Italiens Premier Mario Draghi
AP/Gregorio Borgia
Italien

Bürgermeister bitten Draghi zu bleiben

In der politischen Krise in Italien haben mehr als tausend Bürgermeister an Regierungschef Mario Draghi appelliert, im Amt zu bleiben. „Die Regierung muss weitermachen“, heißt es in einer Petition, die bis Sonntag von mehr als tausend Bürgermeistern aus dem ganzen Land unterschrieben wurde. Draghi solle seinen Rücktritt überdenken und das Land durch die derzeit schwierigen Zeiten lenken.

Die Bürgermeister unter anderem aus Rom, Florenz und Venedig kritisieren in der Petition vor allem das „unverantwortliche Verhalten“ der Fünf-Sterne-Bewegung. Diese ist Teil der aktuellen Regierungskoalition, sie hatte aber am Donnerstag eine mit dem Votum über ein Konjunkturpaket verbundene Vertrauensabstimmung im Senat boykottiert und damit die aktuelle Krise ausgelöst.

Draghi überstand die Abstimmung zwar, reichte aber trotzdem seinen Rücktritt ein. Zur Begründung erklärte der Ministerpräsident, die Voraussetzungen für eine Fortführung der Regierungskoalition seien „nicht mehr gegeben“. Der „Vertrauenspakt, auf dem diese Regierung beruhte“, habe sich durch das Verhalten der Fünf-Sterne-Bewegung „aufgelöst“.

Weitere Appelle

Einen Appell an Draghi richteten auch mehrere katholische Verbände, der Umweltschutzverband Legambiente und die Vereinigung der Universitätsrektoren. Draghis Verbleib sei notwendig, um die eingeleiteten Reformen umzusetzen, die mit dem EU-Wiederaufbauprogramm finanziert werden.

Die oppositionelle Rechtskraft Fratelli d’Italia (FdI – Brüder Italiens) um die Rechtspopulistin Giorgia Meloni kritisierte die Appelle für Draghis Amtsverbleib und forderte eine Neuwahl im Herbst. „Aus Angst vor einer Niederlage ist die Linke bereit, alles zu tun, um eine Neuwahl zu verhindern. Die Mitte-links-Parteien können weglaufen, soviel sie wollen, bald wird der Tag kommen, an dem sie sich dem Urteil der Italiener stellen müssen“, so Meloni auf Facebook.

Erklärung am Mittwoch

Allerdings wurde das Rücktrittsgesuch Draghis von Staatspräsident Sergio Mattarella, der gegen vorzeitige Neuwahlen ist, abgelehnt. Stattdessen forderte er den Regierungschef auf, eine Erklärung im Parlament abzugeben. Diese ist für Mittwoch anvisiert.

Auch am Montag schien weiter unklar, ob Draghi in seiner Ansprache auf seinem Rücktritt bestehen oder einen Plan für das Fortführen der Regierungsgeschäfte präsentieren wird.

Italiens Ex-Premier Matteo Renzi konnte für seine Petitionen 80.000 Unterschriften einsammeln. Sein Ziel sei es, bis Mittwoch 100.000 Unterschriften zu erreichen, erklärte er im Interview mit der Mailänder Tageszeitung „La Repubblica“ (Montag-Ausgabe). Der Chef der mitregierenden Kleinpartei „Italia Viva“ ist bereit, eine zweite Regierung um Premier Draghi zu unterstützen. „Sollte Draghi nicht weitermachen wollen – und das würde mir sehr leid tun –, muss es zu sofortigen Parlamentswahlen kommen. Am 25. September oder am 2. Oktober“, sagte Renzi.

Salvini: Zu Neuwahlen bereit

Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi und der Rechtspopulist Matteo Salvini, deren beiden Parteien zum aktuellen Regierungsbündnis gehören, erklärten ihrerseits am Sonntag, dass sie die Zusammenarbeit mit der Fünf-Sterne-Bewegung wegen deren „Inkompetenz und fehlenden Vertrauenswürdigkeit“ nicht fortsetzen wollten. In einer gemeinsamen Erklärung zeigten sie sich zugleich zu vorgezogenen Neuwahlen bereit – „auch kurzfristig“. Normalerweise würden die nächsten Parlamentswahlen in Italien Anfang kommenden Jahres stattfinden.

Warnung vor Lähmung durch Neuwahl

Im Falle einer Neuwahl warnte unterdessen Außenminister Luigi Di Maio vor dem Scheitern wichtiger Reformen und dem Verlust von Geldern für Italien. Selbst wenn Ende September gewählt würde, bräuchte es drei Wochen, um die Parlamentskammern und mindestens weitere zwei Wochen, um die Regierung zu bilden, warnte er im Interview der Zeitung „La Stampa“ (Sonntag-Ausgabe).

In dieser Zeit könnte das Land weder neue Gesetze noch den Haushalt auf den Weg bringen. Auch die wichtigen EU-Milliarden für den CoV-Wiederaufbaufonds stünden auf der Kippe, dazu müsste Italien vorgegebene Ziele in Form von Reformen umsetzen. Di Maio war einst selbst Chef der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung, verließ sie aber unlängst mit Unterstützern im Streit, was die Bewegung in eine Krise stürzte – niedrige Umfragewerte inklusive. Das Parteigremium der Fünf Sterne will sich Montagnachmittag treffen.

Die Bewegung ist gespalten: Ein Flügel um Parteichef Giuseppe Conte drängt auf einen Austritt aus der Regierungskoalition, was zu Neuwahlen führen würde. Ein gemäßigterer Flügel um den Minister für die Beziehungen zum Parlament, Federico D’Inca, bemüht sich um einen Verbleib der in der Koalition. Ein Regierungssturz würde den Reformprozess zum Stillstand bringen, argumentiert auch D’Inca.

Mattarella bei Neuwahl erneut gefordert

Sollte Draghi wirklich zurücktreten, ist Mattarella gefordert. Er könnte versuchen, eine Übergangsregierung zu bilden, die das Land bis zum Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2023 führt. Ob ihm ein neuerlicher Coup wie mit Draghi gelingt, ist fraglich. Mattarella holte Draghi Anfang 2021 aus dem Ruhestand, als die damalige Koalition zerbrach, und beauftragte ihn kurzerhand mit der Bildung einer Regierung, die aus einem Parteienbündnis von links bis rechts außen auf dem Spektrum besteht.

Es sei schwer, sich vorzustellen, wie Italien aus dieser Krise wieder herauskomme, schreibt dazu der „Corriere della Sera" (Sonntag-Ausgabe). Eine vorgezogene Wahl sei legitim in einer Demokratie, man müsse aber die Frage stellen, wie weit das angesichts der offenen Baustellen wie Haushalt, Wiederaufbau nach CoV und dem Ukraine-Krieg sinnvoll sei. „Es obliegt allen Regierungsparteien, ernsthaft zu sagen, ob sie für eine zusätzliche Bemühung um Einheit und Verantwortung verfügbar sind. (…) Es ist ein extremer Versuch, der nützlich sein kann, um Italien in einem geordneten Klima zur Abstimmung zu bringen, das nicht von Wut über die gebrochenen Versprechen dominiert wird.“

Die „Financial Times“ verwies auf die stabilisierende Wirkung Draghis auch im Ukraine-Konflikt, es sei das Beste, er würde bis zum regulären Wahltermin im Frühling 2023 weitermachen. Ein politisches Vakuum in Rom käme zum schlechtesten Zeitpunkt: In Großbritannien werde ein neuer Premier gesucht, in Frankreich habe Präsident Emmanuel Macron keine Mehrheit im Parlament mehr. Italiens Parteien sollten die Reformen Draghis unterstützen, gemeinsam mit der EU und der Europäischen Zentralbank (EZB) müssten sie aber auch für die Zeit nach Draghi arbeiten. Es sei ohnedies „peinlich“, dass es einst für Mattarella und jetzt auch für Draghi keinen Nachfolger gebe.