Junge Frau hält Smartphone
Getty Images/BlackSalmon
460 Mrd. Wertverlust

Reality-Check für Fintechs

Fintechs, Firmen wie das Bezahlservice Klarna und die heimische Kryptobörse Bitpanda, haben in den letzten Jahren einen unglaublichen Lauf hingelegt. Vielen galten sie als die große Zukunftshoffnung, entsprechend wurden Milliarden in sie investiert. Jetzt hat sich die wirtschaftliche Großwetterlage dramatisch gedreht – und die Fintechs verloren zuletzt in Summe eine halbe Billion Dollar (488 Mrd. Euro) an Wert.

Seit Jahren gelten Fintechs – meist Start-ups, die online teils neuartige Finanzdienstleistungen anbieten – als große Zukunftsbranche. Einen zusätzlichen Schub bekamen sie mit Beginn der Pandemie, als das Interesse an diesen Onlinedienstleistern und digitalisierten Finanzservices regelrecht explodierte. Bei ihrem kometenhaften Aufstieg kam ihnen zudem das allgemeine wirtschaftliche Umfeld sehr entgegen: Viele Investoren suchten auf dem boomenden Markt nach Möglichkeiten, ihr Geld gewinnbringend anzulegen.

Fintechs boten und bieten eine Erzählung, die auf den Finanzmärkten von Beraterinnen und Beratern, Investmentfirmen, Vermögenden und allen, die besonders hohe Gewinne erhoffen, jedes Mal wieder gerne gehört werden: Sie versprechen – ähnlich wie Amazon den Handel und Uber den Personentransport –, die Bankenbranche völlig umzukrempeln und damit allen, die in ihre Start-ups investieren, hohe Renditen.

Teures Geld und Kaufzurückhaltung

Doch angesichts des sich dramatisch ändernden Wirtschaftsklimas – hohe Teuerung und drohende Rezession in vielen Ländern – hat sich der Wind, beginnend schon mit Jahresbeginn, in den letzten Wochen radikal gedreht. Geld für die hohen Investitionen aufzutreiben wird schwieriger und teurer – und die Geschäftsmodelle werden unter der zu erwartenden Kaufzurückhaltung der Bevölkerung leiden. Dazu kommt die Unsicherheit bei vielen Geschäftsmodellen, ob diese überhaupt funktionieren.

Digitale Finanzdienste

Fintechs – häufig, aber nicht zwangsweise Start-ups – bieten online neue Finanzservices basierend etwa auf künstlicher Intelligenz oder der Blockchain-Technologie an. Sie sind eine Konkurrenz bzw. Ergänzung zu klassischen Banken und Finanzdienstleistern.

460 Milliarden Dollar

Die „Financial Times“ („FT“) hat nun die gesammelten Verluste hochgerechnet: Demzufolge verloren allein die mehr als 30 in den USA an der Börse gelisteten Fintech-Unternehmen seit Jahresbeginn fast eine halbe Billion Dollar an Wert.

Die Fintch-Aktien verloren demzufolge im Schnitt seit Jahresbeginn 50 Prozent ihres Werts. Das ist deutlich mehr als der Verlust etwa im Technologieindex NASDAQ Composite, der 29 Prozent verlor. Seit Jahresbeginn verloren die in den USA börsennotierten Fintechs 156 Milliarden Dollar, gemessen am jeweiligen Höchststand beläuft sich der Wertverlust laut „FT“ dagegen auf 460 Milliarden Dollar.

Das Unternehmen Upstart, das Kundinnen und Kunden die Auswahl von Konsumentenkrediten mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) anbietet, habe zuletzt die „turbulente Wirtschaft“ für die steigenden Verluste verantwortlich gemacht. Die heimische Kryptobörse Bitpanda wiederum, die zuletzt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit „unbegrenztem Urlaub“ angeworben hatte, hat angesichts der kriselnden Kryptobranche im Juni mehr als ein Viertel seiner 1.000 Mitarbeiter wieder gekündigt.

Klarna 85 Prozent weniger wert

Auch Fintech-Unternehmen, die nicht börsennotiert sind, hat die wachsende Unsicherheit getroffen, allen voran den Branchenriesen Klarna. Der Bezahldienst musste Mitte Juli bei einer Finanzierungsrunde einen radikalen Schnitt bei der Bewertung des Unternehmens hinnehmen: Statt 45,6 Mrd. Dollar ist es nun nur noch 6,7 Mrd. wert – ein Einbruch um atemberaubende 85 Prozent.

Im Visier der Aufsichtsbehörden

Dazu kommt, dass die Regulierungsbehörden und auch die Gesetzgeber in immer mehr Ländern auf die Fintechs aufmerksam werden und sie stärker unter Kontrolle bringen wollen. Viele der Start-ups versuchten, den hohen Auflagen, denen Banken unterliegen, zu entkommen.

Klarna etwa, mit seinem Versprechen des einfacheren und des zeitlich verzögerten Bezahlens beim Onlineshopping, hat laut „Wall Street Journal“ Regulierungsbehörden in den USA und Großbritannien auf den Plan gerufen. Diese befürchten, dass mit dem Bezahldienst die Überschuldung Privater noch stärker steigt. Damit könnte sich, so wie in anderen Bereichen der digitalisierten Wirtschaft, auch hier langsam die Goldgräberstimmung dem Ende zuneigen.

Bloße Überreaktion?

Viele Analysten und Investoren setzen freilich auf ein Comeback und darauf, dass der grundsätzliche Trend, die Digitalisierung von Finanzdienstleistungen, weitergeht.

Die „FT“ zitierte etwa Dan Dolev von der japanischen Bank Mizuho, der betonte, Fintechs seien „der erste Teil des Technologiesektors gewesen, der stark von Covid profitiert hat, weil alle zu Hause gefangen waren und online einkauften“. Jetzt gebe es dieselbe Überreaktion in die andere Richtung – und das erneut früher als in anderen Sektoren.

„Erster Härtetest“

Der „Economist“ urteilte bereits Ende Juni, die Branche stehe nach einem „goldenen Jahrzehnt“ vor dem „ersten Härtetest“. Viele Insider würden die jetzige Phase als Prozess sehen, in dem der Weizen von der Spreu getrennt wird. Die Basis für die Fintechs hat sich nicht geändert, so die Position der einen. Andere warnen dagegen vor den steigenden Finanzierungskosten für die Start-ups, die – zumindest derzeit – meist noch Verluste machen und viel Geld von Investoren brauchen, nicht nur um sich über Wasser zu halten, sondern um sich einen Platz auf dem Markt zu erobern.

Es könnte, so der „Economist“ mit einer überraschenden Volte enden. Denn Fintechs sind angetreten, die von Banken beherrschte Finanzbranche durch eine „Disruption“ – ideologiebehafteter Ausdruck aus dem Silicon Valley für einen grundlegenden Umbruch einer Branche durch neue, oft monopolartige Player – völlig umzukrempeln. Doch ausgerechnet Banken und Kreditkartenfirmen wie Visa und Mastercard – quasi die Feindbilder der Fintechs – würden laut „Economist“ den derzeitigen Einbruch der Branche nutzen, um auf eine günstige Fintech-Einkaufstour zu gehen.