Farmer protestieren in Nijkerk.
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Demos in Niederlanden

Kühe, Klimakrise und Existenzangst

Der Protest der Bäuerinnen und Bauern in den Niederlanden reißt nicht ab: Rechtzeitig zu Ferienbeginn blockierten am Wochenende erneut Traktoren die Autobahnen und sorgten so für Hunderte Kilometer Stau. Die von der Regierung geplante radikale Senkung des Ausstoßes von Stickstoff sorgt seit Wochen für Ausschreitungen. Landwirte, vor allem in Viehbetrieben, fürchten um ihre Existenz. Doch die Regeln kommen alles andere als überraschend – und zeigen grundlegende Probleme der Landwirtschaft auf.

Die Niederlande sind flächenmäßig nur halb so groß wie Österreich, jedoch einer der weltgrößten Exporteure von Agrarprodukten. Das wird vor allem durch intensive Landwirtschaft ermöglicht: In keinem anderen EU-Land gibt es pro Hektar so viel Vieh, laut Eurostat rund viermal so viel wie hierzulande. In absoluten Zahlen klingt das Ausmaß enorm: 100 Millionen Hühner, 11,5 Millionen Schweine und fast vier Millionen Kühe werden laut der niederländischen Statistikbehörde dort gehalten.

Und vor allem die Viehzucht ist für das Klima ein Problem – und größtes Streitthema bei den Protesten. Denn diese trägt, etwa durch den Mist, zum schädlichen Ausstoß von Stickstoffverbindungen bei. Seit Jahrzehnten überschreiten die Niederlande die europäischen Grenzwerte auf Kosten der Umwelt, Pläne zur Reduzierung griffen in der Vergangenheit nicht.

Reduktion um 50 Prozent bis 2030

2019 entschied schließlich das niederländische Höchstgericht, dass sich das Land an die europäischen Normen halten muss – Premier Mark Rutte legte heuer einen Plan vor, wie das geschehen soll. Seither üben die Bauern den Aufstand – und fürchten um ihre Existenz. Bis 2030 will man je nach geografischer Lage vor allem den Ausstoß von Ammoniak drastisch senken. Im Schnitt um 50 Prozent, in der Nähe von Naturgebieten sogar um über 70 Prozent.

Drittel der Viehbetriebe droht Aus

Nach Schätzungen der Regierung bedeutet das das Aus für rund ein Drittel der Viehbetriebe in den Niederlanden. Das führte zu heftigen Ausschreitungen, Supermarktlager wurden blockiert, Polizeiautos gerammt, die Einsatzkräfte feuerten bei einem der Proteste sogar Schüsse ab. Vergangenes Wochenende, pünktlich zum niederländischen Ferienbeginn, blockierten Landwirte die Autobahnen, was zu Hunderten Kilometern Stau führte. Zum Erkennungsmerkmal wurde die umgedrehte niederländische Flagge, die auf so manchem Betrieb angebracht ist.

Im Gespräch mit dem ORF in Den Haag sagte Erwin Wunnekink von der Bauernvertretung LTO, dass es nicht so sei, dass „die Bauern nicht mit den Zielen einverstanden sind, sondern mit dem Weg dorthin“. Man fühle sich übergangen und unfair behandelt: Wunnekink verweist darauf, dass es zwar einen Plan für die Landwirtschaft gebe, für den Verkehr und die Industrie, die ebenfalls große Mengen Stickoxide ausstoßen, jedoch nicht. Dadurch würden „die Emotionen hochkochen“, so Wunnekink.

Farmer blockieren eine Schnellstraße in der Nähe von Eindhoven.
APA/AFP/Rob Engelaar
Die Proteste führten zu Blockaden in den Niederlanden

Für Menschen, die „Generation nach Generation auf dem Bauernhof“ gelebt hätten, sei nun unklar, ob sie ihren Betrieb behalten können, in eine andere Region oder gleich ins Ausland übersiedeln müssten, so Wunnekink. Neben den Stickstofflimits gebe es auch noch die Reduktion von CO2-Emissionen, „der Berg ist so groß geworden, dass wir nicht mehr wissen, was die nächsten Schritte sind“, so der Vertreter.

Niederlande als „Stickstoffhotspot“

Jan Willem Erisman, Umwelt- und Stickstoffexperte an der Universität Leiden, sieht die Niederlande in einer besonders schwierigen Situation. Das Land sei ein „Stickstoffhotspot“, durch das Zusammenspiel von „industrieller Landwirtschaft, Transport, Industrie und Energiegewinnung“. Der Fokus in den Niederlanden sei seit 1840 auf „immer mehr und mehr Produktion“ gelegen.

Dass die Emissionen reduziert werden müssen, sei dabei nichts Neues: „Wir wissen das seit 30 Jahren“, so Erisman. Die Regierung habe „keine Wahl, etwas zu tun, sondern muss Verpflichtungen einhalten“, man sei momentan weit von den erhofften Zielen entfernt. Dennoch sieht er die Regierung in der Pflicht: Man müsse an einem Tisch zusammenkommen, Pläne dürften zwar nicht von den Zielen abweichen, Spielraum sieht er aber etwa bei der Geschwindigkeit, mit der Maßnahmen umgesetzt werden.

Letztlich gehe es darum, den „Bauern eine Perspektive zu bieten“ – diese müssten wissen, ob sie in „20, 30 Jahren“ noch existieren – und ihnen damit die nötige Stabilität für Investitionen zu vermitteln, so der Experte. Das sei Aufgabe der Regierung.

Experte rät zu Qualität statt Quantität

Dennoch erachtet der Experte es als notwendig, die Mengen in der Produktion zu reduzieren – geringere Quantität wäre möglich, wenn man die Produktpalette breiter fächert. Die Niederlande würden viel Massenware produzieren, die oft unter dem Marktpreis international verkauft werde.

Doch die Konzentration auf höhere Qualität und nähere Märkte wäre nur ein Zugang: Erisman sieht auch technische Lösungen als Option. Diese könnten Ammoniakemissionen bei der Tierhaltung deutlich reduzieren, entsprechende Technologien existieren bereits.

Bauernproteste in den Niederlanden

Seit Wochen protestieren in den Niederlanden die Landwirte. Dabei geht es längst um mehr als Umweltfragen. Im ganzen Land stehen Bauern vor Großmärkten, Grenzübergängen und in Innenstädten, um gegen Regierungspläne zu protestieren, die die Stickstoffemissionen der Höfe deutlich reduzieren sollen – ein Nebenprodukt intensiver Nutztierhaltung. Weniger Kühe bedeuten aber auch weniger Einnahmen – viele Betriebe stehen vor dem Aus.

Gleichzeitig verweist er aber auch darauf, dass Landwirtschaft „kein Stickstoffproblem“ allein sei. Hier würde „eine ganze Reihe“ an Problemen ineinandergreifen. Verursacht habe das die Intensivierung der Landwirtschaft, so der Experte.

Vertreter: Regierung versteht nicht, was Bevölkerung will

Mittlerweile haben sich auch Landwirtinnen und -wirte hinter der deutschen Grenze mit den niederländischen Kollegen solidarisiert und sind stark bei den Protesten vertreten. Längst werden die Demos politisch instrumentalisiert: So sagt auch der Bauernvertreter im Gespräch, dass die „Regierung nicht versteht, was die Bevölkerung will“, und verweist etwa auch auf die CoV-Beschränkungen, die zu schweren Ausschreitungen führten.

Niederländische und deutsche Farmer protestieren in Ter Apel.
APA/AFP/Vincent Jannink
Auch Bauern aus Deutschland unterstützen die Proteste in den Niederlanden

Das kratzt auch am Image von Langzeitpremier Rutte, der mittlerweile seit knapp zwölf Jahren im Amt ist. Den Beinamen „Teflon“ erhielt er, weil praktisch alles an ihm bisher abgeglitten ist – zuletzt setzte er sich trotz der CoV-Krise und eines Kindergeldskandals, der die Regierung zum Rücktritt zwang, für eine vierte Amtszeit durch. Sein nunmehriges Gesprächsangebot an die Bauern schlugen diese bisher aus.

Opposition versteht Proteste als Chance

Für die Opposition kommt das gelegen. Der Rechtspopulist Geert Wilders bezeichnete die Niederlande zuletzt als „Vulkan, der vor dem Ausbruch steht“. Auch die rechtsextreme Partei Forum für Demokratie sieht in den Protesten eine Chance. Nach der Pandemie gibt es nun ein neues großes Thema, bei dem die Rutte-Regierung in der Kritik steht und das deren Umfragewerte rasch sinken lässt.

Die Stimmung bei den Protesten bleibt weiterhin rau – laut dpa warnt auch die Anti-Terror-Behörde vor gewaltbereiten Gruppen, die sich häufiger an die Proteste hängen. Das alles bringt Ruttes Regierung weiter unter Druck – und ein Ende der Proteste zeichnet sich nicht ab. Ob es überhaupt eine Lösung gibt, die die Existenz der Bauern sichert und gleichzeitig die Ziele bei den Emissionen erreicht, ist unklar. Der erste Schritt für Rutte wird es jetzt aber wohl erst sein, überhaupt eine Gesprächsbasis zu finden, die Bauernvertreter nach Den Haag an den Tisch holt.