Lebensmittel in einem Kühlschrank
ORF.at/Dominique Hammer
Kostenexplosion

Zahl der Hilfesuchenden immens gestiegen

Einen dramatischen Appell, den Auswirkungen der Teuerung auf besonders armutsgefährdete Menschen und Familien entgegenzuwirken, haben am Montag Caritas, Diakonie und Volkshilfe an die Bundesregierung gerichtet. Die Teuerung mache keine Ferien, wurde bei einer gemeinsamen Pressekonferenz betont. Die Hilfsorganisationen berichteten von einem immensen Anstieg Hilfesuchender. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) stellte indes eine Umsetzung der Energiekostenbegrenzung im Herbst in Aussicht.

Grund für die Zunahme Hilfesuchender ist die stärkste Inflation seit 40 Jahren, sagte Caritas-Generalsekretärin Anna Parr: „Und wir gehen davon aus, dass sie sich dramatisch erhöhen wird.“ Die Preissteigerung treffe vor allem arme Menschen mit „voller Wucht“ – dazu verwies Parr auf den Miniwarenkorb, der sich sogar um 15,4 Prozent verteuert habe. Der Miniwarenkorb misst die Preisentwicklung von wöchentlich gekauften Gütern und Dienstleistungen. Viele müssten mittlerweile genau rechnen, ob sich am Ende des Monats noch ein Kilo Brot ausgeht.

Bei der Caritas fragten derzeit viele Menschen zum ersten Mal um Hilfe, so Parr: „Nicht nur Armutsgefährdete, auch viele Menschen im unteren Einkommensdrittel kommen nicht mehr über die Runden.“ Vor allem Alleinerziehende und Mehrkindfamilien seien besonders betroffen. „Wir kommen langsam an unsere Grenzen“, so Parr. Etwa habe man bei den Lebensmittelausgaben in Wien einen vorläufigen Aufnahmestopp verhängen und auf kleinere Lebensmittelpakete umstellen müssen. Der Bedarf übersteige das Angebot bei Weitem.

„Existenzielle Nöte in allen Bereichen“

Ähnliche Erfahrungen macht man auch bei der Diakonie: „Existenzielle Nöte schlagen in allen Bereichen auf“, so Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser. Selbst Babynahrung für Mütter, die nicht stillen können, werde zu einem immer größeren Problem. Bereits jetzt würden Eltern wegen Schulmaterialien für den Herbst fragen. „Den Familien geht immer früher im Monat das Geld aus.“

Caritas-Generalsekretärin Anna Parr
APA/Herbert Pfarrhofer
Caritas-Generalsekretärin Parr: Menschen „mit voller Wucht getroffen“

„Teufelskreis“

Zudem gebe es einen „Teufelskreis“ aus Geldnöten, Bildungsnachteilen und Entwicklungsverzögerung bzw. gesundheitlichen Nachteilen, betonte Moser. Armut und Bildung würden ineinandergreifen. Dieses Problem verschärfe sich jetzt aufgrund der Teuerung noch einmal. Der Lebensstandard von armutsgefährdeten Menschen sei schlechter, und mit niedrigem sozialem Status steigen die Erkrankungen.

Kinder und Jugendliche sollten jetzt Ferien machen und das Leben genießen, so Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger. Stattdessen seien viele Kinder belastet und würden sich sorgen, weil sie wissen, dass das Geld für die Familien nicht ausreicht. „Die Teuerung ist für viele existenzbedrohend.“

In einer von der Volkshilfe im Juni und Juli durchgeführten österreichweiten Umfrage mit über 550 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern gaben fast drei Viertel der Befragten an, dass die Teuerung die Planung von armutsbetroffenen Kindern und Jugendlichen stark beeinflusst. Es brauche dringend eine finanzielle Grundsicherung für Kinder, so Fenninger.

Debatte über Maßnahmen verliert nicht an Fahrt

Unterdessen geht die Debatte über Antiteuerungsmaßnahmen unvermindert weiter. Nehammer sagte, er wolle den Vorschlag von WIFO-Chef Gabriel Felbermayr zur Kostenbegrenzung für Stromkunden rasch prüfen lassen und peile die Umsetzung einer Unterstützung bei den Energiekosten für Herbst an. Nehammer hatte bereits am Wochenende angekündigt, den Vorschlag Felbermayrs prüfen zu wollen.

Am Montag nannte er als Ziel, dass die Unterstützung dann kommen müsse, wenn die Heizsaison beginne und die Energiekosten tatsächlich stark spürbar würden. Aktuell gehe es um die konkreten Inhalte und deren Ausgestaltung, etwa welche rechtlichen Rahmen und technischen Möglichkeiten nötig bzw. datenschutzrechtliche Vorgaben zu beachten seien. Es gehe darum auszuloten, was vernünftig und was sinnvoll sei, so Nehammer.

Felbermayr wiederum sagte am Montag, ihm gehe es bei seinem Vorschlag darum, dass die Energierechnungen begrenzt und gleichzeitig Anreize zum Energiesparen geschaffen würden.

ÖGB pocht auf Preiskommission

Eine weitere Facette brachte am Montag der ÖGB in die Debatte mit seiner neuerlichen Forderung nach Einsetzung der Preiskommission ein. „Es gibt das Preisgesetz, und die Preiskommission kann man jederzeit einsetzen“, so ÖGB-Chef Wolfgang Katzian im Ö1-Morgenjournal. Die im März im Finanzministerium eingerichtete Kommission zur Beobachtung der Inflation ist für Katzian zu wenig, sei diese doch „maximal ein zahnloser Tiger als Bettvorleger“.

Hilfsorganisationen fordern Antiteuerungszuschlag

Die Hilfsorganisationen forderten gemeinsam einen „zielgerichteten Antiteuerungszuschlag“ und ein „Ende der Gießkanne“, wie Caritas-Generalsekretärin Parr es formulierte. Der Antiteuerungszuschlag soll den einkommensärmsten Haushalten zugutekommen – und zwar Empfängern von Sozialleistungen ebenso wie Erwerbstätigen mit geringem Einkommen. Dafür soll die türkis-grüne Bundesregierung über den Sommer die rechtliche Grundlage schaffen.

Weiters verlangte Parr einen „gesetzlich verankerten Abschaltestopp für Strom und Gas im Winter“ sowie die Anhebung der Sozialleistungen auf ein „armutsfestes Niveau“. Die angekündigte Valorisierung der Sozialleistungen ab dem kommenden Jahr wurde begrüßt. Diese sollte aber auch Notstandshilfe und Arbeitslosengeld umfassen. Zudem sollte der Wertverlust der vergangenen Jahre etwa bei der Familienbeihilfe entsprechend ausgeglichen werden. Auch einem aktuell diskutierten Strompreisdeckel könne man etwas abgewinnen, so Fenninger.