mehrfach sagte. Das entsprechende Gesetz wird am Freitag in Begutachtung gehen. Brunner hoffe dabei auf große Zustimmung im Parlament.

Zwei Drittel direkt an Steuerzahler

Zwei Drittel der Entlastungen sollen künftig direkt und automatisch an die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen zurückgegeben werden. Das weitere Drittel, also rund 600 Millionen Euro im Jahr 2023, soll besonders Erwerbstätige und Pensionistinnen und Pensionisten entlasten. „Für den Finanzminister wäre es bequemer, die kalte Progression nicht abzuschaffen. Aber in der aktuellen Situation gibt es keine Bequemlichkeit“, so Brunner.

Gesetz zur kalten Progression vor Begutachtung

Die kalte Progression soll ab 2023 abgeschafft werden. Am Freitag geht der Gesetzesentwurf in Begutachtung.

Das Entlastungspaket der Bundesregierung sei „schnell, treffsicher und lenkend“, so der grüne Klubobfrau-Stellvertreter Jakob Schwarz. Die 500 Euro Absatzbetrag würden für Selbstständige bereits ab September gelten. Sofortmaßnahmen wie jene können aber nur in Begleitung struktureller Maßnahmen funktionieren, so Schwarz.

Experte: „Mitte profitiert am meisten“

Die Wirtschaftsinstitute WIFO und IHS haben die Berechnungen durchgeführt, die zu der Entscheidung des zwei Drittel Ausgleiches geführt haben. Dabei wurde die Inflation sowie die Verteilung der Einkommen prognostiziert. Verglichen wurden Szenarien, in denen der volle Betrag, gar nichts, oder eben zwei Drittel davon direkt wieder zurückbezahlt werden.

WIFO-Chef Gabriel Felbermayr, Finanzminister Magnus Brunner, Stv. Klubobmann  der Grünen Jakob Schwarz und IHS-Chef Klaus Neusser
APA/Tobias Steinmaurer
WIFO-Direktor Felbermayr, Finanzminister Brunner, grüner stv. Klubobmann Schwarz und IHS-Chef Neusser (v.l.n.r.)

Je höher die Inflation, desto höher die Entlastung durch das neue Gesetz, sagte IHS-Direktor Klaus Neusser. Derzeit gehe man von einer Inflation von knapp acht Prozent aus, und da sei ein möglicher Gaslieferstopp noch nicht eingespeist, so WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr. Die Inflationsrate werde auch in den nächsten Jahren hoch bleiben, die Effekte der Abschaffung der kalten Progression damit noch stärker. In geringem Maß sei davon auszugehen, dass sich das Gesetz kurzfristig inflationssteigernd auswirke. Das sei jedoch ein „Preis, den es wert ist zu zahlen“, so Felbermayr.

Der WIFO-Direktor sagte, dass die „Mitte der Bevölkerung“ von der Abschaffung der kalten Progression am meisten profitieren werde. Für das Jahr 2023 rechnet das WIFO mit Nettolohnsteigerungen von 5,3 Prozent, während die Bruttolöhne nur um 1,3 Prozent steigen sollen.

NEOS von Zwei-Drittel-Lösung nicht überzeugt

NEOS ist von der Zwei-Drittel-Lösung nicht begeistert. „Momentan sieht die Rechnung nämlich wie folgt aus: Der Finanzminister nimmt Person A 100 Euro aus der Geldbörse und gibt ihr nur 67 Euro wieder zurück. Den Rest bekommt Person B. Das ist nicht gerecht und vor allem ist es keine 100-prozentige Abschaffung, wie es die Regierung den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern immer vorgaukelt“, kritisierte Wirtschafts- und Sozialsprecher Gerald Loacker am Donnerstag. Zum wiederholten Male forderte er auch eine rückwirkende Abschaffung der kalten Progression, beginnend mit dem 1. Jänner 2022.

FPÖ fordert rückwirkende Abschaffung

Auch die FPÖ fordert die rückwirkende Abschaffung. Zusätzlich brauche es jedoch auch kurzfristige, strukturelle Maßnahmen, die der Bevölkerung sofort helfen könnten, wie etwa eine Senkung der Lohnnebenkosten. Das Zwei-Drittel-Modell stößt auch bei der FPÖ nicht auf Begeisterung.

„Dass sich der Finanzminister von der kalten Progression zukünftig ein Drittel zur spezifischen Verteilung wie ein Körberlgeld einbehält, ist etwas, das wohl bekannt war, in den nächsten Wochen innerhalb der Begutachtungsfrist des Gesetzesentwurfes aber dennoch nochmals abgeklärt werden muss“, kündigte der FPÖ-Wirtschaftssprecher Erwin Angerer an.

SPÖ: „Reine Augenauswischerei“

Laut SPÖ sei das angestrebte Modell der Bundesregierung völlig ungeeignet. „Was die Regierung macht, hat eine schlechte Verteilungswirkung, weil 30 Prozent des Volumens der Steuersenkung automatisch an die oberen 20 Prozent der Einkommen gehen. Diese Änderung aber noch dazu als Maßnahme gegen die Teuerung zu verkaufen, ist reine Augenauswischerei“, so Finanzsprecher Jan Krainer.

Arbeiterkammer sieht noch ein paar Fragen offen

Die Arbeiterkammer (AK) fordert schon seit Jahren die Abschaffung der kalten Progression und begrüßt, dass diese nun kommen soll. Bei der Umsetzung seien allerdings noch ein paar Fragen offen. Aus Sicht der AK sei es notwendig, dass bei Absetzbeträgen und Negativsteuern eine vollständige automatische Inflationsanpassung erfolge, da die Entlastung der Menschen mit niedrigen Einkommen besonders wichtig sei.

„Was im Entlastungspaket der Bundesregierung fehlt, sind wirksame Maßnahmen, um den Sozialstaat armutsfest zu machen. Die hier geplanten Einmalzahlungen sind wenig nachhaltig, weil die Inflationsraten auch die nächsten Jahre hoch bleiben werden“ kritisierte AK-Präsidentin Renate Anderl. Sie fordert, dass Interessensvertretungen von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen in die politischen Entscheidungen zur Verteilung des „politischen Drittels“ einbezogen werden, da Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Großteil der kalten Progression einzahlen. Zustimmung bekam Anderl für diese Forderung von Ingrid Reischl, der leitenden Sekretärin des ÖGB.