Menschen bei Wahlkampfveranstaltung in Brasilien
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„Kamikaze“-Vorhaben

Wahlkampf in Brasilien nimmt an Fahrt auf

Der Präsidentschaftswahlkampf in Brasilien zwischen Amtsinhaber Jair Bolsonaro und dem Ex-Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva hat an Fahrt aufgenommen. Drei Monate vor der Abstimmung wurde die Obergrenze der Staatsausgaben aufgehoben. Das ermöglicht Bolsonaro, etwa mehr für Sozialleistungen auszugeben. Eine Taktik, die stark an Lula erinnert. Das entscheidende Thema dürfte aber ein anderes sein.

Bolsonaros Wirtschaftsminister Paulo Guedes hatte das Vorhaben zunächst als „Kamikaze“ bezeichnet, am Donnerstagabend (Ortszeit) stimmte der Kongress der Maßnahme jedoch zu. Möglich gemacht wird diese durch die Ausrufung eines Notstandes.

Dadurch bekam die Regierung von Präsident Jair Bolsonaro die Erlaubnis, bis zum Jahresende umgerechnet etwa 7,5 Milliarden Euro zusätzlich auszugeben – beispielsweise, um Sozialleistungen zu erhöhen. Denn auch in Brasilien sehen sich die Menschen derzeit mit einer hohen Inflation und steigenden Energiepreisen konfrontiert.

Brasiliens ehemaliger Präsident, Luiz Inacio Lula da Silva
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Lula gilt als Favorit für die Präsidentschaftswahl

Lula vor Bolsonaro

Für den Beschluss stimmten auch Abgeordnete der Opposition. Ihre Begründung war, dass es notwendig sei, in dem Land mit mehr als 210 Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen den ärmsten Teil der Bevölkerung zu unterstützen. Auch Lula gelang es in seiner Amtszeit von 2003 bis 2010, mit Sozialprogrammen Millionen Menschen aus der bittersten Armut zu holen.

Offiziell beginnt der Wahlkampf im größten Land Lateinamerikas erst am 16. August. Lula liegt als Kandidat seiner linken Arbeiterpartei (PT) bei der Wahl im Oktober in den Umfragen deutlich vor dem rechtspopulistischen Amtsinhaber Bolsonaro.

Der Zuckerhut-Felsen in Rio de Janeiro
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Mehr als 210 Millionen Brasilianer und Brasilianerinnen sind am 2. Oktober aufgerufen, einen Präsidenten zu wählen

Von Korruption zu Kandidatur

Anfang Juli sagte Lula in einem Interview: „2026, wenn ich das Amt übergebe, wird es ein neues Brasilien sein. Fröhlicher, reicher und mit einem ernährten Volk.“ Für den Fall eines Wahlsieges kündigte der frühere Gewerkschaftsfunktionär die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Stärkung von Arbeitnehmerrechten und die Erhöhung des Mindestlohns an. Bolsonaro, so Lula, hätte seine Chance vertan.

Während seiner Amtszeit ging es mit Brasilien zwar wirtschaftlich steil bergauf, allerdings blühte unter seiner Präsidentschaft auch die Korruption in der größten Volkswirtschaft in der Region.

2018 wurde Lula selbst wegen Korruption und Geldwäsche zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Im vergangenen Jahr hob ein Richter am Obersten Gerichtshof das Urteil auf und Lula erhielt seine politischen Rechte zurück. Internationale Kritik schlug ihm Anfang Mai entgegen, als er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als „genauso“ für den Krieg verantwortlich machte wie Russlands Präsidenten Wladimir Putin.

Häuser im Rocinha-Slum
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Mit der Erhöhung von Sozialleistungen will Bolsonaro bei der ärmeren Bevölkerung punkten – wie schon Lula einst vor ihm

Wahlkommissionschef befürchtet Unruhen

Unterdessen werfen Kritikerinnen und Kritiker Bolsonaro vor, mit aufrührerischen Äußerungen und Falschbehauptungen im Stile des früheren US-Präsidenten Donald Trump die Polarisierung in Brasilien noch verstärkt zu haben.

Edson Fachin, Leiter der Wahlkommission, warnte vorab vor schweren Ausschreitungen. „Wir könnten einen noch schwerwiegenderen Vorfall als den Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner erleben“, sagte Fachin.

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro
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Bolsonaro gilt seit Jahren als „Trump Brasiliens“

Vergangenes Wochenende war ein Funktionär von Lulas PT erschossen worden. Der Schütze ist mutmaßlich Anhänger Bolsonaros. Die Polizei sieht hinter der Tat allerdings kein politisches Motiv: „Es ist schwierig zu sagen, dass es sich um ein Hassverbrechen handelt, dass er getötet hat, weil das Opfer ein PT-Anhänger war“, sagte die Kommissarin Camila Cecconello in einer Pressekonferenz am Freitag. Die Schüsse seien nach der Eskalation eines Streits gefallen, der Angreifer habe sich beleidigt gefühlt, so die Polizistin.

Bolsonaro schürt Zweifel über Wahlsystem

Anfang dieses Jahres wurde eine Kommission mit Vertretern verschiedener öffentlicher Einrichtungen sowie des Militärs eingesetzt, um die Sicherheit des Wahlprozesses zu gewährleisten. Führende Militärs haben erklärt, jegliches Wahlergebnis zu respektieren.

Dennoch teilen einige Militärvertreter die Ansichten des rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro über mögliche Schwachstellen im elektronischen Wahlsystem. Einen Test Mitte Mai hat das System allerdings ohne Probleme bestanden.

Bolsonaro hat in der Vergangenheit das elektronische Wahlsystem in Brasilien infrage gestellt, scheiterte jedoch mit einem Reformversuch. Zudem stellte er unbelegte Behauptungen auf, bei den Wahlen 2018 sei es zu Betrügereien gekommen. Brasilien hatte im Mai Beobachter der Europäischen Union für die Wahlen ausgeladen.

Höchstwert bei Abholzung des Regenwaldes

Gegen sich aufgebracht hat Bolsonaro in seiner Amtszeit auch die Umweltschützerinnen und Umweltschützer. So schreibt etwa Niklas Franzen in seinem kürzlich erschienenen Werk „Brasilien über alles. Bolsonaro und die rechte Revolte“: „Die große Invasion Amazoniens hat längst begonnen: Bagger rollen durch den Wald, Goldsucher dringen tief in indigene Gebiete vor, die Besitzer von Rinderfarmen rauben Land. Das hat auch mit Präsident Bolsonaro zu tun. Der Rechtsradikale verkündete, ‚keinen weiteren Zentimeter‘ für indigene Gebiete ausweisen zu lassen, und fordert Brasilianer gerade zu auf, sich Land illegal anzueignen.“

Aktuelle Daten der brasilianischen Behörde INPE zeigen, dass die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes in den ersten sechs Monaten des Jahres einen neuen Höchstwert erreichte – wurde doch eine Fläche von der fünffachen Größe von New York City zerstört. Dazu kommt: Im Juni wurde laut den Daten die höchste Zahl an Bränden im Amazonasgebiet seit 15 Jahren verzeichnet. Aus Bolsonaros Büro hieß es hingegen, die Regierung sei bei der Bekämpfung von Umweltverbrechen „extrem energisch“ gewesen.

Abgeholzte Fläche im Amazonas
Reuters/Bruno Kelly
Unter Bolsonaro nahm die Abholzung des Regenwalds drastisch zu

Klima als entscheidendes Wahlkampfthema?

Umweltschützer setzen ihre Hoffnung nun in Lula. Unter dessen Präsidentschaft fand ein Rückgang der Entwaldung statt. Nichtsdestoweniger habe Lula etwa die Notwendigkeit einer Energiewende verkannt, wie die „New York Times“ („NYT“) schreibt.

Die Ansichten zum Thema Umwelt und Klima seien „NYT“ zufolge nicht nur ein zentrales Thema des Wahlkampfes, sondern könnten sogar wahlentscheidend sein. Laut einer Umfrage vom September seien 80 Prozent der Wählerinnen und Wähler der Meinung, dass der Schutz des Amazonas-Regenwaldes eine Priorität für die Präsidentschaftskandidaten sein sollte. Klar ist laut „NYT“: „Die brasilianische Klimapolitik ist im Umbruch. Das ist wichtig für den ganzen Planeten.“